Israels Rolle im Nahostkonflikt:Dieser Krieg muss beendet werden

Mit Bomben und Granaten wird Israel im Gaza-Konflikt keine Sicherheit gewinnen. Die Hamas zu entwaffnen, scheint ebenso unrealistisch. Für einen dauerhaften Frieden muss eine Lösung her, von der beide Seiten profitieren.

Von Schimon Stein

Schimon Stein, 66, Diplomat und Historiker, war von 2001 bis 2007 Botschafter Israels in Deutschland.

Vor neun Jahren hat Israel die Entscheidung getroffen, sich einseitig aus dem Gazastreifen zurückzuziehen. Mit dieser Entscheidung war die Hoffnung verbunden, dass dieser Rückzug endgültig ist, und dass die Regierung in Gaza sich nun auf die Verbesserung der Lage der Palästinenser im Gazastreifen konzentrieren würde. Es war eine vergebliche Hoffnung.

In den vergangenen neun Jahren gab es fünf kriegerische Auseinandersetzungen und einen fast ununterbrochenen Raketenbeschuss Israels. Dieser schwere Beschuss war der Grund für die letzten zwei Auseinandersetzungen der israelischen Armee mit der Hamas im Gazastreifen, für die Aktionen "Gegossenes Blei" von Ende 2008 bis Anfang 2009 und "Wolkensäule" im November 2012.

Das Ziel war jedes Mal das gleiche: Die Angriffe auf das Territorium und die Bürger Israels sollten aufhören. Mit der Operation "Gegossenes Blei" wollte Israel der Hamas-Regierung schweren Schaden zufügen, um die Sicherheitslage langfristig zu verbessern. Die Aufrüstung der Fundamentalisten sollte unterbunden, das Prinzip der Abschreckung gestärkt werden.

Auch die Operation "Wolkensäule" sollte die militärische Stärke Israels demonstrieren. Es sollte die Infrastruktur zerstört werden, die es möglich machte, Raketen abzufeuern. Der Hamas und den anderen Terrororganisationen sollte ein möglichst schwerer Schaden zugefügt werden. Doch nur anderthalb Jahre nach der vorigen Operation befinden wir uns nun von Neuem in einer blutigen Runde, deren Ende und deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Nach drei Wochen seit Beginn der Auseinandersetzungen kann man sie zu Recht als Krieg bezeichnen.

Die militärische Infrastruktur der Hamas soll zerstört werden

Wie zu erwarten hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dennoch gesagt, die Operation sei begrenzt. Die Ziele, die er ausgegeben hat, kommen einem bekannt vor: Israel soll endlich Ruhe haben vor den Raketenangriffen. Die Angriffe der israelischen Artillerie und der Luftwaffe sollen abschreckend wirken. Und die militärische Infrastruktur der Hamas soll so weit wie möglich zerstört werden. Das betrifft vor allem das unglaublich komplexe Tunnelsystem, mit dem die Hamas Israel strategisch überrascht hat. Wobei fraglich ist, ob Israel tatsächlich Informationen über das gesamte Tunnelsystem verfügt. Ziel ist die Entmilitarisierung des Gazastreifens.

Nach fünf Runden in neun Jahren stellen sich ein paar Fragen: Kann Israel diesen asymmetrischen Krieg gegen die Hamas gewinnen? Wenn die Antwort Ja lautet, wie manche meinen, dann muss zurückgefragt werden, mit welchen Kosten dieser Krieg verbunden sein soll - und ob Israel dann nicht dazu verdammt ist, sich auf weitere Auseinandersetzungen vorzubereiten, die unausweichlich erscheinen.

Sollte dieser asymmetrische Krieg gegen Hamas aber nicht zu gewinnen sein, dann stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Dann sollte die gegenwärtige Runde der Auseinandersetzung dazu dienen, wenigstens den Versuch zu wagen, neue Rahmenbedingungen zu schaffen: Sie sollten (hauptsächlich) der Hamas die Motivation nehmen, weiter auf die militärische Option zu setzen; sie sollten der Bevölkerung in Gaza zugutekommen.

Netanjahus Ziel einer entmilitarisierten Hamas scheint unrealistisch

Netanjahus Ziel, Hamas zu entwaffnen beziehungsweise Gaza zu entmilitarisieren, erscheint als unrealistisch, wenn nicht illusorisch, solange dies nicht mit Anreizen verbunden ist, die es der anderen Seite schwer machen, sie abzulehnen. Nur ein Vorschlag also, der die Interessen beider Seiten berücksichtigt, könnte Aussichten auf einen schrittweisen Erfolg haben. So wenig die Vorstellung der gegenwärtigen Führung des Landes behagt: Es braucht eine Win-win-Situation.

Shimon Stein

Shimon Stein, 69, war von 2001 bis 2007 israelischer Botschafter in Berlin. Zurzeit ist er Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheit an der Universität Tel Aviv.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Israel müsste also die notwendige Sicherheit durch die Entmilitarisierung bekommen. Für Gaza wiederum wäre ein wirtschaftliches Hilfspaket notwendig. Zu ihm würde auch die Aufhebung der Blockade gehören, von der die Bevölkerung profitiert. Die wird es der Hamas erschweren, Israel anzugreifen, denn das würde die wirtschaftliche Erholung der Region aufs Spiel setzen. Ein solcher Versuch müsste regional und international durch die USA und die EU begleitet werden. Das größte Problem dürfte sein, dass ein solcher Vorstoß wahrscheinlich auf die Ablehnung der Hamas und anderer radikaler Organisationen im Gazastreifen stoßen wird.

Solidarität mit Palästinensern nicht mehr selbstverständlich

Dieser Gaza-Krieg hat gezeigt, wie sich der gesamte Nahe Osten im Zuge der dramatischen Entwicklungen in Syrien, dem Irak und Ägypten verändert hat, wie sich die verschiedenen Mächte neu positionieren. Die arabische Solidarität mit den Palästinensern war in den vergangenen Auseinandersetzungen selbstverständlich - diesmal ist sie es jedoch nicht. So kann die Hamas zurzeit nur auf die Unterstützung von Katar, der Türkei und Irans beziehungsweise der Hisbollah zählen. Saudi-Arabien, die Golfemirate, Jordanien und Ägypten hingegen stehen der Hamas ablehnend gegenüber und unterstützen die palästinensische Autonomiebehörde und ihren Präsidenten Mahmud Abbas.

Ohne die regionalen Kräfte wird es aber keine dauerhafte Beruhigung der Lage im Gazastreifen geben. Sie sind nur über politische Initiativen einzubinden. Für diese Einbindung braucht es wiederum politische Perspektiven. Es muss also einen neuen Anlauf im Verhandlungsprozess zwischen Israel und Präsident Abbas geben. Abbas zu stärken könnte auch hilfreich sein, um der palästinensischen Behörde eine Rückkehr nach Gaza zu ermöglichen und damit auch die Hamas weiter zu schwächen.

Krieg ist nicht im Interesse Israels

Klar ist: Weiterzumachen wie bisher wäre ein strategischer Fehler. Dieser Krieg ist nicht im Interesse Israels. Die alten Muster dienen nicht mehr dem Interesse und der Sicherheit Israels. Israel wird erst dann Sicherheit gewinnen, wenn es den Palästinensern in Gaza durch humanitäre und wirtschaftliche Hilfe eine neue und positive Zukunftsperspektive eröffnet.

Um diese Wende in die Wege zu leiten, muss der Krieg beendet werden. Wenn die von den israelischen Streitkräften identifizierten Tunnel zerstört sind, sollte Israel, wie schon zuvor in der Operation "Gegossenes Blei", eine einseitige Waffenruhe herstellen und die Bodentruppen aus Gaza zurückziehen - in der Hoffnung, dass auch Hamas sich an diese Waffenruhe hält.

Es wäre jedenfalls nicht in Israels Interesse, den Krieg auszuweiten. Darüber hinaus muss Israel die Initiative für neue Rahmenbedingungen ergreifen - ungeachtet der Tatsache, ob die Hamas dies akzeptiert oder nicht. Und schließlich muss die Staatengemeinschaft mobilisiert werden; Israel und die Hamas können das Problem nicht mehr alleine lösen. Dies ist das Gebot der Stunde - nicht, den Krieg fortzuführen, Runde um Runde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: