Istanbul: Hagia Sophia:Fromme Wünsche

Die Hagia Sophia in Istanbul war erst Kirche, dann Moschee. Seit 75 Jahren ist nun Christen und Muslimen das Beten in dem Sakralbau verboten. Eine islamische Splitterpartei will das nun ändern.

Kai Strittmatter, Istanbul

Den Gläubigen war die Hagia Sophia immer ein Wunder. "Oh Salomon, ich habe dich übertroffen!", soll Kaiser Justinian ausgerufen haben, als er das Bauwerk am 27. Dezember 537 einweihte. Die überirdisch erscheinende Kuppel, erzählte man sich im Volk, sei direkt an den Himmel geknüpft. Fast 1000 Jahre blieb sie die prächtigste Kirche der Christenheit, das Herz von Byzanz. Aber die Hagia Sophia diente auch den nachfolgenden Reichen: den Osmanen als Moschee und der türkischen Republik als Museum.

Istanbul Prepares For Papal Visit

"Oh Salomon, ich habe dich übertroffen!": Die Hagia Sophia in Istanbul ist eines der spektakulärsten Bauwerke der Erde.

(Foto: Getty Images)

Und jede Wiedergeburt war eine symbolische. So war das, als die Türken der Kirche noch 1453, im Jahr der Eroberung Istanbuls, vier Minarette verpassten. Und so war das im Jahr 1935, als die Imame aus der Hagia Sophia verbannt wurden, auf Befehl des Staatsgründers Atatürk. Der Schritt galt den Republikanern als Zeichen für das säkulare Regime, das sie zu errichten gedachten. Ein Museum ist die Hagia Sophia bis heute. Ein Symbol auch. "Eines Tages werden wir wieder in der Hagia Sophia beten" - für die frommen Muslime ist das seit Jahrzehnten ein Schlachtruf. Der Islamist Necmettin Erbakan machte den Spruch einst zu seinem Wahlversprechen, konnte ihn aber selbst dann nicht wahrmachen, als er 1996 zum Premier gewählt wurde. Zu groß war der Widerstand. Den Säkularen ist es Grauen genug, dass seit 1991 der Muezzin wieder von einem der Minarette der Hagia Sophia zum Gebet rufen darf. Drinnen bleibt das Gebet Christen wie Muslimen bis heute verboten.

In diese heikle Gemengelage stößt nun die BBP, eine rechtsextreme islamische Splitterpartei, die beim Kulturministerium einen Antrag gestellt hat: Sie möchte, dass die Hagia Sophia nächste Woche zum Abschluss des Fastenmonats Ramadan geöffnet wird zum Gebet. Die BBP begründet ihren Antrag mit den Gottesdiensten, die die Regierung, gestellt von der islamisch geprägten AKP, den Christen im Land dieses Jahr erlaubt: Vor zwei Wochen durften die Griechisch-Orthodoxen zum ersten Mal seit 88 Jahren wieder eine Liturgie im Kloster Sumela am Schwarzen Meer halten. Und am 19. September treffen sich in der alten Aghtamar-Kirche im Van-See die armenischen Christen, um dort zum ersten Mal seit 120 Jahren eine Messe zu feiern. Für beide Kirchen brauchte es die Ausnahmegenehmigung des Staates, denn beide sind - wie die Hagia Sophia - offiziell Museen. Die BBP verwies auf die neue Toleranz den Christen gegenüber und gab kund, sie beantrage das Gebet in der Hagia Sophia "unter Berufung auf den laizistischen Staat, der zu allen Religionen die gleiche Distanz hält".

Eine offizielle Reaktion der Regierung gibt es noch nicht. Als der Theologe und Chef des staatlichen Religionsamtes, Ali Bardakoglu, in der vergangenen Woche sagte, man solle den Christen ruhig mehr Kirchen öffnen, da brauche sich kein Türke zu fürchten, fragten Journalisten nach, ob er ein Gebet in der Hagia Sophia für möglich hielte. Bardakoglu flüchtete ins Positiv-Unbestimmte: "Wir werden sehen. Wir sind immer für Religionsfreiheit", sagte er und fügte an, dass die Entscheidung ohnehin nicht in seiner Kompetenz liege. Und wenn ja, wer sollte dort beten dürfen? Muslime? Christen? "Beide", schrieb am Tag danach der Kolumnist Mustafa Akyol, ein liberaler Muslim: "Christen und Muslime sollten sich das prächtige Gotteshaus teilen." Der Vorschlag würde dem Namen alle Ehre machen: Hagia Sophia heißt "Göttliche Weisheit". Aber er ist wohl nur ein frommer Wunsch.

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