Italien:Weiter im Wahlkampfmodus

Salvini besucht Sizilien

Auf Sizilien wollte Italiens neuer Innenminister Salvini Parteifreunde in ihren Kampagnen für Lokalwahlen unterstützen – und kam dabei natürlich auf seine Lieblingsthemen zu sprechen, Migration und Abschiebungen.

(Foto: Andrea Scarfo/dpa)

Die Chefs von Lega und Cinque Stelle tun sich schwer mit dem Rollenwechsel: Auch als Minister und Vizepremiers verfallen sie ständig in ihre gewohnte populistische Rhetorik.

Von Oliver Meiler, Rom

Irgendwann wird vielleicht auch für Matteo Salvini und Luigi Di Maio der Moment kommen, da sie die Bühne wechseln werden. Weg von den Podien, rein in den Palazzo. Noch ist es aber nicht so weit. Noch gefallen sich die neuen Mächtigen Italiens in ihrer alten Rolle als oppositionelle Polterer. Geht ja auch ganz einfach, Diskurs und Duktus sind tief drinnen. Am kommenden Sonntag finden in 763 Gemeinden Lokalwahlen statt. Wirklich große Städte sind nicht dabei, nur eine Reihe halbgroße: unter anderem Brescia, Vicenza, Pisa, Siena, Ancona, Avellino, Messina, Catania. Das hindert den Chef der rechten Lega, der jetzt Innenminister ist, und den "Capo politico" der Cinque Stelle, den neuen Arbeitsminister, aber nicht daran, durch das Land zu touren, als wären es nationale Wahlen. Die beiden sind auch Vizepremiers Italiens.

Sogar Parteikollegen raten dem neuen Innenminister, etwas reservierter aufzutreten

Salvini reiste unter anderem nach Sizilien und stanzte einige markige Sätze, die zu seinem harten Repertoire passen: "Basta! Sizilien darf nicht mehr das Flüchtlingslager Europas sein." Er werde nicht untätig zuschauen, wie Boot um Boot voller Migranten in den Häfen des Südens landet. Die humanitären NGOs, die vor Libyen Leben retten, nennt er "Vizeschlepper". Und: "Wir werden Zentren schaffen für die Abschiebung." Das "schöne Leben" der Papierlosen sei nun vorbei: "Sie können die Koffer packen." Gern gebraucht er auch die Gleichung: "Weniger Überfahrten, mehr Rückführungen." Tunesien, sagt Salvini, sei ein demokratischer Staat, ohne Krieg und Plagen: "Die schicken aber nicht nur Gentlemen zu uns, sondern oft und gerne Verbrecher."

Es ist nicht so klar, ob Salvini später einmal in demselben Ton mit seinem tunesischen Kollegen reden will, wenn er ihn besucht, um ihn zu mehr Kontrolle an den Küsten Tunesiens anzuhalten. Repatriierungen, wie er sie zu Hunderttausenden durchzuführen gelobt, sind jedoch schon deshalb schwierig, weil Italien nur mit vier Ländern jenseits des Mittelmeers überhaupt Rücknahmeverträge unterzeichnet hat. Sein Parteikollege Roberto Maroni, früher selbst zweimal Innenminister, fühlte sich gedrängt, Salvini vor allzu viel öffentlichkeitswirksamen Versprechen zu warnen. "Er sollte weniger reden und auf Politiker machen", sagte Maroni in einem Interview. "Als Innenminister ist man zuständig für die nationale Sicherheit." Die Rolle schreibe wie kaum eine andere Reserviertheit vor.

Etwas freier ist da Di Maio. In seinem großen Ressort, das Arbeit und Wirtschaftsentwicklung miteinander verschmilzt, geht es zwar oftmals um die Perspektiven der Menschen, aber selten um Leben und Tod. Auch Di Maio war in Sizilien, und wenn man ihm so zuhörte, konnte man den Eindruck gewinnen, die Sonne werde bald für alle am Himmel lachen. Er versprach zum Beispiel, dass die neue Regierung die Arbeitsmarktreform der Sozialdemokraten wieder zurückdrehen werde, den sogenannten Jobs Act mit der Lockerung des Kündigungsschutzes: "Der schafft nur prekäre Jobs." Auch die Rentenreform gehöre überarbeitet. Das Schlagwort lautet da "Quote 100": Wer beim Addieren von Lebensalter und Arbeitsjahren auf 100 kommt, der soll die volle Pension erhalten. "Ich werde dafür alle meine Kräfte einsetzen", sagte Di Maio. Die Frage ist, ob neben seinen persönlichen Kräften auch die finanziellen Mittel dafür ausreichen.

Die Einführung des "Reddito di cittadinanza", des Bürgerlohns, gehöre zu den ersten Maßnahmen, die er ins Parlament tragen werde. Er soll den Staat etwa dreißig Milliarden Euro im Jahr kosten, schätzen unabhängige Ökonomen und warnen vor den Folgen für die ohnehin desolaten Staatsfinanzen. Di Maio aber sagt, er werde das Geld dafür schon finden - "an den Tischen der Europäischen Union".

Einen kuriosen Moment gab es, als der junge Anführer der Fünf Sterne bei einem Wahlkampfauftritt den norditalienischen Unternehmer Sergio Bramini zu sich auf die Bühne holte. Bramini ist eine Symbolfigur der Populisten. Seine Firma, die hauptsächlich für den Staat arbeitete, ging pleite, weil die Behörden ausstehende Rechnungen nicht termingerecht bezahlt hatten. Am Ende lasteten vier Millionen Euro Schulden auf seinen Schultern. Bramini und Familie wurden aus ihrer Wohnung geworfen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Nun hat ihn Di Maio als Berater in sein Ministerium berufen. Als er bei einem Wahlkampfauftritt Braminis Geschichte erzählte, pfiff das Publikum, wenn das Wort "Staat" fiel. "Hört auf zu pfeifen", gab Di Maio zurück, "wir sind ja jetzt der Staat." Vielleicht musste er sich selbst davon überzeugen.

"Wir sind ja jetzt der Staat", sagt der Fünf-Sterne-Chef, als seine Zuhörer ständig pfeifen

Für den ersten Koalitionsstreit sorgte Italiens neuer Familienminister. Lorenzo Fontana von der Lega, 38 Jahre alt, Abtreibungsgegner und streng gläubiger Katholik aus Verona, sagte den Medien, in Italien gebe es keine "Regenbogenfamilien". Für Fontana kann man nur von einer "famiglia" reden, wenn es darin ein Kind eine "mamma" und einen "papà" habe. Die Aussage löste allenthalben Empörung aus, nicht nur unter Homosexuellen. Exponenten der Cinque Stelle sagten, das Weltbild des Signor Fontana sei reaktionär.

Wahrscheinlich wird es in Zukunft viele solche Debatten geben im Bündnis der Populisten, gerade zu den Bürgerrechten, da prallen sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander. Sogar Salvini distanzierte sich von den Ansichten seines Familienministers: Fontana könne ja privat denken, was er wolle, sagte der Chef der Lega. "Seine Positionen sind aber nicht Teil des Regierungsvertrags."

Der Tonfall der ersten Tage im Leben der neuen italienischen Regierung glich also in verblüffender Art dem Sound der vergangenen Jahre. Als wartete da nicht die Arbeit im Palazzo.

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