Italien:Lichtlose Sterne

Italien: Wie lange hält die Protestbewegung Fünf Sterne noch an ihr fest? Vielen Römern ist das Lächeln über Bürgermeisterin Raggi schon vergangen.

Wie lange hält die Protestbewegung Fünf Sterne noch an ihr fest? Vielen Römern ist das Lächeln über Bürgermeisterin Raggi schon vergangen.

(Foto: Gregorio Borgia/AP)

In Roms Rathaus wollten die Cinque Stelle Regierungskraft beweisen - und lieferten Pannen. Nun ist noch der Vertraute der Bürgermeisterin Virginia Raggi verhaftet worden.

Von Oliver Meiler, Rom

Wie schnell Sterne doch verblassen können. Keine sechs Monate ist es her, da haben die Römer eine junge Anwältin zur Bürgermeisterin gewählt, die frisch und entschlossen wirkte. Regelrecht gekürt haben sie Virginia Raggi. 67 Prozent der Stimmen entfielen auf die Kandidatin der Cinque Stelle, einer Protestpartei. Und genau das war drin in dieser Wahl: viel Protest, viel Zorn auf das vermaledeite "Establishment". Nur ein halbes Jahr danach ist schon alle Hoffnung weg, weggeschwemmt von Intrigen und Skandalen, von offenkundiger Unfähigkeit und Tatenlosigkeit. Am frühen Freitagmorgen haben die Carabinieri nun Raggis rechte Hand verhaftet, den mysteriösen Personalchef der Stadtverwaltung, Raffaele Marra. Der Vorwurf lautet auf Korruption. Marra soll sich eine luxuriöse Dachgeschosswohnung weit unter Preis gekauft haben. Den Rabatt von 500 000 Euro soll ihm ein bekannter römischer Bauunternehmer gewährt haben, der viele Geschäfte mit dem Kapitol laufen hat.

Die dubiose Immobiliengeschichte liegt zwar einige Jahre zurück. Dennoch könnte sie der Bürgermeisterin zum Verhängnis werden - und den Cinque Stelle gleich mit, lokal und national. In Rom wollte die erfolgreiche Bewegung ja allen zeigen, dass sie fähig ist, eine wirklich große Stadt zu regieren - und bald auch das ganze Land. Nun verkommt das Schaufenster zur Schandbühne. Der Fall Marra ist bisher Hauptakt eines verunglückten Stücks.

Es begann schon betrüblich. Nach ihrer Wahl suchte Raggi zunächst verzweifelt nach Kaderleuten für die wichtigsten Verwaltungsressorts. Die eigene Partei, die es erst seit sieben Jahren gibt, hat fast kein administrativ geschultes Personal. Manche Posten blieben auch deshalb monatelang leer, weil fähige Leute dankend ablehnten. Die zwei kompetentesten Mitarbeiter, die Raggi finden konnte, traten schon nach wenigen Wochen entnervt zurück. Unter Römern witzelte man: "Und, hat sie dich auch schon angefragt?"

Raffaele Marra aber, von dem es kaum Fotos gibt, war immer gesetzt und unantastbar, ein Supervertrauter, für viele der wahre Lenker im Hintergrund. Und das war zumindest erstaunlich. Bevor Marra in den engsten Kreis Raggis aufstieg, war er nämlich jahrelang ein mächtiger Weggefährte des Postfaschisten Gianni Alemanno gewesen, Roms viel kritisiertem Bürgermeister von 2008 bis 2013. Warum Raggi sich für ihr Kernteam ausgerechnet in der nicht sehr gut beleumdeten Entourage Alemannos bediente, im schwarzen Establishment der Stadt, war vielen ein Rätsel. Beppe Grillo, der Gründer und Chefpolterer der Cinque Stelle, forderte Raggi mehrmals auf, Marra zu entlassen, weil der so gar nicht zum Profil der Bewegung passte. Doch Raggi stemmte sich mit Macht dagegen. Ähnlich rabiat verteidigte sie ihre ebenfalls Skandal umwehte und umstrittene Zuständige für die Abfallentsorgung, Paola Muraro, bis diese vor einigen Tagen zurücktrat. Auch gegen sie ermittelt die Justiz.

Der magische Zirkel Virginia Raggis ist gründlich entzaubert

Vom "Raggio magico", dem magischenKreis, wie die Medien Virginia Raggis eingeschworene Machtzirkel mit einer Spitze Ironie nennen, ist nicht mehr viel übrig. Das Credo, sauberer und transparenter zu sein als die etablierten Parteien? Erschüttert in nur sechs Monaten. Verheerender aber ist, dass viele Römer finden, ihre Stadt werde überhaupt nicht mehr regiert, sondern sie dämmere führungslos dahin. Und so sinkt die Popularität der Fünf Sterne so schnell, wie sie gestiegen war. Zumindest in der Hauptstadt, im Schaufenster. National bleiben die Werte unterdessen unvermindert hoch: Rund 30 Prozent der Italiener sagen, sie würden Cinque Stelle wählen, wenn morgen gewählt würde. Das Nein zum Verfassungsreferendum vom 4. Dezember spiegelte die Stärke der Partei. Entsprechend viel steht in Rom auf dem Spiel. Es gibt Theorien, wonach die Partei ihre römische Bürgermeisterin bald fallen lassen könnte, damit sie umgekehrt nicht von Virginia Raggi in die Tiefe gezogen wird.

Wie eine kleine Genugtuung dürfte da die Meldung gewirkt haben, dass der wichtigste politische Gegner, der sozialdemokratische Partito Democratico, auch ein Problem mit einem berühmten Bürgermeister einer großen Stadt hat - und das zeitgleich: Giuseppe Sala, der linke Stadtpräsident von Mailand, kündigte an, er werde sein Amt eine Weile ruhen lassen. Aus den Medien hatte er erfahren, dass die Mailänder Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittle. Was ihm genau vorgeworfen wird, war zunächst unklar.

Der Fall handelt von der Mailänder Expo, der Weltausstellung von 2015, der Sala als Cheforganisator vorstand. Von den vielen Bauaufträgen, die damals vergeben wurden, war einer besonders groß, mehr als 170 Millionen Euro, und offenbar auch besonders fragwürdig: Die Baufirma Mantovani sicherte sich damals den Auftrag mit einer Offerte, die 42 Prozent unter der Konkurrenz lag. In der Folge einigte man sich dann aber unter zweifelhaften Umständen, die Kosten zu erhöhen. Das Verfahren läuft schon seit einiger Zeit. Salas Name steht neu auf der Liste der Verdächtigten. Und so stehen plötzlich und gleichzeitig die Bürgermeister der beiden größten Städte Italiens im Sturm.

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