Italien:Neue Hartherzigkeit

Das Land fühlt sich im Stich gelassen bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage. Daher schaltet die Regierung in Rom jetzt um auf Krawall.

Von Oliver Meiler

Früher war Italien eine Konstante im europäischen Konzert. Selbst wenn Rom mal etwas rebellierte, wusste man in Brüssel, Berlin und Paris: Ein schräger Zwischenton, mehr ist es nicht, die Italiener spielen dann schon wieder mit. Mit Silvio Berlusconi war es so, mit Romano Prodi sowieso, auch mit Matteo Renzi. Das Bewusstsein um eigene Unzulänglichkeiten und Probleme, vor allem bei den Staatsfinanzen, drängte die Italiener immer auf Stromlinie. Oftmals gab es dafür im Gegenzug etwas Kulanz beim Defizit und den Schulden.

Nun ist alles anders. Die neuen Entscheider in Rom sind deshalb erfolgreich, weil sie versprechen, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Sie sagen: Wir geben nicht mehr klein bei, gerade bei der Migration. Gemäß einer Umfrage begrüßen es 59 Prozent der Italiener, dass ihre Regierung die nationalen Häfen für Schiffe privater ausländischer Hilfsorganisationen schließt - wie das jetzt wieder der Fall ist bei der deutschen Lifeline. Die kreuzte am Sonntag noch immer vor Malta, mit 224 Migranten an Bord, ohne Zielhafen.

Der Vize-Premier sagt, Frankreichs Präsident Macron werde zum Feind Nummer 1

Die neue Hartherzigkeit rührt vor allem daher, dass Europa die Italiener mit dem Zustrom von Flüchtlingen über das zentrale Mittelmeer seit Jahren alleinlässt. Davon profitiert die extreme Rechte, die Lega des neuen Innenministers Matteo Salvini. Mit seiner rotzigen, zuweilen offen rassistischen Rhetorik übertönt er die ganze Regierung. Salvini sagt zum Beispiel: "Ich will das Business der Schlepper und der Mafia ausrotten." Er meint damit auch humanitären NGOs. Die Umfragewerte seiner Partei sind dramatisch angestiegen: Die Lega steht nun bei fast dreißig Prozent.

Die Frage ist nur, ob Salvinis Gehabe Italien in der Sache etwas bringt. Bisher brachte es vor allem Aufmerksamkeit und Streit mit den Partnern. Mit Emmanuel Macron, dem französischen Präsidenten, ist das fast tägliche Geblaffe so schrill, dass man sich fragen kann, wie sich das Verhältnis wieder bessern soll. Macron hält die Populisten in Rom für Aussätzige (er sprach von Lepra), während ihn diese einen "arroganten Schnösel" und "Heuchler" nennen. Luigi Di Maio, Italiens Vizepremier von den Cinque Stelle, sagt, Macron entwickle sich zum "Feind Nummer eins" der Italiener. Paris verbündet sich unterdessen mit Madrid.

Italien fehlt es an sicheren Alliierten. "Wir stehen isoliert da", schreibt die Zeitung La Stampa. Ideologisch fühlt sich Salvini den Hardlinern im Osten Europas verbunden, den Regierungen in Budapest und Warschau vor allem. Doch die wollten von einer Umverteilung von Flüchtlingen, wie sie die Italiener immer forderten, nichts wissen. Auch dem deutschen Innenminister Horst Seehofer und dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz steht Salvini politisch nahe. Doch deren Plan einer Zurückweisung der Migranten an der Grenze hätte zur Folge, dass sich die Flüchtlinge in Italien stauen, mehr noch als bisher. Roms Forderung nach Hotspots in afrikanischen Herkunfts- und Transitländern? Paris und Madrid wollen auch auf europäischem Boden geschlossene Asylzentren einrichten, vorab auf Sizilien.

Wirklich einig ist man sich nur, dass die Außengrenzen der EU besser geschützt werden sollten, mit mehr Leuten. Nur, im offenen Meer vor den italienischen Küsten ist das nun mal schwieriger als an Land, womöglich gar utopisch.

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