Italien:Schluss mit der Gleichgültigkeit

Foto IPP Felice De Martino Napoli 11 05 2017 in occasione del 25esimo anniversario della strage di C

In Neapel sind schon im Vorfeld des Jahrestags Reste des Autowracks ausgestellt, in dem Falcone starb.

(Foto: IPP)

Der Mord am prominenten Antimafia-Richter Giovanni Falcone jährt sich zum 25. Mal.

Von Oliver Meiler, Rom

In Palermo montieren sie Großbildschirme für die Nacht des Gedenkens: vor der Oper, am Strand von Mondello, vor dem Justizpalast. Möglichst viele Leute sollen die Sendung sehen, die Rai Uno, das erste Programm des italienischen Staatsfernsehens, an diesem Dienstagabend, dem 23. Mai, zeigen wird. Live, mit vielen prominenten Teilnehmern. Mit Reden, Gesang, Theater, auch mit bedeutungsschwerem Schweigen. Die Italiener begehen den 25. Jahrestag der "Strage di Capaci", des Massakers von Capaci, wie sie den Mordanschlag der Mafia auf den Richter Giovanni Falcone nennen. Das Gedenken ist über die Jahre hinweg zum Ritual geworden, für manche auch zur dürren Routine.

Rai Uno möchte den Trott dieses Jahr brechen: Schließlich profitiert vom Geplätscher der Gleichgültigkeit niemand stärker als die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra. Auftreten werden unter anderem Roberto Saviano, der Autor von "Gomorrha", Don Luigi Ciotti, Vorsitzender der Anti-Mafia-Bewegung Libera, und der Schauspieler Michele Placido. Alle werden sie Giovanni Falcone als einen furchtlosen Helden der Legalität feiern, als Inbegriff des pflichtbewussten Staatsdieners. Er und Paolo Borsellino, sein Richterkollege und Freund, den die Mafia zwei Monate später umbrachte, sind zu Ikonen geworden; ihre Fotos hängen in jedem Gericht des Landes. Jede Stadt hat einen Platz oder eine Straße nach ihnen benannt. In Zeiten der Unsicherheit sind sie sichere Werte.

Bei so viel Ehrerbietung könnte leicht vergessen gehen, dass den beiden Männern erst nach ihrem Tod ungeteilter Respekt zuteil wurde. Während sie lebten, fühlten sie sich oft alleingelassen: von den Institutionen, der Politik, den Intellektuellen. Für den Eifer, den sie in den Kampf gegen die Mafia legten, wurden sie auch offen kritisiert. Der sizilianische Schriftsteller Leonardo Sciascia zum Beispiel schrieb 1987 in einem Artikel im Corriere della Sera, Leute wie Borsellino nutzten ihre Rolle, um berühmt zu werden. Sie seien "Profis der Anti-Mafia". Es war ein böser Text, der das Land spaltete und die Stimmung vergiftete. Nach dem Tod seines Freundes sagte Borsellino einmal, Falcone habe schon viel früher begonnen zu sterben, nämlich am Tag, als der Corriere den Artikel publiziert habe. Sciascia stellte die moralische Integrität der Richter infrage, er isolierte sie.

Das Foto vom Tatort kurz nach dem Attentat brannte sich in die Köpfe der Italiener ein. Man sieht darauf ein Stück der Autobahn A 29 bei der Ausfahrt Capaci: ein Krater im Asphalt, zwei Autos, ein Krankenwagen, Polizisten. An jenem 23. Mai 1992 war Falcone, der damals in Rom im Justizministerium an neuen Gesetzen gegen die Mafia arbeitete, nach Palermo gereist. Der gepanzerte Fiat Croma seiner Leibwache holte ihn am Flughafen ab, er sollte ihn in die Stadt bringen. Im Auto saßen auch Falcones Frau und drei Bodyguards. Die Mafia hatte erfahren, dass der Richter für das Wochenende in seine Heimatstadt kommen würde. Es war ein sommerlich heißer Samstag, alles war vorbereitet. In einem Abwasserkanal unter der Straße hatte die Mafia 400 Kilogramm Sprengstoff platziert. Giovanni Brusca, einer der brutalsten Bosse jener Zeit, sass auf einem Hügel hoch über dem Tatort. Er zündete die Ladung, als Falcone die Stelle passierte. Um 17.58 Uhr.

Es war ein Racheakt. Falcone und Borsellino hatten in den Achtzigern den größten Mafiaprozess geführt, den Italien je erlebte, den sogenannten Maxiprocesso. Ermöglicht hatte ihn Tommaso Buscetta, "Don Masino", mit seinen Aussagen als Kronzeuge. 707 Mafiosi wurden angeklagt, ganze Familienclans. Dutzende Bosse wurden vorgeladen - und verurteilt. Doch lange Zeit war nicht klar, ob die Haftstrafen, die sie in erster Instanz auferlegt bekamen, auch nach der letzten Instanz noch Bestand haben würden. Als das Kassationsgericht die Urteile dann Anfang 1992 bestätigte, war der Triumph des Richterpools von Palermo endlich gewiss. Falcone und Borsellino hatten zum ersten Mal beweisen können, mit Dokumenten und Zeugenaussagen, woran zwar niemand gezweifelt hatte, was von vielen aber still geduldet wurde: Dass es die Mafia tatsächlich gibt, mit einer Kuppel und einer hierarchischen Struktur.

Dafür sollten die Richter schließlich bezahlen. Falcone hatte oft von den Gefahren gesprochen, denen er sich aussetzte. Einmal sagte er: "Meine Frau und ich haben beschlossen, keine Kinder zu bekommen - die Liste der Waisenkinder ist lang genug." Falcone wurde 53.

Der Schock im Volk wandelte sich schnell in Zorn. Nach den Morden an den Richtern entstanden Bürgerbewegungen, die sich offen dem Kampf gegen die Mafia verschrieben. Es war, als habe Brusca auch die Angst der Menschen weggesprengt. 1995 gründete der katholische Priester Don Luigi Ciotti die Vereinigung Libera, die vielen Bewegungen ein Dach und eine Koordination geben sollte. Bis heute ist Libera die erfolgreichste und wahrscheinlich auch vertrauenswürdigste Bewegung. Obschon sie bisweilen von kleinen Skandalen und internen Zwisten erschüttert wird, zieht sie auch junge Menschen an, die jene Zeiten, als Cosa Nostra Krieg führte gegen den Staat, gar nicht erlebt haben.

Immer wieder haben Akteure das Etikett "Anti-Mafia" als Tarnhülle für unlautere Geschäfte missbraucht. In den vergangenen Jahren gerieten eine Reihe vermeintlicher Vorkämpfer ins Zwielicht. Richterin Silvana Saguto etwa, die sich um die gemeinnützige Verwendung von beschlagnahmten Mafia-Gütern kümmern sollte, führte sich so auf, als gehörte alles ihr. Gegen den Präsidenten des sizilianischen Arbeitgeberverbandes, Antonello Montante, laufen Ermittlungen wegen Korruption und Erpressung; der Chef der Handelskammer, Roberto Helg, wurde zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Und so erinnert man sich zum 25. Jahrestag von Falcones Tod auch wieder an Leonardo Sciascias Pamphlet gegen die "Profis der Anti-Mafia". Es hatte durchaus prophetische Züge.

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