Italien nach Silvio Berlusconi:Von Berluscomania noch lange nicht kuriert

Silvio Berlusconi

Silvio Berlusconi am Tag seines Ausschlusses aus dem Senat gewohnt kämpferisch.

(Foto: REUTERS)

Den Staat verachten, die Gesetze ignorieren - so funktionierte das System Berlusconi. Steuert Italien nach dem politischen Aus des Ex-Premiers nun auf eine bessere Zukunft zu? Viele bezweifeln das. Denn die Haltung des Cavaliere ist tief bei den Landsleuten verwurzelt.

Von Stefan Ulrich

In Italien wird wieder die Bilanz des Ventennio gezogen, der zwanzigjährigen Herrschaft eines übermächtigen Mannes. Nur ist diesmal nicht von Benito Mussolini die Rede, sondern von Silvio Berlusconi.

Anfang 1994 enterte der Sohn eines Mailänder Bankangestellten mit seiner Bewegung Forza Italia die Politik. Jetzt, Ende 2013, warf ihn der Senat in Rom wieder über Bord. Dazwischen liegen zwei Jahrzehnte, in denen es Berlusconi phasenweise gelang, sich mit Italien gleichzusetzen. Seine Anhänger auf der Rechten und seine Gegner auf der Linken, Politiker, Journalisten, Richter ließen sich total auf ihn fixieren. Wäre es eine Krankheit, man könnte sie Berluscomania nennen. Sie ist noch längst nicht kuriert.

Berlusconi war einst angetreten, in Italien ein politisches Zwei-Lager-System einzuführen, bei dem sich Rechte und Linke an der Regierung abwechseln und der Bürger so eine klare programmatische Auswahl bekommt. Wie in den USA, in Frankreich und manchmal in Deutschland. Einerseits ist Berlusconi das gelungen. Italien folgt heute einem bipolaren System. Andererseits orientierte sich dieses System weniger an Programmen als an einer Person. Pro oder contra Berlusconi - an dieser Frage entschieden sich die Wahlen.

Das Ventennio der Verschmelzung Berlusconis mit Italien hat Spuren hinterlassen, bei beiden. Der 77 Jahre alte Ex-Premier, der so lange einen juvenilen Charme pflegte, wirkte bei seinen jüngsten Auftritten in Rom gesundheitlich schwer mitgenommen, moralisch angeschlagen und desorientiert.

Ähnliches lässt sich von Italien sagen, einem Land, in dem eine ganze Generation junger Leute in der Arbeitslosigkeit verloren geht. Nun keimt Hoffnung auf eine große Renaissance auf. In Berlusconi könnte der Dreh- und Angelpunkt der italienischen Politik wegfallen. Die Macht würde frisch verteilt. Die Parteien dürften sich neu erfinden und entdecken, was sie jenseits ihrer Haltung zu Berlusconi wirklich eint. "Wir sind in eine Phase des Urchaos eingetreten, wo alles endet und alles beginnt", glaubt Beppe Fioroni von der regierenden Demokratischen Partei.

Gibt es eine bessere Zukunft für das Land?

Geht Italien in eine bessere Zukunft, ohne Berlusconi? Ganz Europa würde das freuen. Doch der Optimismus könnte verfrüht sein. Auch ein geschwächter, für Jahre von politischen Ämtern ausgeschlossener Berlusconi hat noch reichlich Störpotenzial. Er verfügt immer noch über seine Medien, sein Milliardenvermögen und über Millionen Anhänger im Volk, die er nun um seine wiedergegründete Partei Forza Italia schart.

Gleich nach seiner Verbannung aus dem Senat hat er angekündigt, auch ohne Amt weiterkämpfen zu wollen. Statt wie ein Staatsmann auf der Bühne der Institutionen agiert er wie ein Volkstribun auf der Straße. Er wird im wirtschaftlich darbenden Italien versuchen, die große Koalition unter dem sozialdemokratischen Premier Enrico Letta vor sich herzutreiben.

Folgt die Tochter auf den Vater?

Doch auch wenn dieser Plan scheitert und Berlusconi bald politisch untergeht, ist der "Berlusconismo" noch längst nicht tot. Berlusconismo - so nennt der Geschichts- und Politikprofessor Gian Enrico Rusconi von der Universität Turin eine in Italien weit verbreitete "anarcho-liberal-konservative" Ideologie. Sie basiere auf der Verteufelung der angeblich kommunistischen Linken, der Verachtung eines ineffizienten Staats, der Missachtung seiner Gesetze und dem Willen, sich diesen zum eigenen Vorteil zu entziehen. "Berlusconi ist nicht die Ursache, sondern nur das Symptom dieser Lebenseinstellung", sagt Rusconi, ein Doyen der italienischen Politikwissenschaft. Gewiss, Berlusconi sei nur noch "ein Schatten seiner selbst".

Der Berlusconismo komme aber "aus dem tiefen Bauch des Landes". Er werde daher seinen Namensgeber überleben. Dies werde im Ausland oft übersehen, weil alle Welt sich immer nur auf Berlusconi fixiere.

Allerdings stellt sich nun die Frage, wer den Berlusconismo einmal anführen wird, wenn Berlusconi aus der Politik weicht. Rusconi wagt eine umstrittene Prognose. Marina, die 47 Jahre alte Tochter Berlusconis, Chefin der Familien-Holding Fininvest, könne den Cavaliere beerben. Nach dem Rauswurf aus dem Senat legte die Signora sich sogleich für ihn ins Zeug: "Dieses Land und diese Demokratie müssen sich dafür schämen, was mein Vater erleidet."

Wer auch immer Forza Italia anführen wird - die Partei, die diese Woche in die Opposition ging, hat Potenzial. Sie dürfte versuchen, mit Attacken auf die Regierung in Rom und die EU in Brüssel sowie mit dem Versprechen großer Steuersenkungen bei den Europawahlen im Mai zu punkten. Dabei kann sie aus dem Reservoir der Nichtwähler schöpfen und mit der linkspopulistischen Oppositionspartei Fünf Sterne um die Stimmen von Millionen staats- und Euro-verdrossenen Italienern werben.

Gefährlich ist dies vor allem für die Partei Neue Rechte Mitte, die aus moderaten ehemaligen Berlusconi-Anhängern besteht und in der Koalition mit dem Sozialdemokraten Letta bleibt. Die Neue Rechte Mitte wird von Berlusconis langjährigem Kronprinzen Angelino Alfano geführt, der als Vizepremier und Innenminister in der Regierung sitzt. Berlusconi betrachtet ihn als Verräter. In der Vergangenheit ist es ihm schon öfters gelungen, solche Renegaten in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Alfano und seine Neue Rechte Mitte dürften also rasch unter Druck geraten.

Dies wiederum könnte die Regierungskoalition mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico gefährden. Die Sozialdemokraten selbst sind, wie meist in ihrer Geschichte, durch inneren Streit zerrissen.

Am 8. Dezember will die Partei per Urwahl einen Vorsitzenden wählen. Als großer Favorit gilt Matteo Renzi, der Bürgermeister von Florenz, der bislang mehr durch geschickten Umgang mit den Medien als durch konkrete Politik glänzt. Renzi würde gern selbst Premier werden. Um dies zu erreichen, müsste er seinen Parteifreund Letta von der Regierungsspitze verdrängen. Dabei ist die Regierung mit einer anstehenden Verfassungs- und Wahlrechtsreform eigentlich schon genug beschäftigt.

Die Frage "Quo vadis Italia" ist also auch nach Berlusconis Abgang aus dem Senat schwer zu beantworten. "Die Hoffnung, dass wir ein ganz normales Volk werden, ist verflogen", sagt Professor Rusconi. "Wir sind und bleiben kompliziert."

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