Italien in politischer Agonie:Linke, Rechte, Wüteriche

Wahlplakat der Partito Democratico in Rom

Nach der Wahl in Italien: Die Überreste eines Wahlplakats der Partito Democratico.

(Foto: Reuters)

Warum bloß tun die Italiener sich und dem Kontinent das an? Mit dem Rechtspopulisten Berlusconi und dem Komiker Grillo sind ein gerissener Faun und ein tobender Clown die Sieger der Wahl. Gegen sie kann Bersani mit seinem Mitte-links-Bündnis nichts bewirken - doch auch eine Koalition scheint schwierig bis unmöglich. Das Land wirkt unregierbar. Doch vielleicht kommt es ja anders.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Ein Traum von Italien: Die Bürger honorieren den Rettungskurs Mario Montis. Seine Partei wird stärkste Kraft im Parlament. Sie bildet mit der moderaten Linken unter Pier Luigi Bersani eine stabile Regierung, um die Reformen fortzusetzen. Die Protestbewegung Fünf Sterne des Beppe Grillo landet auf dem dritten Platz. Sie sorgt aus der Opposition heraus für Reformdruck. Silvio Berlusconi aber, der Italien wirtschaftlich, politisch und moralisch ruinierte, wird mit seiner Partei der Freiheit abgestraft.

So träumten die Regierenden in Berlin und der ganzen EU, weil sie Italien schon aus eigenem Interesse alles Gute wünschten. Und nun: aus der Traum. Nur jeder zehnte Italiener stimmt für Monti. Die Wahlen werden zur Opera buffa, über die kaum jemand lachen kann. Ein gerissener Faun und ein tobender Clown sind die Überraschungssieger.

Berlusconi wird mit seinem Parteienbündnis annähernd so stark wie die Linke im Senat. Grillos Wuttruppe erhält bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus mehr Stimmen als irgendeine andere Partei. Zusammengenommen heimsen Berlusconi und Grillo, die gern gegen die EU agitieren, 55 Prozent der Stimmen ein. Gegen sie können Monti und Bersani nicht regieren. Das ist ein Desaster für Italien. Für Europa.

Bleigewicht Brüssel

Warum tun die Italiener das sich und dem Kontinent an? Eine Antwort lautet: Viele Bürger glauben nicht mehr an Staat und Allgemeinwohl. Ihre Hoffnungen auf Reformen wurden über Jahrzehnte enttäuscht. Ob sie für Christdemokraten, Kommunisten, Berlusconi oder Reformlinke stimmten, am aufgeblähten, ineffektiven, korrupten Parteienstaat änderte sich wenig - außer dass die Steuern stiegen.

In ihrem Frust auf den eigenen Staat wandten sich die Italiener früher Europa zu. Kein anderes Volk bekannte sich so begeistert zur EU. Doch nun wird Brüssel nicht mehr als Rettungsanker wahrgenommen, sondern als Bleigewicht, das Italien in den Abgrund zieht.

Die Reformen Montis haben das Leben vieler Italiener zunächst verschlechtert. Jugendliche finden noch seltener feste Arbeit. Alte kommen mit ihrer Rente kaum aus. Die Wirtschaft steckt in der Rezession. Der kühle Berliner Reform-Realismus, der die EU prägt, wird als feindliches Diktat wahrgenommen. Monti und Bersani - aber auch Berlin und Brüssel - konnten vielen Italienern nicht vermitteln, dass auf die Rosskur die Genesung folgt. Hoffnungslosigkeit treibt die Menschen überall zu den Demagogen.

Italien wirkt unregierbar

Berlusconi verkörpert die zynische Reaktion der Enttäuschten: Jeder bereichere sich, so gut er kann. Vor der Wahl versprach er den Bürgern die Rückzahlung von Steuern in Milliardenhöhe. So etwas nennt man Stimmenkauf. Grillo dagegen steht für die utopische Reaktion: das Ausmisten des Augiasstalls; ein Referendum über den Euro; der große Neustart.

Diese Wahl bringt Italien zugleich eine Systemwende. Die Erste Republik nach dem Krieg wurde von Christdemokraten dominiert. Sie gingen Bündnisse mit kleinen Parteien ein und regierten zur Mitte hin. Nachdem dieses System in Korruption versank, versprach Berlusconi Anfang der Neunzigerjahre eine bessere Zweite Republik. Ein Bipolarismus nach US-Vorbild, bei dem sich Rechte und Linke in der Regierung abwechseln, sollte Italien stärken. Die Idee war nicht schlecht. Doch sie scheiterte.

Italien neigt historisch zu einem wütenden Dualismus: Ghibellinen gegen Guelfen, Don Camillo gegen Peppone, Nord gegen Süd, Lazio gegen Roma. Nun standen sich der Berlusconi-Block und die Linke wie Todfeinde gegenüber. Beide Lager hatten zudem eine große Schwäche. Berlusconi ging es nicht um Reformen, sondern um seine Macht und seine Wirtschaftsinteressen. Die Linke wiederum lag mit sich selbst im Dauerstreit.

Dreigeteiltes Land

Die Dritte Republik zeigt nun ein dreigeteiltes Land: Berlusconis Rechte, Bersanis Linke und Grillos Wüteriche. Um Italien zu regieren, müssten zwei der großen drei koalieren. Das ist schwierig bis unmöglich. Die Linke darf Berlusconi nie trauen. Auch für Europa ist er unzumutbar.

Grillo wiederum hat klargestellt, dass er alle anderen für korrupte Versager hält. Was seine Partei will, steht in den Sternen. Neuwahlen wären nur ein Ausweg, wenn zuvor das Wahlrecht geändert würde. Darauf müssten sich die Parteien einigen. Italien wirkt unregierbar.

Doch womöglich kommt es anders. Vielleicht entdecken die Parlamentarier der Grillo-Bewegung und der Linken ein gemeinsames Interesse: das Wohl ihres Landes. Vielleicht verwandeln sich Grillos Wutbürger in bürgerfreundliche Reformer, die mit der moderaten Linken regieren. Berlusconi wäre dann von der Macht abgeschnitten. Die Justiz könnte ihn endlich zur Verantwortung ziehen. Doch auch das ist nur ein Traum.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: