Italien:Brot vom Baum

Die Esskastanie erholt sich vom Schädlingsbefall.

Von Oliver Meiler

Es ist Zeit, dem großartigen Torymus Sinensis endlich mal gebührend die Ehre zu erweisen - gerade jetzt, da die Folge seiner heroischen Leistung wieder in lieblichen Röstschwaden durch die Gassen und über die Piazze Italiens weht. Der Torymus Sinensis ist ein Parasitoid, ein Insekt mit willkommenem Killerinstinkt. Man hat ihn auf den bösen Dryocosmus Kuriphilus angesetzt, einen Schädling aus China. Eine italienische Zeitung bedient sich der Sprache des Boxsports: "Er führt klar nach Punkten." Gut wäre es, wenn ihm bald ein K.o. gelänge.

Gekämpft wird um die Zukunft der Edelkastanien, der Maroni oder "Marroni" - wie die Italiener die größten und köstlichsten unter ihnen nennen. Es gibt sie auch in der Pfalz oder an der Mosel, aber die Italiener sind überzeugt, dass kein Land bessere Esskastanien hervorbringt als ihres. Die allerbesten kommen aus Cuneo im Piemont. Bis vor Kurzem war die Sorge groß, dass es sie bald nicht mehr geben würde. Vor zehn Jahren kam der Dryocosmus übers Land. Wie genau, darüber wird noch gerätselt, vermutlich an Bord eines Handelsschiffes, das in Genua anlegte. Der Schädling befiel bald alle Wälder, raffte ganze Ernten weg.

Im Piemont reagierten sie am schnellsten. Sie schickten den biologischen Antagonisten Torymus bereits im Folgejahr in die Schlacht, so sind die Erträge dort nun schon wieder ganz ansehnlich. Die diesjährige "Fiera nazionale del Marrone", die nationale Kastanienmesse in Cuneo, war keine Klageveranstaltung mehr. In der Toskana, in den Abruzzen und in Latium dagegen warteten sie etwas länger mit Torymus. Deshalb erntet man da noch immer nur ein Fünftel dessen, was man früher heimtrug.

Die Notlage verleitete manche Hersteller, ihren schmalen Ertrag mit ausländischer Ware aufzupeppen, mit türkischen, spanischen, koreanischen und chinesischen Kastanien. Letztere waren natürlich ein doppelter Hohn, kam doch schon der Killer aus China. "Verpackt in Italien", stand dann auf den roten Plastiknetzen. Gelogen war das nicht, sollte die Käufer aber täuschen. In Italien gibt es 34 000 Landwirtschaftsbetriebe, die auch mit Edelkastanien ihr Geld verdienen. Früher war damit nicht viel zu holen: "Castagne", im Wasser gekocht oder auf dem Feuer geröstet, war ein Armeleuteessen, Brotersatz. Der Dichter Giovanni Pascoli nannte den Kastanienbaum auch "den italienischen Brotbaum". Doch das ist lange her.

Nun ist ihr Mehl auch deshalb in Mode, weil es glutenfrei ist. Es gibt Pasten, Pürees und Konfitüren aus Edelkastanien, hübsch ausgestellt in Gourmetläden. "Marron glacé" klingt französisch, die besten kommen aber aus Italien, sie kosten auch schon mal einige Euro pro Stück. Wie immer im Herbst finden jetzt wieder in allen bergigen Gegenden Italiens Dorffeste statt, sogenannte Sagre, die nur um die Kastanien kreisen. Gereicht werden Kastaniensuppen mit Kichererbsen, "Risotto alle castagne", Pasta natürlich mit Soßen aus Kastanien. Es gibt sie sogar als Salat. Oder eingemacht in Rum oder Cognac, in schönen Gläsern. All das war in Gefahr, die ganze Tradition. Da soll mal jemand behaupten, der Torymus Sinensis sei kein Held.

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