Kommunalwahlen in Italien:Geliebtes Italien, enttäuschtes Italien

Kommunalwahlen in Italien: Die Straßen sind belebt, die Bars gut besucht. Doch die Unzufriedenheit der jungen Bologneser ist groß.

Die Straßen sind belebt, die Bars gut besucht. Doch die Unzufriedenheit der jungen Bologneser ist groß.

(Foto: mauritius images)

Kurz vor der zweiten Runde der Kommunalwahlen ist die Stimmung in Italien mies. Vor allem die Jüngeren verlieren den Glauben an ihr Land, selbst im reichen Norden. Ein Aperitif in Bologna.

Von Pia Ratzesberger, Bologna

Ludovico Rossi mustert die alten Männer, die Herren in Anzügen mit ihren hervortretenden Bäuchen, er beugt sich nach vorne und wispert: "Wenn ich jetzt aufstehe und frage, seid ihr zufrieden mit Italien, dann geht es los." Rossi lächelt, lehnt sich zurück, das orange schillernde Glas in der Hand, der erste Aperitif des Tages. Er steht nicht auf, er fragt nicht, er schaut sich nur um und lächelt, er weiß doch genau, wie sie alle klagen würden. Sie würden lamentieren über die Rente, über die Steuern, über die korrupten Politiker. Und der Physiotherapeut würde sagen: Ihr habt ja so was von recht.

Es ist kurz nach sechs Uhr am Abend in Bologna, die Stadt rumort um diese Zeit, die Sonne knallt ans Fenster, in den Gläsern ertränken die Gäste die Trübsal des Tages. Sieben Stunden hat Ludovico Rossi die Körper seiner Kunden geknetet, später noch ein letzter Auftrag, ach, wie er das satt hat. In dieser rostfarbenen Stadt ist der 28-Jährige geboren, hat die kilometerlangen Arkaden passiert, ist mit dem Motorrad durch die Hügel gefegt. Nie hat er sie verlassen, die Arkaden, die Hügel, die rot getünchten Palazzi. Dabei hegt er solchen Groll. In diesen Tagen wählen die Bologneser ihren nächsten Bürgermeister, genau wie die Römer oder Turiner. Doch selbst hier inmitten der Emilia-Romagna, im reichen Norden, glauben die Jungen nicht mehr an ihr Land.

Eigentlich ist Bologna ein tief politischer Ort

Italien hat sie enttäuscht, immer und immer wieder. Mehr als elf Prozent der Leute, die eigentlich arbeiten wollen, haben keinen Job, mehr als zwei Billionen Euro Schulden lasten auf dem Staat. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr wieder gewachsen, allerdings nur um 0,8 Prozent. Premier Matteo Renzi vom Partito Democratico sagte vor wenigen Monaten: "Es gibt diese eine Erzählung über Italien, die allein von der Krise handelt und diejenigen lobt, die ins Ausland gehen." Wer das Land verlassen wolle, solle das tun, meinte der Premier ergeben, es hätten genügend Staatsmänner vor ihm die Leute aufhalten wollen. Eigentlich aber wünscht sich Renzi eine andere Erzählung: eine, die nicht allein vom Schlechten handele.

In Bologna ist das Schlechte leicht zu übersehen, in dieser linken und zugleich protzigen Stadt, an deren Wänden Graffiti zur Revolution aufrufen, in deren Buchläden stapelweise Karl Marx liegt und vor deren Toren verschlungene Kieswege zu Villen führen, die über Generationen vermachtes Vermögen bergen. Während etwa jeder fünfte Italiener zwischen 25 und 34 Jahren keinen Job hat, ist es in Bologna jeder zehnte. Doch Italien hat nicht nur eine junge Generation ohne Arbeit vergrämt. Sondern selbst die mit Arbeit.

Ludovico Rossi stützt den tätowierten Arm auf den dunklen Bartisch, der Tag war mühsam, er streckt die Beine. Rossi heißt eigentlich anders, will aber mit seinem echten Namen nicht in der Zeitung stehen, er habe schon genug Ärger mit Italien. Sechs, sieben Stunden stand er heute an der Liege, als Physiotherapeut verdient er genug, um sich nach Feierabend Drinks zu gönnen, Benzin für seine Maschine. Aber eine seiner Kundinnen zum Beispiel, Rossi verzieht das Gesicht, ja, das Leben dieser Senatoren-Witwe zeige ziemlich gut, warum er dieses Land verachte: Noch immer bekomme die Frau jede Behandlung bezahlt, sie lasse sich verwöhnen von der Pension ihres Gatten. Rossi spannt die trainierten Arme, er spuckt die Worte aus: Die Politiker arbeiteten doch nur für sich, nach ein paar Jahren schmeißen sie hin und streichen die Kohle ein. Eklig findet er das, er schüttelt den Kopf, nur noch eklig. Den Parteien? Vertraut er schon lange nicht mehr.

Eigentlich ist Bologna ein tief politischer Ort, im Zweiten Weltkrieg sammelten sich hier die Widerstandskämpfer, begehrten auf gegen die Faschisten, über Jahrzehnte regierten kommunistische Bürgermeister, auch später noch, als sich Silvio Berlusconi des Landes bemächtigte. Nicht nur wegen ihrer farbigen Bauten nennen die Italiener diese Stadt la rossa, die Rote, sondern auch wegen der politischen Gesinnung ihrer Bewohner.

Doch la rossa ist nicht mehr so rot wie früher. Bei der ersten Runde der Kommunalwahlen am 5. Juni gaben so wenige Bürger ihre Stimme ab wie lange nicht, 59 Prozent. Für Bologna ist das ein schlechter Wert, vor fünf Jahren waren es noch 70 Prozent. Der bisherige Bürgermeister und Kandidat der Linken, Virginio Merola (PD), gewann zwar die meisten Stimmen, muss in der Stichwahl am 19. Juni aber gegen Lucia Borgonzoni antreten. Sie ist Kandidatin der Mitte-rechts-Liste, auf der die Lega Nord und Forza Italia stehen; Parteien, die so gar nicht zur Historie Bolognas passen wollen.

Daiana Geirola schiebt mit beiden Händen die schwere Balkontüre voran, noch immer klemmt das Ding, morgen früh wird sie hier an den Tischen wieder ihre Gäste bedienen. Geirola ist nach Bologna zurückgekehrt, vermietet Zimmer an Reisende, von denen sie vormals selbst eine war. Warum wiederkommen, wenn in einem Jahr mehr als 90 000 Menschen das Land verlassen? Sie sei überzeugte Italienerin, sagt Geirola, was das schöne Leben angehe, la bella vita, darin sei Italien eben ziemlich gut. Als Gesellschaft aber - Geirola hebt die Hand und lässt sie fallen. Wählen geht sie mit ihren 34 Jahren nicht mehr, wozu auch. Nur bei den Referenden, da gebe sie ihre Stimme ab. Natürlich hat sie Nein zur Ölförderung vor der Küste gesagt. Nein zum Öl. Ja zu Italien. Noch immer sagt Geirola Ja zu Italien, trotz allem. "Noch immer sind wir ein wunderbares Land."

Kontakte übertrumpfen Können

Unter dem Fenster knattern die Motorinis über die Pflastersteine, an einem Abend wie diesem lärmen die Straßen Bolognas. In der Via Pratello sind die Bartüren weit aufgerissen, die Gäste reihen sich auf dem Gehsteig, schicken Rauchwolken in die Sommerluft. Auf der Piazza San Francesco spielt im Schatten der Kirche ein schmächtiger Mann Gitarre, Pink Floyd, year after year, running over the same old ground. Glücklich sieht er aus, doch wen man auch fragt, niemand wird bejahen, dass er glücklich ist in Italien.

Jeder wird von einem dieser Momente erzählen, der sich ins Gedächtnis frisst. Bei Rossi war es nicht die betagte Dame, die sich in den Wohlstand ihres Gatten hüllt, sondern vor Jahren der Prüfungstag, der über seine Zukunft bestimmte. Als er nervös vor den Papieren saß, als einer der Prüfer bei einer Gruppe Jungs vorbei schlenderte und Frage für Frage auf die Lösungen deutete. Man muss die richtigen Leute kennen, sagt Rossi und schnauft. Kontakte übertrumpfen Können.

Manche von Rossis Freunden sind träge geworden, sie haben keine Lust mehr, sich anzustrengen, wenn am Ende doch wieder der Sohn des Freundes, die Cousine der Schwägerin den Job bekommt. Manche haben wegen der Krise ihre Arbeit verloren, andere wegen der Vetternwirtschaft ihren Elan. Rossi aber, der noch nicht. Die Alten bleiben, noch ein Drink, komm schon Junge, sagen sie. Er aber erhebt sich, klopft die Hose zurecht, nein, er muss weiter, der Kunde wartet, da drüben an der Türe. Wenn die anderen so wenig tun, muss ich ja noch viel mehr machen, sagt Rossi, hebt die Schultern, hilft ja nichts. Er glaubt nicht mehr an sein Land. Aber er ist immer noch da. Salute.

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