Italien:Sommerängste

Im Herbst stimmen die Italiener über die große Staatsreform ab. Das Referendum aber wird vor allem über das Schicksal von Premier Renzi entscheiden. Seine Versprechen wirken plötzlich hohl.

Von Oliver Meiler

Italien flattert und flirrt. Gerade als man dachte, das Land sei politisch stabil, angetrieben von einem jungen und tatendurstigen Premier, da schwindet diese Gewissheit schon wieder. Plötzlich setzt sich der böse Verdacht in den Köpfen der Italiener fest, dass Matteo Renzis schwungvolles Regieren und Reformieren womöglich gar nichts gebracht hat. Dass alle Sparopfer und erduldeten Veränderungen der vergangenen Jahre nicht ausreichen. Die Wirtschaft? Sie steht wieder still. Die Jobmaschine? Funktioniert nicht wirklich. Die Banken? Ach, die Banken.

Kein Tag vergeht, an dem sich nicht neue, enttäuschende Erfahrungen aufs Gemüt legen. Die Finanzmärkte wetten wieder gegen Italien. Die Schlagzeilen im Ausland sind düster. Unlängst hob das britische Magazin The Economist Italien auf sein Cover. Auf der Zeichnung sieht man einen Bus in Grün-Weiß-Rot, der mit offener Hecktüre prekär über einer Klippe hängt, etwas Geröll fällt schon in die Tiefe. Das Bild entspricht dem Lebensgefühl, aber war auch ein wenig platt, wie die italienischen Zeitungen fanden.

Richtig ist, dass die Probleme einfach nicht enden wollen. Nach acht Jahren kommt es vielen Italienern so vor, als wäre die Krise der neue Normalzustand. Die Menschen finden nicht mehr zurück zum alten Wohlstandsniveau. Dieses Gefühl von Verlust und Ohnmacht - es nimmt den Zukunftsglauben, es drückt auf das politische Klima und auf den Konsum.

Renzis Reformen wirken kaum, das Land will endlich Hoffnung

Richtig ist auch, dass etliche italienische Banken unter faulen Krediten leiden, 360 Milliarden Euro insgesamt, und dass diese Last nach dem Brexit nun noch schwerer wiegt. Gefährlich ist das deshalb, weil Hunderttausende Italiener Schuldscheine dieser Banken gekauft haben. Anleihen von Banken und vom Staat galten in Italien stets als sichere, patriotische Anlagen. Nun bangen viele kleine Gläubiger um ihre Ersparnisse. Die Regierung beschwichtigt, vermag sie aber nicht zu beruhigen. Auch das drückt auf die Stimmung. Richtig ist schließlich, dass der italienische Staat bis heute grotesk hoch verschuldet ist und dafür hohe Zinsen bezahlt.

Dennoch wäre es fatal, wenn sich die Meinung durchsetzte, dass Renzis Reformen nutzlos waren. Dem Premier gelang es, Italien nach zwei Jahrzehnten des Leerlaufs aus seiner Starre zu lösen. Er belebte das Land mit seinem Elan. Die Arbeitsmarktreform half bei der Schaffung vieler unbefristeter Stellen. Wahrscheinlich ist aber mehr Zeit nötig, damit die Veränderungen wirklich wirken. Geduld braucht auch die Reform der Bürokratie. Entschlackt und digitalisiert soll sie werden, damit sie nicht mehr gegen den Bürger arbeitet, sondern für ihn. Bei allen Grenzen und Widerständen: Seit Italien eine Republik ist, rüttelte noch keine Regierung so entschlossen an der Trägheit des Beamtentums. Die Reform soll ja auch die Mentalitäten ändern, mittelfristig.

Allerdings ist Renzi nicht schuldlos an der latenten Unsicherheit im Land. Dem Premier unterlief eine bemerkenswerte Fehleinschätzung: Im Glauben, er sei unschlagbar, verband Renzi sein persönliches Schicksal mit dem Ausgang der nun bevorstehenden Abstimmung über die Verfassungsreform. Verliere ich, sagte er, trete ich ab.

Diese Personalisierung war vermessen, weil es im Referendum immerhin um die Frage geht, ob Italien das Zusammenspiel seiner Institutionen neu gestalten kann, ob es den alten Senat entmachten, den politischen Prozess beschleunigen soll. Die Wette war vor allem deshalb leichtsinnig, weil sie die gesamte Opposition in einem Ziel vereint: Cinque Stelle, orthodoxe Linke, bürgerliche und extreme Rechte - alle wollen sie Renzi stürzen sehen. Für ein "No" machen sich selbst Politiker und Parteien stark, die im Parlament die Reformen noch mittrugen. Und so werden wohl auch viele Italiener die Abstimmung als Gelegenheit nutzen, um ihren Frust über die Krise und ihre diffusen Ängste zu manifestieren. Mit einem "Nein" aus dem Bauch, gegen das Establishment. Der Anlass? Egal.

Abgestimmt werden soll Ende November; noch ist der genaue Termin nicht festgelegt. Niemand wagt vorherzusagen, was mit dem Land nach einem Sturz Renzis geschähe. Gäbe es bald Neuwahlen, würde wohl die Protestbewegung Cinque Stelle von Beppe Grillo gewinnen. Und die möchte Italien am liebsten sofort aus dem Euro lösen. Es wäre keine Fünf-Sterne-Lösung - weder für Italien noch für Europa. Renzi bleiben nur noch drei Monate Zeit, um die Italiener von den Vorzügen seiner Reform zu überzeugen und die Abstimmung von seiner Person zu entkoppeln. Das wird schwierig, denn die Materie ist trocken und kompliziert. Die Sommerunruhe zeugt davon, dass Italien vor entscheidenden Monaten steht.

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