Italien:Zerren an der Jacke

Consultations in Rome

Verliert allmählich die Geduld: Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella wird wohl alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ihm die Verfassung gibt.

(Foto: Roberto Monaldo/ddp images/LaPresse)

Noch nie haben Parteien das Staatsoberhaupt so unter Druck gesetzt, wie Lega und Fünf Sterne es nun mit Sergio Mattarella tun - sie beharren auf dem radikalen Eurokritiker Paolo Savona als Finanzminister.

Von Oliver Meiler, Rom

Zur italienischen Politkultur gehört der löbliche Vorsatz, dass man den Präsidenten der Republik nicht "an der Jacke zerrt", wie es heißt. Dass man ihn also nicht zu einer Parteinahme oder einer Regelbeugung drängt, weil er ja über den Parteien schwebt. Alle schwören auf dieses Prinzip, fast schon reflexhaft, als wäre es ein heiliges Mantra, und zupfen dann natürlich doch diskret an dessen Jacke.

Sergio Mattarella, Staatschef seit 2015, macht nun die umgekehrte Erfahrung. Den neuen Mächtigen im Land, den regierungswilligen Populisten von der rechtsnationalen Lega und der Protestbewegung Cinque Stelle, steht der Sinn danach, dem Präsidenten, um beim Bild zu bleiben, gleich das ganze institutionelle Gewand vom Leib zu reißen. Sie inszenieren den Traditionsbruch, als wollten sie die Zeitenwende illustrieren, den Beginn der "Dritten Republik". Die Zeitung La Repubblica schreibt: "Sie setzen darauf, die Institutionen zu zerlegen, und treten dabei mit einer Arroganz auf, die weit über die übliche Frechheit hinausgeht." Das sei verfassungswidriges Gehabe.

Mattarella sieht es offenbar ähnlich. Der Sizilianer ist ein außerordentlich reservierter und geduldiger Mann, er hängt an Formen und Prozeduren. Wenn er nicht muss, redet er nicht. Nach den Angriffen der vergangenen Tage aber fühlte er sich gezwungen, den Parteichefs Matteo Salvini von der Lega und Luigi Di Maio von den Fünf Sternen in einem so genannt offiziösen Brief aus dem Quirinalspalast mitzuteilen, dass er ihre "Diktate", ihre imperativen Anmahnungen, nicht mehr akzeptiere. Er und der beauftragte Ministerpräsident, ließ er ausrichten, übten ihre Funktionen so aus, wie es die Verfassung festlege. Vor einer Woche hatte Mattarella den Delegationen der beiden Parteien einige relevante Artikel aus diesem Grundgesetz vorgelesen. Auch das war eine Premiere.

Der Streit kreist um die Besetzung von Ministerposten in der künftigen Regierung, und darin vor allem um das Wirtschafts- und Finanzministerium. Lega und Cinque Stelle beharren auf Paolo Savona, einem 81 Jahre alten Ökonomen und früheren Industrieminister. Wegen seiner radikalen Kritik am Euro ist Savona ein Paladin des Austritts Italiens aus der Gemeinschaftswährung - das explosivste Thema von allen. Mattarella bat die Parteien, ihm einen anderen Namen für den Posten zu präsentieren, damit man sich die harte Konfrontation mit Brüssel und die verheerenden Folgen an den Finanzmärkten ersparen könne. Doch Salvini und Di Maio hielten am Freitag trotzig an Savona fest, als stehe sonst alles wieder auf dem Spiel, die ganze Regierungsbildung. "Morire per Savona?", titelte die Zeitung Il Fatto Quotidiano. "Sterben für Savona?"

Der Präsident nimmt sich bei fast jeder Regierungsbildung die Freiheit, Namen zu streichen

Artikel 92 der italienischen Verfassung regelt die Frage der Regierungsbildung sehr klar: "Der Präsident der Republik ernennt den Präsidenten des Ministerrates und auf dessen Vorschlag die Minister." Entscheidend ist das Verb: ernennen. In Italien entscheidet also der Präsident, wer Premier und wer Minister wird. Bei fast jeder Regierungsbildung nimmt sich der Präsident die Freiheit, einen oder mehrere missliebige Namen von der Liste zu streichen. Meist passiert das in aller Stille, manchmal werden die Fälle publik.

Als Silvio Berlusconi zum ersten Mal an die Macht kam, 1994, hielt er es für eine gute Idee, seinen persönlichen Anwalt als Justizminister vorzuschlagen. Er kam damit nicht durch, der Anwalt wurde stattdessen Verteidigungsminister. Mattarella war bislang ziemlich großherzig gewesen mit Lega und Cinque Stelle. Er gab ihnen viel Zeit bei der Formierung ihrer Koalition und schaute zu, wie die beiden Parteien einen "Vertrag" aushandelten, obschon auch dies den Gepflogenheiten der Republik widerspricht: In Italien arbeitet der Premier ein Regierungsprogramm aus, mit dem er dann ins Parlament geht und um Vertrauen anhält. Generös war Mattarella auch bei der Berufung des Premiers. Obschon er ihm nie davor persönlich begegnet war, erteilte er Giuseppe Conte, dem völlig unbekannten Rechtsprofessoren, diese Woche einen Regierungsauftrag. Auch dazu wurde er gedrängt von den beiden Parteien, ja beinahe gezwungen. Die Populisten behandeln den Präsidenten der Republik zuweilen so, als gehörte er zur Kaste, der verhassten. Wer sie deshalb kritisiert, schreibt der Corriere della Sera, dem wird vorgeworfen, er hänge der alten Ordnung nach. "Das ist moralische Erpressung."

Da und dort wirft man Mattarella nun vor, er lasse sich viel zu viel gefallen von diesen ungehobelten Novizen. Er müsse die Institution schützen. Eine Chance bleibt ihm noch. Sollte der Name Savonas trotz allem als Wirtschaftsminister auf der Kabinettsliste stehen, die man ihm in diesen Tagen unterbreiten wird, könnte er sich vom Artikel 92 der Verfassung leiten lassen - und ihn einfach streichen.

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