Italien:Italiens verwelkte Begeisterung für Europa sollte ein Weckruf sein

Italien: Eigentlich ein begeisterter Europäer: der italienische Premierminister Matteo Renzi, hier am 13. Januar 2016 in Rom.

Eigentlich ein begeisterter Europäer: der italienische Premierminister Matteo Renzi, hier am 13. Januar 2016 in Rom.

(Foto: AFP)

Premier Renzi beschwert sich über die Pfennigfuchser in der EU - und über mangelnden Respekt. Bei seinem Besuch in Berlin sollte man ihn endlich ernst nehmen.

Kommentar von Oliver Meiler

Berlin, Freitag, 12.30 Uhr - das ist kein Termin für ein Gala-Essen, auch keiner für ein Tête-à-tête bei Kerzenlicht. Eingeladen hat Angela Merkel. Angereist kommt Matteo Renzi, Italiens Premier. Das sind zwei, die sich persönlich gut verstehen. Zwei, die einander politisch brauchen. Sie hält ihn für den richtigen Mann, um Italien zu reformieren. Renzi zählt im Gegenzug auf Merkels Unterstützung, wenn Italien in Europa um Geduld bittet. Vor einigen Monaten hätte das Treffen als Routine gegolten, zwecks Bekundung gegenseitiger Wertschätzung. Nun ist alles anders. Die Beziehung bedarf plötzlich eines kräftigen Bekenntnisses, samt schönen Fotos und warmen Worten.

Seit einigen Wochen mault Renzi über Brüssel, meint aber Berlin. Er hält der EU-Kommission vor, sie behandle Italien wie eine Provinz und zeige ein kleinliches und kurzsichtiges "Nullkomma"-Denken; tatsächlich meint Renzi aber den Budget-Rigorismus Wolfgang Schäubles. Europa, findet der Italiener, werde aus Deutschland regiert, zu dessen Nutzen.

Neu ist diese Behauptung nicht. Doch warum macht Renzi, der vielleicht beste Alliierte, ausgerechnet jetzt, da Merkel den heikelsten Moment ihrer Kanzlerschaft erlebt, so viel Lärm? Es gibt dafür einen politischen und einen ideellen Grund, einen taktischen und einen löblichen.

Renzi kritisiert die EU - obwohl er überzeugter Europäer ist

Renzi rechnet sich aus, dass sein Druck dazu führt, dass Brüssel seinen Haushaltsplan für 2016 billigt. Darin sind zusätzliche Mittel eingeplant, um Steuerversprechen einzulösen, die seiner Regierung Rückhalt geben könnten. Unmittelbar bedroht ist die Regierung Renzi zwar nicht. Doch derzeit legen all diejenigen italienischen Parteien zu, die gegen die EU und den Euro agitieren. Mit seinem Poltern gegen Brüssel und Berlin beteiligt sich der Premier ein bisschen am Markt der Europakritik.

Redlich ist das nicht, da Renzi selbst überzeugter Europäer ist. Er riskiert so, jene Ressentiments zu schüren, die da und dort wegen Merkels Flüchtlingspolitik aufgekommen sind. Dabei stehen sich die beiden auf diesem Gebiet nahe - animiert vom Imperativ des Humanismus, wenn es um die Aufnahme von Schutzbedürftigen geht. "Mare Nostrum" war gewissermaßen der Vorgänger von "Wir schaffen das".

Renzi versucht auch, Rom neu zu positionieren, erstklassiger. Dafür erscheint der Moment geeignet: Paris ist mit sich selbst beschäftigt, London mit "Brexit", Madrid mit der Unregierbarkeit nach der Wahl. Von den großen Mächten der EU ist neben Deutschland nur Italien politisch stabil.

Italiens verwelkte Begeisteurng sollte ein Weckruf sein

Die Probleme mit den italienischen Schulden sind natürlich real, sie kosten Rom jedes Jahr 80 Milliarden Euro an Zinsen. Und die Wirtschaft wächst noch nicht so, wie Renzi es sich wünscht. Dennoch hat er recht, wenn er das "Nullkomma"-Denken geißelt, dieses kalte Verwalten in Dezimalstellen. Auf keinem anderen Gebiet ist Brüssel die Glaubwürdigkeit wichtiger als bei der Einhaltung der Budgetvorgaben. Nicht bei den Werten, nicht bei der Solidarität. Die Italiener waren einmal euphorische Europäer. Sie gehörten zum Gründerteam der Union. Sie beseelen und beleben Europa mit ihrer Kultur, mit ihrem selbstironischen Geist, ihrem Sinn fürs Schöne und Gute, für Pathos und Theater. Nun ist die Begeisterung der Italiener für Europa verwelkt. Das sollte wie ein Weckruf wirken - in Brüssel, in Berlin.

Auch deshalb ist Renzi so laut. Der Italiener könnte ein Sinnstifter sein, ein Leader mit Zukunft. Er ist jung, 41 Jahre alt erst. Er hat Charisma. Er beweist, dass er reformieren kann. Manchmal ist er vorlaut, ein bisschen süffisant sogar in seinem Furor. Man sollte ihn in die Pflicht nehmen, nach Lösungen fragen. Ernst nehmen sollte man ihn, als inspirierenden Alliierten in diesem schwierigen Moment. Am besten jetzt, in Berlin, am Freitag um 12.30 Uhr.

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