Israel:Unversöhnlich an der Klagemauer

Israel: Seit Jahren setzen sich liberale Juden dafür ein, dass alle die gleichen Rechte an der Klagemauer haben.

Seit Jahren setzen sich liberale Juden dafür ein, dass alle die gleichen Rechte an der Klagemauer haben.

(Foto: Menahem Kahana/AFP)
  • Die rigiden Vorschriften für Gläubige an der Klagemauer in Jersualem haben einen politischen Konflikt entfacht.
  • Ein Kompromiss sollte ultra-orthodoxe und liberale Juden einen, doch bislang wurde der Kabinettsbeschluss nicht umgesetzt.
  • Beim Besuch einer Rabbiner-Gruppe aus den USA ist die Situation nun eskaliert.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wo sonst gebetet wird, sind nun die Fäuste geflogen: An Jerusalems Klagemauer hat am Mittwochmorgen eine heftige Auseinandersetzung getobt. Gekämpft haben Juden gegen Juden, die ultra-orthodoxen gegen die liberaleren - und damit ist wohl endgültig eine Front aufgebrochen, die so schnell nicht mehr zu befrieden sein wird. Der Streit dreht sich um die Frage: Wem gehört die Klagemauer, und letztlich geht es darum, wer den Ton angibt im Judentum.

Für Israel und speziell den heiligsten Ort der Religion ist diese Frage eindeutig beantwortet: Die Regeln bestimmen die ultra-orthodoxen Rabbiner, die zum Beispiel durchgesetzt haben, dass Männer und Frauen an der Klagemauer getrennt beten müssen, dass Frauen dort nicht aus der Thora lesen, nicht laut singen und keinen Gebetschal tragen dürfen.

Kompromiss ohne Umsetzung

Befremdlich ist das für viele nicht-orthodoxe Juden in Israel und vor allem in der Diaspora. Allein in den USA leben schließlich mehr als sechs Millionen Gläubige, das sind ungefähr so viele Juden wie in Israel, und die meisten von ihnen gehören liberaleren Strömungen an. Die rigiden Vorschriften an der Klagemauer haben also das Potenzial, die jüdische Diaspora vom jüdischen Staat zu entfremden - und das birgt religiösen und politischen Sprengstoff. Denn Israels Regierungen bauen gern auf die Unterstützung der Juden im Ausland, vor allem in den USA.

Um den Streit zu entschärfen, hatte die rechtsreligiöse Regierung von Premier Benjamin Netanjahu zu Jahresbeginn einen Kompromiss gefunden: Geplant wurde, dass neben den bestehenden Gebetssektionen für Männer und Frauen ein dritter Abschnitt an der Klagemauer eröffnet werden sollte, in dem jeder nach seiner Fasson selig werden könnte: mit gemischtem Gebet, mit Frauengesang und weiblichen Thora-Lesungen. Das Kabinett verabschiedete diesen Plan mit 15:5 Stimmen, die liberalen Juden sprachen von einem "historischen Durchbruch" und einer Revolution. Noch dieses Jahr sollte der neue Gebetsort eröffnet werden. Doch nichts ist passiert.

Amerikanische Delegation reist an die Mauer

Denn nach der Kabinettsentscheidung bekamen die Vertreter der beiden in der Regierung vertretenen ultra-orthodoxen Parteien die Wut ihrer Klientel zu spüren. Sie entzogen dem Plan ihre Duldung und setzten Netanjahu unter Druck, das Projekt stillschweigend zu beerdigen. Doch um dieses Schweigen zu durchbrechen, kam nun eine prominent besetzte Riege amerikanischer Rabbiner nach Jerusalem.

Netanjahu hatte noch versucht, sie umzustimmen. "Wir sind ein Volk und haben eine Mauer, unsere Mauer", sagte er. "Je weniger wir öffentlich darüber streiten, desto größer ist die Chance, eine Lösung zu finden." Doch darauf wollte sich niemand mehr verlassen. Um 6.30 Uhr startete an einem Altstadt-Tor ein Protestzug mit 200 Männern und Frauen der liberalen jüdischen Gruppierungen. Erwartet wurden sie an der Klagemauer von Ultra-Orthodoxen, die allen Berichten zufolge schnell vom Fluchen zum Faustkampf übergingen. Der für die Klagemauer zuständige Rabbiner Schmuel Rabinovitz warf den Protestlern vor, sie wollten einen "Bürgerkrieg" entflammen.

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