Italien:Das Gegenteil aller Versprechen

Italien: Sie wollte alles besser machen, stattdessen sind 70 Prozent der Römer mit Virginia Raggi unzufrieden.

Sie wollte alles besser machen, stattdessen sind 70 Prozent der Römer mit Virginia Raggi unzufrieden.

(Foto: Filippo Monteforte/AFP)

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi wollte neuen Wind in die italienische Hauptstadt bringen. Doch stattdessen droht der Politikerin der Partei Cinque Stelle ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs.

Von Oliver Meiler, Rom

Versprochen war ein "neuer Wind". Als Virginia Raggi vor genau einem Jahr ihr Amt als Bürgermeisterin Roms antrat, war das der bis dato größte Triumph der italienischen Protestpartei Cinque Stelle. Raggi verhieß den Römern Aufrichtigkeit, Effizienz und Transparenz in der Amtsführung. Beim ersten Auftritt in der Aula Giulio Cesare, dem prächtigen Saal des Gemeinderats auf dem Kapitol, wurde die junge Anwältin von ihren Anhängern mit einer einzigen Parole empfangen, minutenlang im Chor skandiert: "Onestà, onestà!" Ehrlichkeit, Ehrlichkeit. Ein Jahr ist verstrichen, und von einem neuen Wind spürt bislang niemand etwas. Der schöne Chor ist längst verhallt, im Nachhinein hört er sich sogar fürchterlich falsch an.

Nun ist bekannt geworden, dass die römische Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Raggi abgeschlossen hat. Und da sie den Fall nicht ad acta legen mag, droht der römischen Bürgermeisterin jetzt ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs und Falschaussage. Man wirft ihr unter anderem vor, dass sie diverse Herrschaften befördert hat, die ihren Aufstieg ausschließlich ihrer Freund- oder Verwandtschaft zu anderen Spitzenleuten in der Verwaltung verdankten.

Der einfache Beamte Salvatore Romeo etwa schaffte es zum Chef des politischen Sekretariats und verdiente plötzlich nicht mehr 39 000 Euro, sondern 110 000. Für einige Verwirrung sorgte auch, dass Romeo mehrere Lebensversicherungen abschloss und als Begünstigte Virginia Raggi eintrug. Diese sagte, sie habe nichts davon gewusst. Als fragwürdig erscheint dem Staatsanwalt auch der Aufstieg des Stadtpolizisten Renato Marra, der es unter Raggi zwischenzeitlich zum Chef der römischen Tourismusbehörde gebracht hat, einer wichtigen Abteilung der Administration. Renato ist der Bruder von Raffaele Marra, dem früheren Kabinettschef Raggis. Den nannte man wegen seines großen Einflusses im Hintergrund auch "Rasputin des Kapitols".

Kommt es zum Prozess, dürfte er den Wahlkampf von Cinque Stelle überschatten

Seit vergangenem Dezember sitzt Raffaele Marra wegen Korruption im Gefängnis. Das Vergehen, das man ihm vorwirft, liegt jedoch schon mehrere Jahre zurück. Raggi steht im Verdacht, die Beförderung des Bruders unter Druck getätigt zu haben. Das jedenfalls scheint die Niederschrift von Gesprächen einer Chatgruppe zu suggerieren, die sich "Quattro amici al bar" nannte, "Vier Freunde an der Bar". Neben Raggi, Marra und Romeo gehörte der Gruppe auch Raggis ehemaliger Vize, Daniele Frongia, an. Sie dachten wohl, es lese niemand mit. Die Justiz verfügt nun aber über 5000 Din-A-4-Seiten voll mit Gesprächsprotokollen der "Vier Freunde". Dazu gehört auch die Passage, in der sich Raggi bei Marra beschwert, dass der seinen Bruder über ihren Kopf hinweg begünstigt habe. Vor der Anti-Korruptionsbehörde beteuerte die Bürgermeisterin aber, sie habe autonom gehandelt. Log sie? Und wenn nicht: Stand sie unter Kuratel?

Kommt es zum Prozess, dürfte der im Herbst oder Winter beginnen, also mitten im Wahlkampf vor den italienischen Parlamentswahlen. Das würde die Cinque Stelle in eine schwierige Lage bringen. Hält die Partei tatsächlich an Raggi fest, wie ihr Gründer und Chef Beppe Grillo es beteuert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr Wahlkampf im Schatten des Prozesses stehen wird. Lässt sie ihre Bürgermeisterin hingegen fallen, räumt sie ihr Scheitern bei der wichtigsten Bewährungsprobe ein. Die Verwaltung Roms gilt als Reifeprüfung für die "Grillini", als Eignungstest. In der Hauptstadt wollen die Fünf Sterne den Italienern beweisen, dass sie fähig sind, dereinst auch das ganze Land zu regieren.

Bisher war diese Prüfung ein einziger Kreuzweg, offenbar auch für Raggi selbst. In einer Fernsehsendung sagte sie diese Woche: "Es war zwar nur ein Jahr, aber mir kommt es vor, als sei ich um zehn Jahre gealtert." Die Zeitungen stellen ihr ein katastrophales Zeugnis aus. Nichts ist besser geworden, weder die Abfallentsorgung noch der öffentliche Verkehr. Im Gegenteil: Die städtischen Dienstleistungen haben sich noch verschlechtert. 70 Prozent der Römer sind unzufrieden mit Raggi, wie eine neue Umfrage zeigt. Selbst jeder zweite Wähler der Cinque Stelle hat sich von ihr abgewandt. Als man sie fragte, welche Note sie sich selbst geben würde auf einer Skala bis 10, sagte sie: "eine 7,5." Das hörte sich trotzig an. Die Opposition korrigierte: "Ein 4, höchstens."

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