Italien:Augen zu und durch

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Führende Politiker der Protestbewegung Cinque Stelle, wie Gründer Beppe Grillo (links), tragen Augenbinden, um ihren Unmut auszudrücken. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Die Regierung in Rom peitscht eine Wahlrechtsreform durch und erntet viel Protest. Vor allem die Partei Cinque Stelle wehrt sich dagegen, weil die Reform Koalitionen fördern soll. Außerdem nutzt sie den Anlass für eine Kampagne gegen die Regierung.

Von Oliver Meiler, Rom

Am Ende ging alles ganz schnell, vielleicht zu schnell. Italiens Parlament hat nur wenige Monate vor den nächsten Wahlen ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Es heißt "Rosatellum". Benannt ist es nach Ettore Rosato, dem Fraktionschef des regierenden Partito Democratico in der Abgeordnetenkammer, der es mit Parteien aus der Opposition ausgehandelt hat. Am Donnerstag passierte es nun auch den Senat: mit 214 Stimmen gegen 61, bei zwei Enthaltungen stimmte dieser für eine Reform des Wahlrechts. Getragen haben es die Sozialdemokraten, Silvio Berlusconis Forza Italia und die rechtspopulistische Lega Nord. Und doch scheint niemand richtig glücklich zu sein damit. Nicht einmal die Befürworter, wie man ihren Schlussvoten entnehmen konnte. Es sei das bestmögliche, hieß es, ein Kompromiss.

Die Wahlreform war nötig geworden, nachdem das italienische Verfassungsgericht sowohl den alten Modus für die Wahl der Senatoren als auch das "Italicum" für das Abgeordnetenhaus für teilweise verfassungswidrig erklärt hatte. Daraufhin drängte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella das Parlament dazu, ein neues, möglichst harmonisches Gesetz für beide Kammern auszuarbeiten. Zumindest dieser Forderung kommt das "Rosatellum" nach. Es ist eine Mischung aus verschiedenen Systemen. 34 Prozent der Parlamentarier werden mit dem Mehrheitsmodus gewählt, während 66 Prozent der Sitze nach Verhältniswahlrecht vergeben werden.

Ins Parlament schaffen es laut "Rosatellum" nur Parteien, die landesweit mindestens drei Prozent der Stimmen gewinnen. Für den Fall, dass sich Formationen vor der Wahl zu Koalitionen zusammentun, liegt das Quorum bei zehn Prozent. Sie können sich jedoch nach der Wahl wieder trennen und mit anderen Parteien verhandeln. Das kritisieren die Gegner, von Cinque Stelle im Besonderen. Verpflichten die Wahlallianzen nämlich zu nichts, dient der Passus vor allem der Rettung von Mikroparteien. Die Protestbewegung Fünf Sterne ist gegen dieses lose Parteikuscheln, weil sie sich bisher immer geweigert hat, mit anderen zu koalieren.

Die Simulationen der Wahlforscher legen nun nahe, dass die Italiener am Abend der nächsten Parlamentswahl nicht wissen werden, wer gewonnen hat. Absehbar sind drei ungefähr gleich große Blöcke, denen je ein ganzes Stück zur Mehrheit fehlen wird: Sozialdemokraten und Zentristen dürften es auf etwa 30 Prozent bringen, die Cinque Stelle auf 28 Prozent, und das rechte Bündnis, so es denn zustande kommt, auf ungefähr 35 Prozent. Regieren kann nur, wer im großen Stil koaliert, widernatürlich. Und so gilt das "Rosatellum" vielen als Wegbereiter einer Großen Koalition aus Partito Democratico und Forza Italia, obschon beide Parteien sich von diesem Szenario bei jeder Gelegenheit beredt distanzieren.

Damit das neue Wahlgesetz sicher und schnell durchs Parlament kam, stellte die Regierung in beiden Kammern die Vertrauensfrage. So konnten hunderte Änderungsanträge abgewehrt werden; so wurden auch die kritischen Parlamentarier auf Linie gebracht. Die Cinque Stelle nutzten dieses unschöne, aber legale Forcing für eine Kampagne gegen die Regierung. Sie trugen weiße Augenbinden, als wollten sie dem Treiben nicht zusehen. Einer verglich Premier Paolo Gentiloni gar mit dem Faschistenführer Benito Mussolini. Alles Zeichen, dass der Wahlkampf bereits begonnen hat.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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