Italien:Besuch von gegenüber

Italien: Der Besuch in einer Bar ist aus dem Alltag der Italiener und Italienerinnen nicht wegzudenken.

Der Besuch in einer Bar ist aus dem Alltag der Italiener und Italienerinnen nicht wegzudenken.

(Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Franziskus kommt als dritter Papst in Roms große Synagoge, und angesichts der Terrorgefahr herrscht höchste Sicherheitsstufe. Für die Juden im "Ghetto" der Stadt ist das nichts Neues.

Von Oliver Meiler, Rom

Es wäre alles so leicht und schön. Acht Uhr, Via del Portico d' Ottavia, im Herzen Roms. In der schmalen Bar Totò beginnt gerade das laute Morgenritual. Eltern schieben ihre Kinder mit den viel zu großen Schulrucksäcken zur Theke, wo sie sich noch ein Cornetto aussuchen sollen, ein Hörnchen. "Dai, Yoshi - mach' vorwärts!" Yoshi kann sich nicht entscheiden. Und von draußen drängen jene nach, die noch später dran sind. Alle kennen sich. Man sieht es an den beiläufigen Gesten, ihr Alltag ist eingespielt.

Und er ist schwer bewacht, immer, militarisiert gar. An der Straßenecke haben Carabinieri wieder ihren Streifenwagen mit Blaulicht geparkt. Zu zweit stehen die Polizisten da, Maschinenpistolen in den Händen, den Lauf zu Boden gerichtet. In Sichtweite, nur hundert Meter weiter, der nächste Posten, um die Ecke ein dritter, ein vierter. "Es stehen noch viel mehr Sicherheitsleute herum", sagt der Barista bei Totò, "doch die nimmt man nicht wahr, die Geheimdienstler tragen keine Uniformen." So wenig wie die privaten Aufpasser der Gemeinde. Im Ohr haben sie einen Knopf.

"Wir sind ganz ruhig. Das Damoklesschwert hängt doch über allen"

So wachsen sie auf, Roms jüdische Kinder, stets bewacht von einem imposanten Schutzapparat. Mit der Angst vor einem Anschlag. Auch die Angst hat sich in den Alltag gefressen. An der Via del Portico d' Ottavia, der Hauptstraße im früheren Ghetto, das die Römer noch heute "Ghetto" nennen, steht ihre Schule, ein großer, ockerfarbener Bau. Alle Stufen bis zum Abitur werden unterrichtet und Hebräisch natürlich.

An der "Scuola Ebraica" wäre wohl auch Stefano Taché zur Schule gegangen. Stefano Taché war zwei Jahre alt, als ihn eine Bombe aus dem Leben riss. Am 9. Oktober 1982, einem Samstag, an Schabat. Palästinensische Terroristen zündeten die Bombe, als die Gläubigen die Große Synagoge verließen. Viele wurden verletzt. Seither ist nichts mehr leicht und schön. Seither filmen Überwachungskameras alle Zugänge zum "Ghetto", die engen Gassen und schönen Plätze, rund um die Uhr. Seit 34 Jahren ist das so. Lange vor den Terroranschlägen in New York, Madrid, London, Paris.

"Nun versteht man uns vielleicht etwas besser", sagt Ruth Dureghello, die Präsidentin der jüdischen Gemeinde Roms, und zeigt mit dem rechten Zeigefinger aufs Herz, "bei uns ist diese Angst seit jenem Oktobertag 1982 tief drinnen, hier. Doch wir begegnen ihr mit erhobenem Haupt." Neu sei die Angst nur für "die anderen".

Den Palästinenserstaat hat der Vatikan anerkannt. Nun hofft man auf ein Wort zu Israel

Die Juristin Dureghello, 48, ist die erste Frau in dem Amt, das bisher immer nur Männer innegehabt hatten. "Es war Zeit", sagt sie. Ihr Büro hat Dureghello im dritten Stock der Synagoge, des Tempio Maggiore mit seiner hohen, quadratischen Kuppel, Zentrum der ältesten jüdischen Gemeinde der Diaspora. Es herrscht gerade fiebriger Betrieb, am Sonntag kommt der Papst. Franziskus ist erst der dritte Papst in der Geschichte der bewegten Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und Roms Juden, der die paar Hundert Meter vom Vatikan rüber auf die andere Tiberseite fährt, um die Synagoge zu besuchen. Johannes Paul II. war 1986 da und nannte die Juden "unsere älteren Brüder", ein Satz wie eine Zeitenwende. Benedikt XVI. kam 2010.

Doch so groß wie diesmal, in diesen trüben Zeiten, waren die Sicherheitsmaßnahmen noch nie. Die Uferstraße des Tibers, wichtigste Verkehrsachse durch die Altstadt, die auch am jüdischen Tempel vorbeiführt, wird am Sonntagnachmittag geschlossen sein. Kein Auto wird dort stehen dürfen. Der Papst in der Synagoge - da kommen zwei der meistgenannten Terrorziele Roms zusammen, zwei Großsymbole. Dureghello sagt: "Wir sind ganz ruhig, das Damoklesschwert hängt doch über allen." Franziskus führt nun also die Normalisierung der Beziehungen fort, die mit der Enzyklika Nostra Aetate im Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hatte und unterdessen durch viele symbolische Wegmarken, Besuche und Reisen bestärkt wurde.

In Rom wird dieser Prozess mit besonderem Interesse verfolgt. Die geografische Nähe zur Kirchenzentrale und zu den Päpsten war in der Vergangenheit lange Zeit ein Fluch gewesen, zumindest in den Jahren, da die Päpste die Stadt regierten. Den Beschluss, die Juden jeweils zwischen Sonnenuntergang und Morgengrauen in ihrem dunklen und feuchten Viertel auf drei Hektaren einzusperren, fällte Paul IV. anno 1555. Wenn auch nicht alle Nachfolger gleich rabiat waren, so blieben Roms Juden dennoch bis zur Einigung Italiens 1870 Menschen zweiter Klasse, fast ohne Rechte allen möglichen Schikanen ausgesetzt. An Schabat zwang man sie, zur Messe zu gehen, in die Kirche Sant' Angelo in Pescheria beim alten Fischmarkt. Viele Juden stopften sich Wachs in die Ohren, damit sie die Predigten nicht anhören mussten.

Das ist lange her. Die meisten Häuser aus jener Zeit wurden abgerissen, die Tore sind weg. Das "Ghetto" ist heute ein beliebtes Flanierviertel mit koscheren Restaurants, Metzgereien, sogar die Filiale der Sushi-Kette wirbt mit koscheren Zutaten. Und vor der jüdischen Konditorei stehen die Römer am Wochenende Schlange für die Torte aus Kirschen und Mandeln.

Doch die schwere Geschichte klingt überall nach, etwa im jüdischen Museum im Keller der Synagoge, im Geschichtsunterricht der jüdischen Schule, an den Gedenktagen an die Wunden des Zweiten Weltkriegs, an die Deportation von 1259 Juden aus dem Ghetto. Der Vatikan schwieg. Nur 15 sollten Auschwitz überleben. Da kann es gar nicht zu viele entschuldigende Worte und Gesten geben von den Päpsten.

Von Franziskus weiß man, dass er zu seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires enge Beziehungen zur dortigen jüdischen Gemeinde hatte. Auf "Canale 21", dem Fernsehsender der Diözese, gab es ein Programm, in dem sich Jorge Bergoglio mit einem Rabbiner über die moderne Auslegung der heiligen Schriften unterhielt. Kaum war er Papst, richtete er eine Einladung an Roms Oberrabbiner, damit ihn der besuche. Das passte alles wunderbar. Etwas irritiert war man dann aber, als der Vatikan unlängst den Staat der Palästinenser anerkannte. Nun fragt man sich im "Ghetto", ob er sich wohl zu "unserem geliebten Israel" äußern werde, wie Dureghello es nennt: "Francesco, dem Himmel sei Dank, ist eine spontane, kommunikative Persönlichkeit", sagt sie, "er wird uns wohl alle überraschen."

Das "Ghetto" in Rom wird dann wieder geschlossen sein, zugesperrt sozusagen. Für einige Stunden nur. Und zum Schutz der Brüder.

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