Italien:Gefangen im Bad

Eine Italienerin will einen Handwerker zu mehr Ehrlichkeit beim Steuerzahlen erziehen. Nun ist sie die Dumme.

Von Oliver Meiler

Es gibt noch Helden des Alltags, Rebellen wider die Resignation. Und wahrscheinlich gehört Pina Conrotto aus Chieri bei Turin zu dieser hehren Kategorie. "Signorina Pina", wie sich die 75-jährige Rentnerin rufen lässt, weil sie ja noch zu haben sei, hat es schon mal auf die ersten Seiten der großen italienischen Zeitungen geschafft. Eines der Blätter wäre gar bereit, eine Kollekte zu starten, sollte Fräulein Pina, und das ist durchaus möglich, trotz ihres heroischen Handelns zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Wegen Freiheitsberaubung.

Die Geschichte liegt einige Tage zurück. Pina Conrotto holte sich einen Klempner in ihre Wohnung im fünften Stock, der sollte den Boiler und einen Dichtungsring in der Küche reparieren. Als es ums Zahlen ging, bat sie um eine Rechnung. Der Klempner aber mochte keinen Beleg ausstellen, wie das Klempner in Italien selten bis nie möchten. Elektriker, Maler und Schreiner übrigens auch nicht. Und Privatärzte und Mechaniker ebenso wenig. Schwarz ist günstiger. Nur wenn sie gut drauf sind, fragen die Handwerker beim Einpacken ihrer Utensilien: "Mit oder ohne Rechnung?" Oder sie sagen recht ultimativ: "Mit Rechnung 200 Euro, ohne Mehrwertsteuer 150, und wir reden nicht mehr drüber!" Meist gibt man klein bei, obschon auch die 150 sehr oft überteuert sind. So macht man sich still zum Komplizen der Steuerhinterziehung.

Dem italienischen Finanzamt, muss man wissen, entgehen jedes Jahr mehr als hundert Milliarden Euro, weil die Bürger, im Kleinen wie im Großen, ihrem Staat nicht so gerne Geld entrichten. Hundert Milliarden, damit ließe sich etliches finanzieren. Stattdessen erlässt der geprellte Staat alle paar Jahre eine Steueramnestie, achtzig solcher Ablässe gab es seit der Einigung Italiens 1861. Die Idee aber ist noch viel älter: Schon Kaiser Hadrian hatte den Steuersündern vergeben, das war im Jahr 118 nach Christus.

Fräulein Pina also wehrte sich gegen das übliche Schattengeschäft, es gab Streit. Offenbar ohrfeigte der Klempner die Dame, aber dieser Punkt ist umstritten. Jedenfalls schloss Fräulein Pina den Handwerker in ihr Bad ein und verließ die Wohnung. Nach einigen Stunden erst kamen die Carabinieri, befreiten den Mann und stellten beide zur Rede. Die Frau erzählte der Polizei, sie habe vierzig Jahre lang als Friseurin gearbeitet, immer ehrlich, sie bereue nicht, was sie gemacht habe: "Ich habe aus Instinkt gehandelt, der Betrug gehört sich doch nicht." Allein, die Justiz sieht das anders, sie hält Pina Conrotto für eine Geiselnehmerin. Wird sie verurteilt, muss sie dem Klempner eine Entschädigung entrichten.

Der Corriere della Sera schreibt in seiner satirischen Kolumne "Il Caffè": "Vielleicht ist sie verrückt, die gute Pina, ganz sicher sogar. Denn in diesem Land muss man verrückt sein, wenn man sich aufrafft und sich gegen diesen einen Diebstahl auflehnt, den alle dulden und der sich jeden Tag an Tausenden Orten gleichzeitig ereignet." Die Frau habe deshalb die ganze Zuneigung verdient, und notfalls sogar eine Spende der Zeitung. "Sofern wir sie denn von den Steuern abziehen können."

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