Regierungsbildung in Italien:Der Flirt der Radikalen

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Im Rom hat ein unbekannter Künstler das Horrorszenario vieler Italiener an die Wand gemalt: Matteo Salvini (rechts) von der Lega in inniger Umarmung mit Cinque Stelle-Chef Luigi di Maio. (Foto: Tony Gentile/Reuters)
  • Auf der Suche nach einer Regierungskoalition flirten die Cinque Stelle mit der nationalistischen Lega.
  • Ihre Chefs, Luigi Di Maio und Matteo Salvini, diskutieren eine Koalition, was noch vor wenigen Wochen undenkbar war.
  • Inhaltlich könnten sich die Protestparteien arrangieren. Fraglich ist, ob sie das Bündnis politisch überleben würden.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn die Wirklichkeit die Fantasie überholt, dann behelfen sich auch die Italiener gern mit großen Sinnbildern, zuweilen sogar mit Figuren aus der Mythologie, um sich einen Reim zu machen - irgendwie. Jetzt ist es wieder so. Darum muss gleich vom "Ircocervo" die Rede sein, einem alten Fabeltier: halb Ziegenbock, halb Hirsch. Und natürlich auch von Frankenstein. Die Parlamentswahlen vom 4. März haben die italienische Politik dermaßen dramatisch erschüttert, dass nun, da sich die Staubwolken legen, alles unfassbar neu erscheint - die ganze Landschaft.

Gewonnen haben die disruptiven Kräfte, jene also, die gelobten, das System zu zerlegen und die dafür mit den Ängsten und Enttäuschungen der Italiener spielten. Darum zählt man die ideologisch unsteten Cinque Stelle und die stramm rechtsnationale Lega zu den Populisten und Protestparteien. Natürlich ist das eine Verkürzung: Die Lega gibt sich nur vordergründig revolutionär und postideologisch; in Wahrheit regiert sie seit vielen Jahren den produktiven Norden des Landes, ganz ordentlich und durchaus konventionell. Dennoch hilft die Vereinfachung, die neuen Polaritäten zu fassen. In der "Dritten Republik", wie sie bereits genannt wird, stehen sich nicht mehr vordringlich Linke und Rechte gegenüber wie zuvor, sondern Moderate und Radikale, Europafreunde und Europaskeptiker, Multilateralisten und Nationalisten, Weltoffene und Identitäre.

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Wie lange wird es dauern, bis Italien eine neue Regierung hat? Welche Rolle spielt Berlusconi? Und was passiert, wenn keine Koalition zustande kommt? Die wichtigsten Fragen und Antworten nach der Wahl.

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Zusammen haben es die radikalen Parteien Italiens auf mehr als 50 Prozent der Stimmen gebracht. Die Mitte? Wie weggefegt. Die Lega stand vor fünf Jahren, als sie noch Lega Nord hieß, bei vier Prozent, nun hat sie 17. Die Cinque Stelle stiegen in dieser Zeit von 24 auf 33 Prozent. Das ist gemeint, wenn in Italien von einer Erschütterung der politischen Landschaft gesprochen wird. Die Frage ist nun, ob die beiden populistischen Parteien und ihre Chefs, Luigi Di Maio und Matteo Salvini, 31 respektive 45 Jahre alt, auch zusammen regieren können - und sollen. Auf die Besetzung des Parlamentsvorsitzes konnten sie sich einigen, was schon mal als Präludium gilt. Aber was ist mit der Regierung?

"Ich telefoniere mittlerweile öfter mit Di Maio als mit meiner Mutter"

Vor den Konsultationen, die kurz nach Ostern beginnen sollen, gleichen die beiden Parteien ihre Programme ab. Salvini sagt: "Ich telefoniere mittlerweile öfter mit Di Maio als mit meiner Mutter." Di Maio wiederum lobt bei jeder Gelegenheit Salvinis Verlässlichkeit. Gut möglich, dass sie nur taktieren, schließlich wollen beide an die Macht. Doch so sicher ist das nicht. Plötzlich scheint das, was noch vor wenigen Wochen höchst unwahrscheinlich anmutete, nicht mehr ganz ausgeschlossen zu sein: Nämlich dass Di Maio und Salvini am Ende tatsächlich zueinanderfinden.

Und damit sind wir beim "Ircocervo", halb Ziegenbock, halb Hirsch. Berlusconi war es, der an das Fabelwesen erinnerte und so die Archivare der Zeitungen beschäftigte. Zuletzt hatte Benedetto Croce, der große liberale Denker und Politiker, vor dem lustigen Tier gewarnt. 1942 war das, damals turtelten die Sozialisten mit den Liberalen, und Croce hielt das für absurd. Berlusconi mochte nicht sagen, wen er für den Hirschen hält und wen für den Bock. Charmant ist beides nicht. Vor allem aber befürchtet Berlusconi, dass er selbst politisch am Ende und ohne jeden Einfluss wäre, sollten Di Maio und sein Alliierter Salvini eine Regierung bilden. Nur die beiden also, als "Ircocervo".

"Operazione Frankenstein", nennt es die linke Zeitung La Repubblica. Als entstehe da gerade ein Monster. Ähnlich sieht man es auch in Brüssel, wo die Sorge groß ist, und an den Finanzmärkten. Cinque Stelle und Lega - das galt schon vor den Wahlen, als es noch niemand für möglich gehalten hätte, als Horrorszenario.

Politisch verbindet die Parteien viel. Beide finden zum Beispiel, dass der Euro den Italienern mehr schadet als nützt. Dass die EU sie insgesamt und unerhörterweise bevormundet. Dass man Wladimir Putins Russland nicht mit Sanktionen bestrafen, sondern sich vielmehr intensiver mit ihm verbünden sollte. Dass Italien, wie Donald Trumps Amerika, Importzölle auf chinesische Waren erheben müsste - "Italy first" gewissermaßen. Dass das Dubliner Asyl-Abkommen endlich gekippt gehört. Dass Brüssel mehr Großzügigkeit beim Budgetdefizit zulassen sollte. Dass die Renten- und die Arbeitsmarktreform der Sozialdemokraten wieder rückgängig gemacht werden müsse, egal, wie viel das kostet. Und dass die Impfpflicht für Kinder ein unzulässiger Eingriff ins Private sei.

Ergänzen sich Cinque Stelle und Lega vielleicht geradezu perfekt?

Der Katalog der Gemeinsamkeiten ließe sich fast beliebig fortsetzen. In diesen Tagen arbeitet man nun auch an einer Bereinigung der Differenzen. So sagt Salvini jetzt plötzlich, dass der "Bürgerlohn", wie ihn die Cinque Stelle neun Millionen Italienern (und den Süditalienern im Besonderen) versprochen haben, durchaus in Ordnung sei, wenn damit der Arbeitsmarkt stimuliert werde. Ein Bekenntnis wie ein kolossaler Bocksprung, um beim Bild zu bleiben. Bisher verhöhnte die Rechte diese Maßnahme zur Stützung der ärmeren Schichten als reinen "Assistenzialismo", als staatliche Beihilfe zum Nichtstun also. Die Lega verdankt ihren eigenen Wahlerfolg hauptsächlich einem überaus liberalen Steuerversprechen: einer "Flat Tax" und einem Steuersatz von 15 Prozent. Den vielen Kleinunternehmern im Stammland der Lega in Norditalien gefiel der Punkt so gut, dass auch viele Wähler von Berlusconis Forza Italia zu Salvini gewechselt sind. Die "Flat Tax" steht im Ruf, die Reichen zu bevorteilen.

Etwas pauschal zusammengefasst, ließe sich sagen: Eine Partei steht für den Süden, die andere für den Norden; eine vertritt die Armen, die andere die Reichen. Wie also soll das zusammenpassen, kulturell und haushaltspolitisch? Oder ist am Ende alles ganz anders: Ergänzen sich Cinque Stelle und Lega vielleicht geradezu perfekt - jedem sein Territorium, seine Klientel? Schwerer als die politischen Affinitäten wiegen aber die jeweiligen Einzelinteressen der Parteien und die ihrer Anführer. Die Fünf Sterne sagen zwar von sich, dass sie postideologisch seien, oder wie Parteigründer Beppe Grillo es unlängst formulierte: "Wir sind ein bisschen christdemokratisch, ein bisschen links, ein bisschen rechts." Viele ihrer Wähler aber sind keine Postideologen: Sie sind nur enttäuscht von den alten Parteien, die sie früher gewählt haben.

Die meisten neuen Wähler der Cinque Stelle kommen von der Linken. Die Partei ist stark bei den Jungen, den Beamten, in der Arbeiterklasse, in den Peripherien der Städte. Solange sie ein Sammelsurium bleibt, geht das: Im großen Allerlei findet jeder seinen Platz. Regiert sie aber mit der Lega von Salvini, der offen mit Faschisten flirtet, droht sie schnell zu implodieren. Marco Travaglio, der Chefredakteur der parteinahen Zeitung Il Fatto Quotidiano, schrieb vor einigen Tagen: "Wenn Di Maio eine Regierung mit der Lega macht, werden sie ihn auf der Piazza lynchen." Ganz zu schweigen von einer Regierung mit der Lega und Berlusconi, dem Inbegriff des alten Systems, dem Feindbild schlechthin.

Auch Salvini hat kein echtes Interesse an einem Deal mit Di Maio, jedenfalls nicht an einem festen und dauerhaften. Er ist gerade dabei, sich als Chef des gesamten Rechtslagers zu etablieren, das mit insgesamt 37 Prozent der Stimmen den größten Block im Parlament stellt. Bricht Salvini jetzt mit Berlusconi, ist er nur noch so stark, wie es seine Lega ist, nämlich 17 Prozent - halb so stark wie Di Maio. In einer gemeinsamen Regierung der beiden wäre Salvini dann bestenfalls Juniorpartner, Die Maios Adlatus. Das ist nicht sein Ziel. Salvini kann also nicht ohne Berlusconi. Und Di Maio kann nicht mit Berlusconi.

Die düstere Fabel vom Monster ist also erst eine Ahnung, ein flüchtiges Gespenst. Aller Telefonate und Flirts zum Trotz.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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