Italien und Europa:Renzis Versagen wäre fatal

Matteo Renzi might succeed as new Prime Minister

Ausgerechnet der junge, wilde Matteo Renzi, der sich als neuer Mann inszeniert, erkämpft sich die Macht mit einer Palastintrige.

(Foto: dpa)

So demokratisch bedenklich der Coup von Matteo Renzi ist, so befremdlich muss es für die EU-Kollegen sein, sich schon wieder an einen neuen italienischen Regierungschef gewöhnen zu müssen. Der Wechsel ist eine Herausforderung für Europa.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Ein Hauch von Ancien Régime weht durch Italien. Ausgerechnet der junge, wilde Matteo Renzi, der sich als neuer Mann inszeniert, erkämpft sich die Macht mit einer Palastintrige, die an die Zeiten des Giulio Andreotti erinnert. Renzi stürzte seinen Parteifreund, den bisherigen Ministerpräsidenten Enrico Letta, nicht im Parlament, sondern im Vorstand des Partito Democratico. Seinen Vorsatz, nur durch die Wahl der Bürger Regierungschef werden zu wollen, hat Renzi gebrochen. Er möchte jetzt, sofort Premier werden. Vielleicht denkt er dabei an Andreottis Satz: "Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat."

So unschön für Letta und demokratisch bedenklich dieser Coup ist, so befremdlich muss es für die EU-Kollegen sein, sich schon wieder an einen neuen italienischen Regierungschef gewöhnen zu müssen. Wenn Renzi vom Parlament in Rom bestätigt wird, ist er bereits der vierte Premier in gut zwei Jahren. Gerade noch hatte sich Europa gefreut, dass der besonnene Letta dem Krisenland eine Atempause verschafft hat. Nun regiert in Rom schon wieder die Ungewissheit. Nach dem Anti-Einwanderungsreferendum in der Schweiz, das das europäische Grundprinzip der Freizügigkeit infrage stellt, ist das die zweite Herausforderung für Europa in einer Woche.

Dabei hatte die EU gehofft, nach Jahren der Euro-Krise nun ein paar ruhige Monate bis zur Europawahl im Mai zu haben, in denen man die Lage stabilisieren und so den Populisten Wasser abgraben könnte. Stattdessen brechen zwei Großprobleme auf. Nicht nur in der Schweiz, die ja kein Mitgliedsland ist, sondern auch in etlichen EU-Staaten möchten viele Menschen die Schlagbäume wieder ein Stück herablassen. Sie fühlen sich von der Globalisierung überfordert und überrollt und flüchten sich ins Nationale.

Scheitert Italien, zieht es Europa in den Abgrund

Zugleich zeigt das triste Ende Lettas, wie prekär die Lage in Italien bleibt. Enttäuscht auch Renzi die Hoffnungen der Italiener, könnten sich noch mehr von ihnen Demagogen wie Silvio Berlusconi oder Beppe Grillo von der Fünf-Sterne-Bewegung zuwenden. Auch für die italienische EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli beginnt, wäre ein Versagen Renzis fatal. Hinzu kommt: Die drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums ist - um es in der Sprache der Banker auszudrücken - systemrelevant. Scheitert Italien, zieht es Europa in den Abgrund.

Nun hat Italien schon viele Totengesänge und unzählige Regierungswechsel überlebt. Es hat die Kunst des arrangiarsi, des sich Durchwurstelns in widrigen Zeiten, zur Perfektion getrieben. Diesmal aber könnten selbst die Italiener an ihre Grenzen stoßen. Die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zermürbt das Land bis in den Kern.

Zwar konnte Letta den weiteren Marsch in den Schuldenstaat stoppen, was Brüssel und die Märkte freute. Ansonsten aber hat er wenig erreicht. Die meisten angekündigten Reformen blieben stecken. Die Lage der Italiener hat sich nicht spürbar verbessert. Die Arbeitslosigkeit ist gefährlich hoch, die Jugendarbeitslosigkeit eine Katastrophe. Italien treibt seinen Nachwuchs - die Generation Krise - in die Emigration oder in die Verzweiflung. Dies lasten die Menschen auch Europa an. Dies ist ein Problem Europas.

Rottamatore - Verschrotter - nennt Renzi sich

Nun also Renzi. Auf dem Jungpolitiker lastet eine gewaltige Verantwortung, doch sein robustes Ego lässt ihn das ertragen. Renzi ist einer jener starken Männer, für die Italien eine Schwäche hat. Rottamatore - Verschrotter - nennt er sich, weil er die Alt-Politiker und mit ihnen die alten politischen Laster Italiens entsorgen möchte. Eine radikale Wende hat er dem Land versprochen. Viele, rasche Reformen. Auch Berlusconi hat einmal so getönt, um dann derart zu enttäuschen.

Immerhin bringt Renzi einige Trümpfe mit. Er ist politisch unbelastet, populär, tatkräftig und mutig. Er kann als undogmatischer, liberaler Sozialdemokrat auch mit den Unternehmern. Er hat Vorwahlen seiner Partei eindrucksvoll gewonnen und bei den Verhandlungen über eine Wahlrechtsreform bewiesen, dass er selbst einen Gegner wie Berlusconi einbinden kann. Zudem weiß er, dass er kaum Zeit hat. Die Hochgeschwindigkeit, mit der er gerade in den Palazzo Chigi stürmt, den Premierssitz in Rom, muss er auch im Amt beibehalten.

Die Partito Democratico ist ein Abgrund von Verrat

Erste Aufgabe Renzis wird es sein, eine tragfähige Koalition bis zu Neuwahlen zu schmieden. Dabei wird es schon schwierig genug, seinen sozialdemokratischen Partito Democratico zu disziplinieren. Die Partei ist ein Abgrund von Verrat. Sodann braucht Renzi kleinere Parteien der Mitte und der Rechten zur Mehrheit im Senat. Schließlich muss er, um das Wahlrecht und das Regierungssystem zu reformieren, eine informelle große Koalition mit Berlusconi eingehen.

Gleichzeitig stehen die Strukturreformen an, die Letta versäumte: Arbeitsmarkt, Steuerrecht, Infrastruktur und vor allem ein Rückschnitt der Bürokratie. Die Bürger müssen den Eindruck bekommen, dass der Staat ihnen hilft, eine Familie zu gründen, ein Unternehmen aufzubauen, ein Haus zu errichten, anstatt sie dauernd nach Kräften zu behindern. Nur wenn diese Revolution endlich gelingt, werden sie sich ihrem Staat zuwenden - und auch wieder Europa.

Renzi tritt zu einem Endspiel an, für Italien, für Europa

Renzi wird zugleich auf die Schulden achten und die Vorgaben aus Brüssel einhalten müssen. Er steht vor einem Grundproblem vieler EU-Staaten: Einerseits können sie sich in der Globalisierungswelt nur behaupten, wenn sie sich noch stärker zusammenschließen und konsequenter als bisher den Vorgaben der EU unterwerfen. Andererseits wird dadurch den Bürgern viel zugemutet, was sie zurück ins Nationale treibt.

Auch die von der Schweiz befeuerte Debatte um Freizügigkeit symbolisiert dieses Problem. Europa braucht Migration, um sich dynamisch zu entwickeln und die Menschen dorthin zu bringen, wo Arbeitskräfte fehlen. Zugleich macht Einwanderung Angst, auch weil sich neben all den nationalen Identitäten noch keine europäische Identität entwickelt hat.

Die EU muss, um zu reüssieren, ihre Mitglieder stärker an sich ziehen, löst dadurch aber Fliehkräfte aus. Sie muss auf ihren Markenkern - die Freizügigkeit, die Euro-Regeln - pochen, darf aber nicht wie eine hartherzige Gouvernante agieren. Was heißt das für den Umgang mit Italien? Fordern. Und Fördern. Falls Renzi sein Land saniert und reformiert, sollte Brüssel stärker als bisher helfen, Italiens Infrastruktur zu modernisieren und jungen Italienern Arbeit zu geben.

Renzi tritt zu einem Endspiel an, für Italien, für Europa. Er hat vor Kurzem gesagt, wenn er einen Elfmeter bekomme, schieße er ihn auch. Jetzt fliegt sein Ball durch die Luft. Hoffentlich trifft er.

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