Italien:Echter Ärger

Eurozone summit

"Ich habe hohen Respekt vor Angela, wir haben ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis. Aber um ehrlich zu sein: Europa hat allen 28 Ländern zu dienen, nicht nur einem." Italiens Premier Matteo Renzi

(Foto: Laurent Dubrule/dpa)

Eigentlich verstehen sich die deutsche Kanzlerin und Italiens Premier. Sechs Gründe, warum Matteo Renzi trotzdem neuerdings Merkel attackiert.

Von Stefan Ulrich

Giulio Andreotti, der machia-vellistische Altmeister der italienischen Politik, soll anlässlich der deutschen Wiedervereinigung gesagt haben: "Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich zwei davon haben möchte." Heute wird dieses Bonmot in Italien wieder gern zitiert. Viele Italiener sehnen sich nach der Zeit zurück, als die Bundesrepublik kleiner, sanfter und spendabler war - und das europäische Interesse klar vor das deutsche stellte. Das heutige Deutschland wird als übermächtig, auftrumpfend und egoistisch wahrgenommen. Daher kommt es in Italien gut an, auf die Bundesrepublik und deren Kanzlerin Angela Merkel einzudreschen.

Dies macht sich der italienische Premier zu Nutzen. Auch Matteo Renzi, ein Toskaner, hat Machiavelli gelesen. Eigentlich versteht er sich gut mit der deutschen Kanzlerin. Doch zurzeit ist er innenpolitisch in Bedrängnis. Der Held der Reformen steckt in den Mühen des Alltags, all die stolz verkündeten Neuerungen umzusetzen. Renzis Umfragewerte und die seines Partito Democratico sinken. Die europa-skeptische Fünf-Sterne-Bewegung ist ihm auf den Fersen, außerdem hat Renzi einen Bankenskandal am Hals. Da tut Entlastung not.

Also startete der Premier beim EU-Gipfel vergangene Woche eine Attacke auf Deutschland und Merkel. Renzi forderte, es müsse Schluss mit einem Europa unter deutscher Führung sein. Die EU brauche weniger Austerität (strikte Sparpolitik) und mehr Kollegialität. Außerdem solle die "liebe Angela" nicht so tun, als sei "Deutschland der Blutspender Europas". Jetzt legte Renzi in einem Interview in der Financial Times nach: "Europa hat allen 28 Ländern zu dienen, nicht nur einem." Regierungschefs, die beim Sparen ohne Wachstum an vorderster Front stünden, würden ihre Jobs verlieren, wie der Fall Spanien zeige. Zudem werde in der EU mit zweierlei Maß gemessen, einem für Deutschland und einem für die anderen.

In Italien wurde dieser Generalangriff, wie von Renzi erwartet, mit Beifall aufgenommen. Doch es wäre falsch, das Manöver nur als Theatercoup abzutun. Dahinter stecken auch wirklicher Ärger und mindestens sechs echte Interessengegensätze im italienisch-deutschen Verhältnis.

Gegensatz eins betrifft die Flüchtlinge. Italien wurde gerade von der EU verwarnt, weil es Flüchtlinge nicht ordnungsgemäß registriere. Renzi fragt, ob Deutschland denn alle Syrien-Flüchtlinge registriert habe. Seit Jahren haben die Italiener die anderen Europäer gebeten, sie bei der Hilfe für Mittelmeer-Flüchtlinge zu unterstützen. Lange nahezu vergeblich. Daher findet es nicht nur der Premier empörend, nun Italien anzuprangern.

Zweitens verstimmt es Renzi, dass sich Merkel derzeit dagegen wendet, dass die Euro-Staaten Bankeinlagen gemeinsam absichern. Dabei sei das italienische Bankensystem stabiler als das deutsche.

Der dritte Gegensatz, der schon lange schwärt, betrifft die Sparpolitik. Renzi bekennt sich zwar zu einer Sanierung der Staatsfinanzen. Er fordert aber mehr Zeit, um das zarte Wachstum nicht abzuwürgen und setzt im gerade verabschiedeten Haushaltsgesetz für 2016 auf Steuerentlastungen. Die peniblen Vorgaben aus Berlin und Brüssel seien kontraproduktiv. "Den Populismus besiegt man mit einem anderen Europa."

Darüber hinaus findet der Premier, viertens, Deutschland sei zu dominant in Europa. Er möchte Italien in Brüssel mehr Einfluss verschaffen. Manche Kommentatoren halten ihm vor, dafür müsse er mehr einbringen als nur Kritik. Auch die Energiepolitik entfremdet Rom von Berlin und Brüssel. Renzi wollte - fünftens - eine Gaspipeline von Russland nach Italien bauen lassen, South Stream genannt, um sein Land im Gasgeschäft zu stärken. Die EU ließ das Projekt nach der russischen Annexion der Krim stoppen. Umso erstaunlicher findet es Renzi, dass Deutschland nun mit Russland eine Pipeline namens Nord Stream 2 bauen will.

Die sechste Differenz betrifft ebenfalls Moskau. Renzi wollte die EU-Sanktionen gegen Russland überprüfen - auch weil er Russland als Mitglied des UN-Sicherheitsrats bei der Neuordnung des alten italienischen Einflussgebietes Libyen braucht. Doch Merkel setzte durch, die Sanktionen pauschal zu verlängern.

Für Deutschland stellt sich nun die Frage, ob Renzi zum Anführer eines linken Südeuropas wird, das geschlossen gegen Berlin und Brüssel Stellung bezieht. Das ist unwahrscheinlich. Der bekennende Pro-Europäer Renzi hat christdemokratische Wurzeln und steht Merkel politisch näher als dem Griechen Alexis Tsipras oder dem Spanier Pablo Iglesias. Zudem ist Italien gespalten. Während der Süden ähnliche Probleme wie Griechenland oder Portugal hat, fühlt sich das industrialisierte Norditalien eher dem Norden Europas zugehörig. Doch das alles sollte Merkel nicht in Sicherheit wiegen. Deutschland wird sich mehr als zuletzt um Italien bemühen müssen, wenn es diesen alten Freund und Partner in Europa auch künftig zur Seite haben will.

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