Italien in der Krise:"Berlusconi zerstört das demokratische Bewusstsein"

Die Autorin Friederike Hausmann schildert, wie sich Berlusconi der Kirche anbiedert und wieso sein Sexualleben weniger Aufmerksamkeit verdient hat.

Matthias Kolb

Friederike Hausmann beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit italienischer Geschichte und dem deutsch-italienischen Verhältnis. Zudem hat sie unter anderem die Bücher von Roberto Saviano und Raffaele Cantone ins Deutsche übertragen. Soeben ist ihr Buch über Italien in der Reihe "Die Deutschen und ihre Nachbarn" erschienen.

Italien in der Krise: Er sorgt immer für Schlagzeilen: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Er sorgt immer für Schlagzeilen: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

(Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: Ist Silvio Berlusconi ein Polit-Parvenü oder wirklich gefährlich?

Friederike Hausmann: Die Europäer und die Deutschen machen es sich zu einfach, wenn Berlusconi immer nur ausgelacht wird. Die Entwicklung dahinter wird vergessen. Sein Sexualleben ist weniger wichtig als die Medienmacht, die Aushöhlung der Demokratie und die weitverbreitete Korruption.

sueddeutsche.de: Die Altherrenwitze und seine Sprüche, er sei der beste aller italienischen Ministerpräsidenten, sollen also nur ablenken?

Hausmann: Ja, das ist auch ein Erbe der Ersten Republik. Bis Anfang der neunziger Jahre, zu Zeiten der Christdemokraten, war es auch so, dass ein Skandal den nächsten jagte und alle Medien nur darüber berichteten. Was im Geheimen gemauschelt wurde, welche Gesetze beschlossen wurden, um die eigene Klientel bei Laune zu halten, darüber sprach niemand. Heute hat Berlusconi mit seiner Medienmacht viele politische Hebel. Er wirft eine Idee nach der anderen in die Debatte und schlägt schon mal vor, das Parlament zu verkleinern und nur mit Hilfe von Kommissionen zu regieren. Daraus wird dann natürlich nichts, aber die Idee ist dann schon mal lanciert.

sueddeutsche.de: Wirkt das über Italien hinaus?

Hausmann: Indirekt beeinflusst Berlusconi auch die Wahrnehmung von Politik in Deutschland. Nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier saß der Theatermann Claus Peymann in einer Talkshow und schimpfte los: Der Pep habe gefehlt, der Berlusconi sei viel besser. Das ist doch traurig und bezeichnend: Sogar ein kluger Mann wie Peymann erwartet mittlerweile diese Art von Schaumschlägerei.

sueddeutsche.de: Mit Berlusconi, den Sie als "wirkliche Ausnahmeerscheinung unter den Politikern unserer Tage" bezeichnen, wäre es sicher lauter und impulsiver geworden.

Hausmann: Klar, aber ist es nicht besser, wenn zwei Politiker Vorschläge austauschen und sich nicht ständig attackieren? Ein Duell, das ist die Art von Politik, die Berlusconi macht: Er konfrontiert, er umwirbt la gente, die kleinen Leute, und polemisiert - ohne dass man nachher weiß, wofür er steht. In Italien ist die Polarisierung zwischen zwei Lagern, die fast gleich groß sind, schon weiter. Es geht immer um die zwei oder drei Prozent in der Mitte. Insofern kann man schon sagen, dass Italien kein sehr schönes Vorbild abgibt.

sueddeutsche.de: Der Politologe Gian Enrico Rusconi hat "eine schleichende Entfremdung zwischen Deutschland und Italien" konstatiert. Wieso lieben sich die beiden Völker nicht mehr?

Hausmann: Diese These ist umstritten. Einige deutsche Zeithistoriker widersprechen heftig und verweisen etwa auf die immer noch steigende Reiselust in beide Richtungen und die engen Wirtschaftsbeziehungen. Aber diese Debatte ist typisch für das deutsch-italienische Verhältnis: Es gibt einerseits die Politik und andererseits den Rest.

sueddeutsche.de: Und in den politischen Beziehungen gibt es Probleme?

Hausmann: Da hat Rusconi sicherlich recht. Es fing nicht erst vor zwanzig Jahren an: Aber damals stand etwa die Regierung Andreotti der Wiedervereinigung skeptisch gegenüber und später waren die Deutschen unter Kohl sehr kritisch, als es darum ging, Italien in die Währungsunion aufzunehmen. Das hat natürlich böses Blut hinterlassen. Außerdem hat Italien zum europäischen Einigungsprozess wenig beigetragen. Den Rest hat Berlusconi besorgt.

sueddeutsche.de: Es gibt ja auch die These, dass viele Italiener gar keine Reformen wollen und Berlusconi als Garanten dafür sehen, dass alles so bleibt wie bisher: Jeder trickst bei der Steuer und schafft mit einer kleinen Geldzahlung manches Problem aus der Welt.

Hausmann: Diese Haltung hat Berlusconi geerbt, die schlechte Steuermoral oder den laschen Umgang mit den Umweltgesetzen. Gerade am Anfang der Bewegung der mani pulite Mitte der neunziger Jahre, als die Staatsanwälte um Antonio di Pietro der Korruption ein Ende setzen wollten, wurde ihnen zugejubelt. Doch sobald die Ermittlungen dazu führten, dass es auch die Kleinen erwischt hat, kippte die Stimmung und vieles blieb beim Alten.

sueddeutsche.de: Noch immer spricht Italien über die Callgirl-Affären und die Scheidung. Aber auch wenn La Repubblica Berlusconi mit täglichen Fragen unter Druck setzt und die Kirche kritischer wird, kann ihm anscheinend keiner gefährlich werden.

Hausmann: Gegen die kritische Presse geht er mit Anwälten vor und sein Verhältnis zur Kirche ist zwiespältig. Es gibt natürlich Kritik an seinem Verhalten, aber auf der anderen Seite greift die Kirche unter Benedikt XVI. viel stärker in die Politik ein als früher. Wenn es um Abtreibung, Sterbehilfe, gleichgeschlechtliche Partnerschaft geht, dann sagt die Kirche offen ihre Meinung und die Regierung Berlusconi folgt ihr oft. Er ist der Politiker, der dem Klerus Steuergeschenke macht und sich der Kirche am meisten anbiedert.

Das Image der Deutschen in Italien

sueddeutsche.de: Aber die Kirche protestiert doch deutlich gegen die Flüchtlingspolitik und die Attacken gegen den Chef der kirchennahen Zeitung L'Avvenire können dem Vatikan auch nicht gefallen.

Hausmann: Beide Seiten haben nicht immer die gleiche Meinung, die Kirche hat sich auch deutlich gegen den Afghanistan-Einsatz ausgesprochen. Dennoch gibt es in vielen Punkten große Übereinstimmungen.

sueddeutsche.de: Kommen wir zurück zum deutsch-italienischen Verhältnis. Welches Image haben wir Deutsche denn in Italien?

Hausmann: Als ich in den siebziger Jahren nach Italien umgezogen bin, galt ich noch als Vertreterin des Nationalsozialismus. Es gab einen Comic namens "Sturmtruppen" und selbst Boris Becker wurde nur Panzer genannt. Das Bild der Deutschen war eher negativ, aber es hat sich völlig gewandelt und es überwiegt ein sehr europäisches Denken. Wie überall hält man die Deutschen nach wie vor für ordnungsliebend und effizient.

sueddeutsche.de: Das Sprichwort, die Deutschen und die Italiener hätten ein solch besonderes Verhältnis zueinander, weil jeder gern so wäre wie der andere, stimmt also doch.

Hausmann: Es hat einen wahren Kern, dass die Deutschen gerne lockerer und die Italiener gerne etwas besser organisiert wären. Hier hat sich ja auch einiges geändert: In meiner Jugend war Frankreich das Vorbild für Lebensfreude: Paris, Chansons und Baguette. Heute schwärmen alle von Italien und Spanien. Es gibt auch einen gewissen kulinarischen Imperialismus der Italiener: Pasta, Pizza und Espresso haben sich weltweit durchgesetzt.

sueddeutsche.de: Sie haben auch die aufsehenerregenden Mafia-Bücher von Roberto Saviano und Raffaele Cantone übersetzt. Wehren sich die Italiener jetzt gegen die Mafia?

Hausmann: Gerade im Süden ist eine Gegenbewegung in der Bevölkerung entstanden, von der man hier leider nur wenig hört. Es gibt mutige katholische Geistliche, engagierte Jugendgruppen und auch immer mehr Geschäftsleute, die sich weigern, Schutzgeld zu zahlen. Dank Saviano gibt es wieder ein stärkeres Bewusstsein für das Problem und man leugnet nicht länger, dass es die Mafia gibt.

sueddeutsche.de: Aber ist die Mafia nicht zu mächtig, um zerschlagen zu werden?

Hausmann: Ja, das stimmt leider. Ihre Tentakel sind mittlerweile so weit in der Wirtschaft drin, dass dies kaum mehr zu entwirren ist. Vor allem sind die Firmen der Camorra und 'Ndrangheta längst in Norditalien, in Deutschland und dem Rest Europas angekommen - besonders im Baugewerbe. Dort machen sie das, was der Kapitalismus von ihnen fordert, nämlich Profit auf Teufel komm raus.

sueddeutsche.de: An der Mentalität hat sich wenig geändert?

Hausmann: Der Staatsanwalt Cantone schildert in seinem Buch einen typischen Fall. In Norditalien lebte ein Geschäftsmann, von dem alle wussten, dass er aus dem Süden kam. Als es darum ging, ein Geschäftszentrum zu bauen, verlangte die Bank Sicherheiten für einen Kredit. Es fehlte eine gewisse Summe und dann sagte der Geschäftsmann: "Okay, ich kümmere mich drum." Drei Tage später war das Geld da und keiner hat mit der Wimper gezuckt. Die Staatsanwälte konnten den Fall rekonstruieren: Das Geld wurde an der Autobahnraststätte in einer Plastiktüte übergeben.

Die Frage nach der Nachfolge

Italien in der Krise: Die Autorin und Italien-Expertin Friederike Hausmann warnt davor, über Berlusconi nur zu lachen.

Die Autorin und Italien-Expertin Friederike Hausmann warnt davor, über Berlusconi nur zu lachen.

(Foto: Foto: Robert Haas/ SZ-Photo)

sueddeutsche.de: Wie kamen die Staatsanwälte dem Deal auf die Spur?

Hausmann: Nach den vielen Anschlägen auf Politiker und Polizisten haben die Staatsanwälte in Italien Vollmachten, die Behörden in Deutschland nicht haben. Es ist viel leichter, Verdächtige abzuhören, was die deutschen Beamten etwa nach den Duisburger Morden nicht konnten. Die Italiener dürfen das und tun es auch. Man darf das nie vergessen: Es gibt ein anständiges Italien, etwa die vielen Staatsanwälte und Polizisten, die ganz mutig, ehrlich und hartnäckig sind, um die Mafia-Verbrechen aufzuklären und dafür ihr Leben riskieren.

sueddeutsche.de: Aber die Unabhängigkeit der Justiz ist doch auch durch Berlusconis Politik gefährdet.

Hausmann: Das ist leider wahr, wobei man sagen muss, dass dieser schleichende Prozess durch die linken Politiker auch nicht aufgehalten wurde. Dabei hat die dritte Gewalt in Italien eine in Europa einmalige Stellung, weil sie wirklich unabhängig ist. Allerdings wird immer wieder versucht, ihre Freiheit einzuschränken.

sueddeutsche.de: Berlusconi wird bald 73 Jahre alt. Wer wird ihm einmal nachfolgen?

Hausmann: Er sagt nichts dazu. Das ist vielleicht die entscheidende Schwäche, dass er keinen Nachfolger aufbaut. Hinter seinem Rücken hat der Kampf schon begonnen. Klar zu erkennen ist, dass sich der Chef der Postfaschisten, Gianfranco Fini, als zuverlässiger und konservativer Mann im Hintergrund aufbaut. Er ist momentan Parlamentspräsident und bringt sich eindeutig in Stellung, zumal er nun keine eigene Partei mehr hat.

sueddeutsche.de: Aber wird das System Berlusconi nicht implodieren, wenn er abtritt oder stirbt? Es lebt doch von seiner Person und seiner Vita.

Hausmann: Nahtlos wird es nicht weitergehen, das ist klar. Aber ich fürchte, dass Berlusconi schon so viel an demokratischem Bewusstsein kaputtgemacht hat, dass es schwer sein wird, dies wieder in Ordnung zu bringen. Ich habe meine Zweifel, ob der kreidefressende Wolf Fini nicht einfach die Kreide verschluckt und zeigt wo's lang geht. Fini ist immer noch von den alten Faschisten umgeben, die sind keineswegs stillgestellt und pflegen ihre Netzwerke. Was da im Hintergrund läuft, ist bedenklicher und schlimmer als alles, was man an der Oberfläche sieht. Leider wird das alles verdeckt von den Geschichten über Berlusconis Sexualleben.

Friederike Hausmanns Buch "Italien" ist in der von Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker herausgegebenen Reihe "Die Deutschen und ihre Nachbarn" des Beck-Verlags erschienen und kostet 18 Euro. Es bietet einen kompakten und lesenswerten Überblick über die Geschichte der italienischen Halbinsel der letzten 2000 Jahre und die vielfältigen Verbindungen zu Deutschland.

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