Italien:Der Auserwählte

Italien: Luigi Di Maios Nominierung stößt nicht nur auf Zuspruch: Selbst Intellektuelle, die den Fünf Sternen nahestehen, beklagen ein „abgekartetes Spiel“.

Luigi Di Maios Nominierung stößt nicht nur auf Zuspruch: Selbst Intellektuelle, die den Fünf Sternen nahestehen, beklagen ein „abgekartetes Spiel“.

(Foto: Matteo Bazzi/AP)

In einer Urwahl lässt die Fünf-Sterne-Bewegung ihren Spitzenkandidaten küren. Der tritt ohne Konkurrenten an.

Von Oliver Meiler, Rom

Seine Gegner nennen ihn "Giggino", kleiner Luigi, und in dieser Verniedlichung schwingt viel Geringschätzung mit, vielleicht sogar ein sträfliches Maß an Unterschätzung. Man wird sehen. Luigi Di Maio, 31 Jahre alt, aus Pomigliano d' Arco bei Neapel, zwei abgebrochene Studien, ist gerade dabei, politischer Chef und Spitzenkandidat der gegenwärtig wohl stärksten Partei Italiens zu werden, der Protestbewegung Cinque Stelle. Die Partei führt ihre Urwahl wie immer online durch. "Giggino" sieht sich schon einen Schritt weiter. Als er seine Bewerbung bekannt gab, war er so gerührt von der eigenen Bestimmung, dass er Gandhi zitierte: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich. Und dann gewinnst du."

Mit Siegen meinte er nicht diese Zwischenetappe der Urwahlen, er meinte das große Ganze: "Lasst uns das Werk vollenden, mit uns an der Regierung wird Italien wieder auferstehen." Mit ihm als Premier.

Die Prognose ist gewagt, frivol gar. Die Italiener wählen im Frühjahr, und bleiben die Fünf Sterne bei ihrer alten Weigerung, Koalitionen mit anderen Parteien einzugehen, wird es Di Maio nicht an die Macht schaffen. Nach jüngsten Umfragen würde es die Partei national auf etwa 28 Prozent der Stimmen bringen. Das ist zwar viel, aber weit weg von einer Mehrheit. Zur Vollendung der großartigen Ambitionen fehlt also ein ganzes Stück. Das Zwischenziel aber ist schon fast geschafft, das Ergebnis der Urwahlen soll am Samstag bekannt werden. Di Maio ist der einzige prominente Bewerber. Kein anderer Exponent der Bewegung mochte mitmachen, auch die nicht, die Di Maio hätten herausfordern können. Etwa der Römer Alessandro Di Battista, 39 Jahre, der sich als Revoluzzer der Bewegung gibt, als eine Art Che Guevara der Cinque Stelle, und dafür von einem schönen Teil der Basis geliebt wird. Oder Roberto Fico, 42, aus Neapel, Chef des "orthodoxen Flügels", der Purist unter den Elitekritikern.

Normalerweise ist so eine Urwahl ja dafür gemacht, dass sich die Besten der Partei messen, die verschiedenen Lager und Linien. Und gerade von der ideologisch facettenreichen Bewegung hätte man erwarten können, dass sie einen Wettbewerb veranstalten würde. Irgendwie "frizzante", spritzig, aufregend. Doch der Parteispitze stand der Sinn nicht nach Geprickel. Di Maio ist der Auserwählte, der Favorit von Beppe Grillo, dem Gründer und Kopf der Bewegung, und von Davide Casaleggio, dem Chef der gleichnamigen Mailänder Internetfirma, die alle Partei-Urwahlen auf ihrem privaten Server abhält.

Er ist das beruhigende Gesicht der Partei: glatt rasiert, akkurat frisiert, marineblauer Anzug

"Luigi und die sieben Zwerge", schreiben die Zeitungen nun. Selbst Intellektuelle, die der Bewegung nahestehen, beklagen "bulgarische Zustände", ein "abgekartetes Spiel", den "Ausverkauf der ursprünglichen Identität". Di Battista und Fico, beide Abgeordnete wie Di Maio, hatten wohl einfach keine Lust, Statisten einer Farce zu sein, einer Krönung. Damit Di Maio überhaupt kandidieren durfte, änderten Grillo und Casaleggio das interne Reglement ab und sorgten damit für viel Unmut an der Basis. Bisher waren Mitglieder, gegen die ein juristisches Verfahren lief, von Urwahlen ausgeschlossen. Artikel 7 galt als unverhandelbare Maxime, als moralischer Imperativ, als Alleinstellungsmerkmal im politischen Betrieb. Gegen Di Maio aber laufen gleich zwei Verfahren wegen Verleumdung, und so opferte man halt mal schnell die Maxime. Alles für "Giggino". Von Grillo soll er nun auch die Rolle des "Capo politico" übernehmen, des Parteichefs. Di Maio wird entscheiden, wer auf die Wahllisten kommt und, vor allem, wer nicht mehr. Aus der originellen, basisdemokratischen Bewegung wird nun definitiv eine Partei wie alle anderen, mit klarer Hierarchie.

Diese Verwandlung ist gewollt, man will glaubwürdig werden, sogar ein bisschen langweilig. Di Maio ist das beruhigende Gesicht der Partei: glatt rasiert, immer akkurat frisiert, marineblauer Anzug, Krawatte. "Er raucht nicht, er tanzt nicht, er trinkt nicht", schreibt La Stampa. Di Maio redet geschliffen, aber nicht zu gescheit, gerade richtig für TV-Talkshows. Man nennt ihn auch den "Christdemokraten der Cinque Stelle" - konservative Linie, Recht und Ordnung, hart mit Migranten, moderat in Wirtschafts- und Europafragen. Di Maio gehört nicht zu denen, die Italien aus dem Euro führen möchten. Und deshalb kommt er auch bei Unternehmern ganz gut an, besser als alle Parteikollegen. Am besten funktioniert sein streberhafter Charme aber offenbar bei Hausfrauen. Sie tragen ihm auch nicht nach, wenn er Konjunktive verhaut. Manchmal offenbart sein Allgemeinwissen erstaunliche Lücken, zumal für jemanden, der sich zutraut, Italien zur Blüte zu führen. Einmal verwechselte er Chile mit Venezuela, was ihm viel Spott eintrug.

Seinen Aufstieg bremste das nicht. Bevor Di Maio in die Politik einstieg, hatte er als Platzanweiser im San Paolo gearbeitet, Neapels Fußballstadion, als Kellner und Computerreparateur. Als Student versuchte er sich erst in Ingenieurwesen, dann in Rechtswissenschaften, beides mit wenig Glück. Die Cinque Stelle boten Turbokarrieren an: aus dem Nichts direkt ins Parlament. Di Maio schaffte den Sprung 2013 und empfiehl sich für einen der vier Posten als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, mit eigenem Mitarbeiterstab und Budget. Da war er 26, trug aber schon marineblaue Anzüge und Krawatte, wie die Elite, während sich seine Parteikollegen im modischen Understatement gefielen. "Giggino" war da pragmatischer und hatte wohl schon Gandhi im Kopf.

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