Lombardei und Venetien:Auch in Italien bröckelt der Zentralstaat

Autonomiebestrebungen in Italien

Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der Präsident der Lombardei Roberto Maroni unterstützen das Unabhängigkeitsreferendum.

(Foto: dpa)
  • Einwohner der norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien stimmen ab, ob sie unabhängiger von Rom werde sollen.
  • Die Befürworter liegen deutlich vorne, die Referenden sind aber nicht bindend.
  • Im Norden Italien sehen viele den Zentralstaat kritisch und pochen auf mehr Eigenständigkeit.

Von Oliver Meiler, Rom

Wer ist schon gegen mehr Autonomie? Gegen mehr regionale Freiheit bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens, da, wo es stattfindet? In den wirtschaftsstarken norditalienischen Regionen Lombardei und Veneto stimmen die Bürger an diesem Sonntag in Referenden darüber ab, ob sie in Zukunft mehr zu sagen haben wollen und dem Zentralstaat dafür Befugnisse entziehen möchten. Der Vorsprung der Ja-Stimmen wird wohl massiv sein.

Da der Termin ausgerechnet in eine Zeit fällt, in der im gar nicht so fernen Katalonien um die Loslösung von Spanien gerungen wird, könnte leicht der Eindruck entstehen, im Norden Italiens passiere etwas Ähnliches. Es ist ein falscher Eindruck: Der Termin ist mit Rom abgesprochen und vom italienischen Verfassungsgericht mit einigen Korrekturen abgenickt worden. Ein Mailänder Politiker ließ die Wähler wissen: "Fürchtet euch nicht, bei uns verprügeln Polizisten keine Bürger, wenn sie zu den Urnen gehen." Nicht wie in Barcelona, sollte das wohl heißen.

Abgestimmt wird in sogenannten konsultativen Referenden mit vage formulierten Fragen. Im Veneto lautet sie so: "Willst du, dass der Region Veneto weitere Formen der Autonomie zu besonderen Konditionen zugestanden werden?" In der Lombardei beruft sich die Frage darüber hinaus ausdrücklich auf die Verfassung.

Im Veneto müssen mindestens fünfzig Prozent der Stimmberechtigten abstimmen, damit das Ergebnis zählt; in der Lombardei gibt es kein Quorum. Bindend ist aber keine der Abstimmungen. Sie wären nicht einmal nötig gewesen. Italiens Verfassung sieht vor, dass sich Regionalregierungen mit den zentralstaatlichen Behörden zusammensetzen können, um über eine Ausweitung ihrer Autonomie zu verhandeln.

Der Norden hält den Zentralstaat für ein gieriges "Raubtier"

Wenn in der Lombardei und dem Veneto nun trotzdem zu den Urnen gerufen wird, hat das damit zu tun, dass in beiden Regionen ein Gouverneur von der dort naturgemäß stark verankerten Partei Lega Nord regiert: Roberto Maroni und Luca Zaia regten die Referenden an und trieben sie voran. Ihr Ziel ist es, möglichst viele Bürger zur Abstimmung zu bewegen. Sie sind überzeugt, dass sich die nationale Politik einem solchen Schub nicht leicht widersetzen könnte. Man würde dann mit einem ganz anderen Selbstverständnis nach Rom fahren zu den Verhandlungen.

Natürlich geht es auch in dieser Geschichte vor allem ums Geld. Im Norden, der das Land wirtschaftlich seit jeher wie eine Lokomotive zieht, herrscht die nicht ganz verwegene Meinung vor, der Zentralstaat sei ein "predatore", ein Raubtier. Es gibt genaue Zahlen dazu: Die Lombardei mit ihren 10 Millionen Einwohnern entrichtete im vergangenen Jahr 178 Milliarden Euro an Steuergeld und bekam in Form von Fonds und Dienstleistungen nur 126 Milliarden zurück - macht eine Differenz von 52 Milliarden Euro. Im kleineren Veneto, 5 Millionen Einwohner, beträgt die Differenz 15 Milliarden Euro. Nun möchte man diesen Ausfall etwas mindern und dafür einige jener 27 Kompetenzen regional ausüben, die der Zentralstaat nicht exklusiv für sich beansprucht. Mehr möchte man gar nicht, wenigstens vorerst.

Die Lega Nord rückt in Richtung des Front National

Die Zeiten sind vorbei, da die Lega Nord von einer Loslösung der "Padania" vom Rest Italiens träumte, wie sie das Fantasieland entlang dem Fluss Po nannte. Es war die Zeit, als Parteigründer Umberto Bossi diesen Traum noch mit viel Klamauk und frei erfundenen Legenden fütterte. Unter seinem Nachfolger Matteo Salvini versteht sich die Lega mittlerweile als gesamtitalienische, nationalistische Partei. In Europa alliiert sich Salvini mit den Rechtsaußen. Die liebste Verbündete ist ihm Marine Le Pen vom französischen Front National. Salvinis Linie gefällt längst nicht allen.

Maroni und Zaia etwa haben ein moderateres Profil. Mit ihrem Neo-Föderalismus schafften es die "Governatori", einen Hauch der alten Lega zurückzubringen. Wenigstens für einige Wochen. Diskussionen gab es über die Kosten der Referenden: Im Veneto kostet die Abstimmung 14 Millionen Euro, in der Lombardei geben sie dafür 50 Millionen Euro aus.

Ins Geld fällt dort eine Neuerung, die gut zum Anspruch von Mailand passt, dem Land immer einen Schritt voraus zu sein: Die Regionalverwaltung kaufte 24 000 Tablets für die Wahllokale, damit die Bürger der Lombardei elektronisch abstimmen können. Die Kritik wurde bald so laut, dass Maroni versprach, er werde die Geräte später an die Schulen abgeben.

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