Israel vor den Wahlen:Auf den Flügeln der Hamas

In Israel werden die Rechten wieder die Regierung stellen - die Frage ist, ob US-Präsident Obama ihnen die Politik erlaubt, die sie versprechen.

Avi Primor

Die Meinungsumfragen vor den Wahlen an diesem Dienstag deuten klar darauf hin, dass Benjamin Netanjahu, Chef der rechten Oppositionspartei Likud, die Wahlen gewinnen und nächster Regierungschef sein wird.

Israel vor den Wahlen: Avi Primor war Botschafter Israels in Deutschland.

Avi Primor war Botschafter Israels in Deutschland.

(Foto: Foto: oh)

Selbst wenn Netanjahu nicht wie vorausgesagt abschneiden würde und selbst wenn die Chefin der heutigen Regierungspartei Kadima, Tzipi Livni, ihn doch überholen sollte, würde das an der grundsätzlichen Situation kaum etwas ändern. Ob Netanjahu 20 Prozent der Stimmen erhalten wird und Livni 22 Prozent oder umgekehrt, wird voraussichtlich an einer Tatsache nichts ändern:

Das gesamte rechte Lager wird in aller Wahrscheinlichkeit erheblich besser abschneiden als das gesamte Zentrum und als das linke Lager. Der Staatspräsident muss dann nicht unbedingt den Chef der verhältnismäßig größten Partei mit der Koalitionsbildung beauftragen, sondern eher den Chef der Partei, der mathematisch die besten Chancen hat, tatsächlich eine Koalition zusammenzustellen. Und das wird Netanjahu sein.

Eine Koalition welcher Art wird Netanjahu dann bilden? Er kann es sich leisten, eine Koalition mit dem Zentrum, also mit der Kadima-Partei von Tzipi Livni, zu bilden. Die Tatsache, dass er immer die Option haben wird, eine rein rechte Koalition zu bilden, wird ihm eine Partnerschaft mit moderaten Parteien erleichtern, weil er von ihnen nicht abhängig sein wird.

Der Gaza-Krieg veränderte die Lage

Und ein Schulterschluss mit dem Zentrum wird seinem Ansehen im Ausland zuträglich sein, vorausgesetzt, dass er dafür keinen politischen Preis zahlen muss. Wie die Koalition aussehen wird, ist also nicht so wichtig. Auf jeden Fall wird sie von der rechten Politik dominiert werden.

Als die Kadima und ihr Koalitionspartner, die Arbeitspartei, sich für vorgezogene Wahlen entschieden haben, ahnten sie nicht, dass ihre Chancen heute so düster aussehen würden. Zwei Themen haben die Öffentlichkeit damals beschäftigt: zum einen die mutmaßliche Korruption der Spitzenpolitiker, zum anderen soziale Probleme, die die Bevölkerung bedrücken.

Tzipi Livni, die neue Chefin der Kadimapartei, profitierte von ihrem sauberen Image. Für viele Bürger war sie die richtige Person, um den gestürzten, mutmaßlich korrupten Politiker Ehud Olmert abzulösen. Auch hegte man die Hoffnung, das Zentrum und das linke Lager würden bessere Lösungen für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu bieten haben. Aber dann kam der Krieg im Gaza-Streifen und veränderte die politische Lage.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das rechte Lager in Israel derzeit im Vorteil ist.

Auf den Flügeln der Hamas

Weder die Sauberkeit der Politiker noch die Wirtschaftsprobleme waren danach noch wahlentscheidende Themen. Der öffentliche Dialog wurde zu einem Dialog über Sicherheit und Krieg. Auf diesem Themenfeld war das rechte Lager in Israel schon immer im Vorteil. Seine Sprache ist klar und deutlich: Man muss den Feind ohne Wenn und Aber zerschmettern.

Diese Sprache kommt bei einer emotionsgeladenen Bevölkerung viel besser an als die Sprache der Gemäßigten, die zögern und behaupten, man müsse alle Möglichkeiten erwägen und auf dem Wege der Diplomatie den Waffenstillstand wiederherstellen.

Nachdem nach drei Wochen Krieg ein neuer Waffenstillstand ausgerufen worden war, der aber auch nicht zu einer vollkommenen Einstellung des Raketenbeschusses geführt hat, konnte das rechte Lager in seiner Wahlpropaganda die "zögernde" Regierung aus Kadima und Arbeitspartei, also aus Zentrum und linkem Lager, umso erfolgreicher angreifen.

Hinzu kommt, dass die Hamas ein besonders erschreckendes Phänomen beflügelt hat. Die rechte, rassistische, populistische Partei "Israel Beiteinu" unter dem Vorsitz des vor 30 Jahren aus der damaligen UdSSR eingewanderten Avigdor Lieberman konnte sich bereits vor dem Gaza-Krieg die meisten Stimmen der Immigranten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sichern.

Mit den Angriffen der Hamas hat die Partei sofort weitere Sympathien gewonnen. Und dann demonstrierten im Laufe des Krieges - den fast die gesamte jüdische Bevölkerung unterstützt hat - die arabischen Bürger Israels vehement gegen den Krieg. Für Lieberman war das ein Glücksfall.

Er entfesselte eine rassistische Hasskampagne gegen "die Araber", gegen "die Verräter, die Unterstützer der Hamas" - und nicht nur gegen den Feind jenseits der Grenze. Damit hat er Zugang bei den Jugendlichen gefunden und weit über sein russisches Ghetto hinaus Anhänger rekrutiert. Und damit hat das rechte Lager nicht nur seine Dominanz über das Zentrum und die Linke etabliert - sondern auch die Tendenz innerhalb des rechten Lagers klargemacht.

Was hat Obama vor?

Welche Art Politik die kommende, rechts geführte Koalition verspricht, ist bekannt. Die Frage ist: Welche wird sie sich leisten können? Die Antwort darauf hängt vollkommen von einem Mann ab - von Barack Obama. Bislang weiß niemand, was er im Nahen Osten vorhat. Will er eine Lösung ermutigen, wenn nicht gar erzwingen? Sollte das der Fall sein, so wissen seine zahlreichen Nahostexperten genau, wie diese Lösung aussehen soll.

Es ist eine Lösung, die sowohl der scheidende Ministerpräsident Olmert als auch Palästinenserpräsident Machmud Abbas akzeptieren, ohne aber die Macht und den Mut zu haben, sie in die Tat umzusetzen. Gegen Obamas Entschiedenheit wird sich keine israelische Regierung Widerstand leisten können.

Die Israelis haben sich nie für die Gründe der Hamas interessiert, am 19. Dezember 2008 den Waffenstillstand zu beenden. Was sie zur Kenntnis genommen haben, ist lediglich, dass die Hamas wieder begonnen hat, die israelischen Dörfer und Städte entlang des Gazastreifens mit Raketen zu beschießen. Eine Woche lang hat die Hamas den Beschuss intensiviert, ohne dass Israel dies erwidert hätte. Dies hat die Stimmung im Lande radikal verwandelt.

Und dann mag es sogar besser sein, wenn eine rechte Regierung unter einem solchen Druck steht als eine linke, die zwischen dem amerikanischen Hammer und dem Amboss der rechten Opposition in Israel zerschmettert würde. Will aber Obama eine Lösung erzwingen? Klar ist, dass der neue US-Präsident derzeit der Wirtschaftskrise seine Aufmerksamkeit gibt.

Aber auch in der Außenpolitik haben andere Probleme Vorrang vor dem israelisch-palästinensischen Konflikt, darunter Irak, Iran, Afghanistan, China und Russland. Um den Nahostkonflikt zu lösen, muss Obama sich darauf konzentrieren können - und wer weiß, wann er dafür Zeit haben wird. Bis dahin kann im Nahen Osten noch viel Schaden angerichtet werden.

Avi Primor ist Direktor des Zentrums für Europäische Studien an der Privatuniversität Herzliya in Israel. Er war Botschafter des Staates Israel in Deutschland.

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