Italien:Geraune in den Kulissen

Italian PM Renzi arrives at Quirinale Palace

Um den Fahrplan seiner Demission abzusprechen, begab sich Matteo Renzi "auf den Hügel", wie es heißt, wenn Politiker in Rom hinauf fahren zum Staatsoberhaupt im Quirinalspalast.

(Foto: Massimo Percossi/dpa)

Matteo Renzi muss seinen Rücktritt als Premier noch ganz kurz aufschieben. Voll in Gang sind dafür die Planspiele der Parteien. Zu denen, die möglichst schnell Wahlen wollen, gehört auch der Partito Democratico.

Von Oliver Meiler, Rom

Italien hat nun also einen Premier mit einem auf Eis gelegten Rücktritt - einem eingefrorenen gewissermaßen. So nennt sich das im reich bestückten Jargon der italienischen Politik. Matteo Renzi soll noch einige Tage weiterregieren, um dem Land wenigstens einen gültigen Haushaltsplan für das kommende Jahr zu bescheren. So wollte es Staatspräsident Sergio Mattarella, der leise Landesvater in der Rolle des Stabilitätsgaranten und Schiedsrichters. Die Budgetvorlage muss noch durch den Senat, der ja jetzt, nach Ablehnung der Verfassungsreform, in seiner ganzen Pracht bestehen bleibt. Auf der Agenda steht das Geschäft an diesem Mittwoch.

Den Fünf Sternen gefällt plötzlich das Wahlgesetz ganz gut. Bisher verdammten sie es

Danach taut das Eis ganz schnell, und Renzi darf auch formal zurücktreten. Doch natürlich ist die Regierungskrise bereits in Gang. Italien hat in seiner Geschichte schon so viele davon erlebt, dass es daraus eine republikanische Liturgie entwickelt hat - mit festen Ritualen, Gipfeln in den Parteizentralen und ständigen Konsultationen beim Staatspräsidenten in dessen Palast auf dem Quirinalshügel. Politik und Medien leben diese Phase fiebriger Geschäftigkeit mit spürbarer Lust. Es wird viel spekuliert, manchmal auch wild fabuliert. Das liebste Genre in dieser Zeit sind die sogenannten Retroscene in den Zeitungen, die vermeintlichen Blicke hinter die Kulissen der Macht. Es sind nicht alle gleich verlässlich. Sie sind es selbst dann nicht immer, wenn die politischen Protagonisten mit Anführungs- und Schlusszeichen zitiert werden.

Erstaunliche O-Töne von Renzi lieferte zum Beispiel die Turiner Tageszeitung La Stampa in einem Bericht auf Seite 5, der von den "wahren Wünschen" des Premiers handelt: "Ich würde jetzt gerne richtig abschalten", soll er zu Mattarella gesagt haben, "ein Sabbatical nehmen, ein Jahr in Amerika zum Beispiel. Doch meine Parteikollegen lassen mich nicht gehen." Auf Seite 3 in derselben Ausgabe schreibt La Stampa, Renzi brenne darauf, dass es bald Neuwahlen gebe, wenn möglich schon im Februar. Er wolle dann als Kandidat antreten. Klingt widersprüchlich. Doch Widersprüche passen ganz gut in die Liturgie dieser hektischen Zeit.

Unter den großen Parteien und ihren Chefs herrscht inzwischen eine gewisse Einigkeit darüber, dass bald gewählt werden soll - aus je unterschiedlichen Motiven. Einzig Silvio Berlusconi von Forza Italia würde es vorziehen, noch etwas zu warten.

Auf den ersten Blick könnte es überraschen, dass es auch den sozialdemokratischen Partito Democratico, der eben erst eine schwere Niederlage erlitten hat, mehrheitlich an die Urnen drängt. In Renzis Entourage fand man aber schnell Grund für Optimismus - eine Zahl: 13 Millionen. So viele Italiener (40,9 Prozent der Abstimmungsteilnehmer) haben beim Referendum mit Ja gestimmt. Und weil dieses Referendum über die neue Verfassung die meisten Italienern wie ein Plebiszit über Matteo Renzi wahrgenommen haben, glauben die "Renzianer" nun, 13 Millionen sei ihr Kapital. Das sind zwei Millionen Wähler mehr als bei der Europawahl von 2014, als die Partei ein Rekordresultat erzielte.

Die Rechnung ist gewagt, sie mischt Äpfel mit Birnen. Doch Renzi trachtet wohl nach einer schnellen Revanche. Zunächst müsste er sich mit diesem Plan aber in seiner Partei durchsetzen. Der linke, rebellische Flügel stellt sich quer.

Möglichst rasche Wahlen strebt auch Beppe Grillo von der Protestpartei Cinque Stelle an. Er will die Welle reiten. Für Verwirrung sorgt die Partei nun damit, dass sie die Italiener plötzlich doch gerne mit dem Wahlgesetz "Italicum" wählen lassen würde - nicht nur für das Abgeordnetenhaus, sondern auch für den Senat. Bis vor Kurzem hieß es bei den Cinque Stelle noch, das "Italicum" sei des Teufels, weil es der siegreichen Partei eine überproportionale Sitzprämie zugestehe. Mittlerweile dämmert allen, dass die "Grillini" mit dem Modus den Sprung an die Macht schaffen könnten. In den jüngsten Umfragen liegen der Partito Democratico und die Cinque Stelle in der Gunst der Wähler nämlich fast genau gleichauf - bei etwa 30 Prozent der Wahlabsichten. In einer Stichwahl zwischen den beiden größten Parteien, wie sie das "Italicum" in einem solchen Fall vorsieht, gewännen laut Umfragen die Fünf Sterne.

Etwas abgeschlagen ist der rechte Pol im italienischen Politgefüge. Berlusconis bürgerliche Forza Italia und Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega Nord bringen es je auf etwa zwölf Prozent - und sie raufen sich um die Vorherrschaft im rechten Lager. Salvini möchte gerne sehr bald wählen gehen. "In einigen Wochen schon", sagte er, "aber natürlich wollen wir unsere Landsleute nicht bei der Weihnachtsfeier stören." Salvini fordert Berlusconi auf, sich mit ihm vorab in Urwahlen zu messen. Damit endlich klar sei, wer die Rechte führe. Berlusconi möchte dieses Duell möglichst vermeiden. Überhaupt wäre es ihm lieber, wenn es gemächlich weiterginge und er sich einen Plan zurechtlegen könnte. Einmal noch im großen Stil mitmischen, vielleicht in einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten, als hübsches Finale einer langen Karriere. Auch das ist Stoff aus den "Retroscene".

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