Italien: Frauen gegen Berlusconi:"Er macht alles zur Ware"

In ganz Italien wollen Frauen an diesem Wochenende gegen Silvio Berlusconi protestieren - sie sind über die Politik des Premierministers ebenso empört wie über das Machogehabe des 74-Jährigen.

Andrea Bachstein, Rom

"Wann, wenn nicht jetzt?", fragen sie. In Genua wollen sie sich mit weißen Schals präsentieren, im apulischen Andria soll eine Blume ihr Zeichen sein. An diesem Sonntag wollen Italienerinnen in mehr als 70 Städten von Alessandria bis Venedig demonstrieren - gegen Silvio Berlusconis Politik und das Frauenbild, für das der Premier nach ihrer Ansicht mitverantwortlich ist.

A protester wears a mask of Italian Prime Minister Silvio Berlusconi with a pair of knickers on it during a protest in Arcore

Ein Berlusconi-Gegner trägt eine Maske des italienischen Ministerpräsidenten - und darüber eine Damenunterhose. Viele Italiener und Italienerinnen schämen sich für das Verhalten des 74-jährigen Politikers.

(Foto: REUTERS)

Auch die Politikerin Laura Garavini will bei der Demonstration in Rom dabei sein. Sie will mitmachen, wenn ihre Geschlechtsgenossinnen zeigen, dass Italien nicht resigniert hat im Angesicht all dessen, was der Premier dem Land und seinen Frauen zumutet. Der Skandal namens Rubygate, sagt die Abgeordnete der sozialdemokratischen Oppositionspartei PD, sei für die Frauen aber "nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt".

Was bei den Ermittlungen gegen den Premier herauskam, der nach Ansicht der Staatsanwälte wegen Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauchs vor Gericht soll, missfällt vielen Italienern. Dass der Premier sich in seinem Privathaus wie ein alter Sultan unterhalten ließ von einer Art Harem, dem Voll- und Teilzeitprostituierte angehörten und womöglich Minderjährige, bewirkt einen Teil der Empörung. Dass er aber zur Vertuschung dieser Affäre sein Amt genutzt haben soll, besorgt viele Bürger noch mehr.

Seit knapp zwei Wochen machen nun also Frauen mobil zum Protest. Vor allem im Internet haben sie sich organisiert, so zum Beispiel das Bündnis "Di Nuovo". Normale Bürgerinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen und Schriftstellerinnen rufen dazu auf, ein Zeichen zu setzen und äußern ihren Unmut im Netz. Sogar Ordensschwestern haben sich zu Wort gemeldet. Große Zeitungen wie La Repubblica haben die Aufrufe veröffentlicht, der Corriere della Sera lässt Essays oder Gastkommentare dazu schreiben. Auch "La Inge" hat zu den Demos aufgerufen, die berühmte Verlegerin Inge Feltrinelli. Wut klingt mit, wenn sie sagt, der Protest wachse mit den "Bunga-Bunga"-Geschichten und damit "erst im letzten Moment. Das hätte schon vor fünf oder sechs Jahren passieren müssen." Aber, sagt sie, es sei eine gewisse Erschöpfung eingetreten nach der langen Zeit mit Berlusconi, von dem sie im Übrigen glaubt: "Der Mann ist erledigt".

"Vulgarisierung in den Köpfen"

Laura Garavini wiederum hofft, dass Berlusconi politisch besiegt werde - und nicht wegen seiner Privataffären. Ihr geht es bei den Demonstrationen nicht um die moralische Verurteilung der Vergnügungen des Premiers. Was so viele Frauen - und auch Männer - empört, seien vielmehr sein wiederholter Missbrauch der Macht, seine Lügen im Parlament und "die Entstellung des Frauenbildes", zu der er beigetragen habe.

Silvio Berlusconi

Der italienische Premier Silvio Berlusconi soll nach Ansicht der Staatsanwälte wegen Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauchs vor Gericht.

(Foto: AP)

Angefangen habe das alles, klagen Italiens Frauen, mit Berlusconis privaten Fernsehsendern. In seinen Programmen sind seit 25 Jahren junge Frauen mit hübschen Gesichter, großen Brüsten und prallen Hintern präsent, ohne zu je eine Wort sprechen zu dürfen. Vallette oder Veline nennt man diese lebenden Deko-Elemente.

Das habe "verheerende Effekte", sagt Garavini. Junge Mädchen richteten sich daran aus und glaubten, nur das Aussehen mache ihren Wert aus und verspreche Erfolg. Auch Inge Feltrinelli bedauert, dass junge Frauen ihre Vorbilder und "einen Standard von falschem Glamour" vom Privatfernsehen übernommen hätten - " die sehen alle gleich aus". Es sei eine "Vulgarisierung in den Köpfen" eingetreten. Dabei hätten die italienischen Frauen unglaublich viel erreicht, sagt Feltrinelli; Frauen hätten einen wesentlichen Anteil am Wandel Italiens vom Agrarland zu einer Gesellschaft mit moderner Mittelklasse. Auch auf Reformen wie die Einführung der Ehescheidung weist die Verlegerin hin, die selbst eine wichtige Figur in der Emanzipationsbewegung der 70er und 80er Jahre in Italien war. Berlusconi bewirke mit seiner Haltung gegenüber Frauen zudem, meint Inge Feltrinelli, dass ein Teil der Männer ein derartiges Machogebaren nun wieder für salonfähig halte.

Auch hier sekundiert die PD-Politikerin Laura Garavini. Die meisten Frauen fühlten sich durch die populären Vorbilder in den Medien und durch die von Berlusconi geförderten Politikerinnen regelrecht beleidigt, sagt sie. Dabei habe das alles mit der Realität der allermeisten Frauen nichts zu tun. Weil es nur geringe Sozialleistungen gibt, erklärt die 44-jährige Politikerin, müssten viele Mütter unter enormen Anstrengungen Kinder und Beruf vereinbaren. "Eine Kultur, in der Fähigkeit und Leistung zählen, ist zu wenig entwickelt", findet Garavini.

Das zeigt sich auch in dem Karrieremodell, das Berlusconi für Politikerinnen seiner Partei PDL erfunden hat und das viele Kolleginnen für beschämend halten: Der Premier holt mit Vorliebe attraktive, sehr junge Frauen ohne jede Erfahrung in die Politik, so dass wiederum sogenannte Veline, also dekorative Selbstdarstellerinnen, plötzlich Abgeordnete oder gar Ministerinnen werden. Ausgerechnet die Ministerin für Gleichstellung, Mara Carafagna, ist so ein Fall. Trotzdem sind in der Politik Frauen weiterhin schwach vertreten: Nur 21 Prozent der Abgeordneten sind weiblich, nur knapp 18 Prozent der Senatoren. Die Regierung tue nichts für Frauen, sagt Garavini, es gebe kaum Ideen, um ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen, im Gegenteil werde ihr Fortkommen behindert. Als eklatantes Beispiel nennt die Abgeordnete "Blanko-Entlassungen"; die Regierung Prodi hatte sie verboten, sein Nachfolger hat sie wieder ermöglicht. Hinter den Blanko-Entlassungen verbirgt sich eine haarsträubende Praxis: Nicht selten müssen junge Frauen bei der Einstellung ein leeres Blatt unterschreiben; werden sie schwanger, wird darauf die von ihnen unterzeichnete Kündigung ausgefertigt.

Die sozialdemokratische PD, sagt Garavini, fordere nun eine Quotenregelung im öffentlichen wie im privaten Bereich. Tatsächlich steht Italien nach dem Bericht über Chancengleichheit des Economic World Forum von 2010 zwischen der Dominikanischen Republik und Gambia auf Platz 74 . Und dann resümiert Garavini die Ära Berlusconi: "Er macht alles zur Ware" - Politik, Abgeordnetenstimmen, Frauen.

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