Israel und die EU:"Wir sind nicht nur traurig, wir sind entsetzt"

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EU-Politiker und die israelische Regierung sind entsetzt: Einer Umfrage der EU-Kommission zufolge betrachten 59 Prozent der EU-Bürger Israel als Gefahr für den Weltfrieden. Die Ergebnisse, so sagte EU-Ratspräsident Berlusconi, seien auf eine "irreführende" Fragestellung zurückzuführen. Israels Regierung erklärte, die Umfrage zeige erneut die anti-israelische Einstellung Europas.

Spitzenpolitiker der EU haben sich am Montag entsetzt über die Ergebnisse einer Umfrage gezeigt, in der die Mehrheit der EU-Bürger Israel als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnet hat.

Der amtierende EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi brachte nach Angaben seines Büros in einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon seine "Überraschung und Empörung" über die Ergebnisse zum Ausdruck, die seiner Ansicht nach auf eine "irreführende" Fragestellung zurückzuführen sind.

Er sei überzeugt, dass es sich beim Ergebnis der Umfrage überhaupt nicht um die tatsächliche Haltung der Europäer gegenüber Israel handele.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi erklärte in New York, die Umfrage-Ergebnisse deuteten auf eine "anhaltende Voreingenommenheit hin, die zu verurteilen ist".

Nicht die Meinung der EU-Kommission

Antisemitismus dürfe nicht toleriert werden, fügte er hinzu. Die Ergebnisse der Meinungsumfrage spiegelten nicht die Meinung der EU-Kommission wieder und würden keinen Einfluss auf ihre Nahostpolitik haben.

In der EU-Kommission bemühte man sich, die Ergebnisse herunterzuspielen. "Wir messen einer einzelnen Umfrage nicht zu viel Bedeutung bei", sagte Behördensprecher Gerassimos Thomas. Die Politik der EU basiere auf mehreren Faktoren. Die Palästinensische Autonomiebehörde war nicht Bestandteil der Umfrage, weil sie laut Thomas kein Land darstellt.

Die israelische Regierung reagierte wütend auf das Ergebnis. Die Umfrage zeige erneut die anti-israelische Einstellung Europas, hieß es in einer Erklärung der israelischen Vertretung bei der EU. "Wir sind nicht nur traurig, wir sind entsetzt, aber nicht über die europäischen Bürger, sondern über die, die für die Bildung der öffentlichen Meinung verantwortlich sind", hieß es weiter.

"Europäer blind für die Opfer"

Die israelische EU-Mission erklärte am Montag in Brüssel, die Europäer schienen "ungeachtet der brutalen Terrorkampagne gegen Israel" für die Opfer und das Leiden des Landes blind zu sein. Israels verzweifeltes Ringen um Frieden und Sicherheit für seine Bürger sei durch eine oft einseitige und emotionsbeladene Berichterstattung der Medien jenseits der Wiedererkennbarkeit verzerrt worden.

Die traurigen und gefährlichen Ergebnisse der Umfrage zeigten, wie groß die emotionale Kluft zwischen Israel und Europa sei, hieß in der Stellungnahme. Europa solle mehr tun, um den Dialog mit Israel zu verbessern, statt "Megaphon-" und "Umfrage-Diplomatie" zu verfolgen. Die Mission warf der Umfrage vor, mit voreingenommenen Fragen einer politischen Zielsetzung zu folgen. Das Ergebnis der Umfrage sei nicht nur ein Problem Israels, sondern zuallererst Europas.

Der israelische Außenminister Silwan Schalom spielte die Bedeutung der Umfrage herunter. Wie die Zeitung Haaretz berichtete, spiegelt sie nach seiner Ansicht nur wider, dass Israel in den europäischen Medien überproportional vorkommt. "Die von hier gesendeten Bilder haben eine Wirkung, aber wir sollten uns darüber nicht aufregen."

Auch die US-Regierung hat der in der Umfrage zum Ausdruck gekommenen Auffassung vieler EU-Bürger widersprochen. Dieses Bild von den USA entspreche nicht der Realität, sagte Außenamtssprecher Adam Ereli in Washington. "Wenn es wirklich das ist, was man in uns sieht, dann muss ich sagen, dass es sehr weit von der Wirklichkeit entfernt ist."

Der Sprecher fügte hinzu: "Was die USA tun, ist von dem Wunsch beseelt, in Partnerschaft mit Freunden und Verbündeten Stabilität, Frieden und Freiheit überall auf alle Teile der Welt auszuweiten."

Medienberichterstattung mitverantwortlich

Der Leiter der israelischen Zweigstelle des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zurof, sagte, das Umfrageergebnis sei nicht zuletzt auf die Medienberichterstattung über den Nahost-Konflikt in den verschiedenen Ländern Europas zurückzuführen, die unterschiedlich stark, aber einseitig gegen Israel gerichtet sei.

Bei der Erhebung für eine Sonderausgabe des "Eurobarometers" zur Lage in Irak und im Nahen Osten hatten Meinungsforscher vom 8. bis zum 16. Oktober je 500 Bürger in allen 15 EU-Staaten telefonisch die Frage gestellt, ob Israel eine Bedrohung für den Weltfrieden sei. Dieselbe Frage wurde für vierzehn weitere Länder gestellt. Nach den Palästinensern sei deshalb nicht gefragt worden, weil Palästina kein Staat sei, erläuterte ein Kommissionssprecher.

Die höchste Zustimmungsrate unter den insgesamt 7500 EU-Bürgern ergab sich mit 59 Prozent für Israel, in Deutschland lag sie sogar bei 65 Prozent, in den Niederlanden 74 Prozent. 53 Prozent meinten, dass Iran, Nordkorea und die Vereinigten Staaten den Weltfrieden bedrohten, so dass alle drei Länder sich den zweiten Platz auf der Liste teilen.

In keinem EU-Land gab es eine Mehrheit für die Aussage, Israel bedrohe den Weltfrieden nicht.

Nur in Deutschland und Italien teilt eine Mehrheit die Auffassung, von den USA gehe keine Bedrohung aus. In allen anderen EU-Länder dagegen überwiegt die gegenteilige Einschätzung - in Griechenland meinen sogar 88 Prozent der Befragten, die USA bedrohten die Welt.

In Schweden gab es nur in zwei Fällen eine Mehrheit für die Aussage, einer der 15 aufgeführten Staaten bedrohe den Frieden: USA (54 Prozent) und Israel (52 Prozent).

Angst vor dem Terror

Eine Mehrheit von 55 Prozent der EU-Bürger hält auch die Bedrohung durch Terrorismus für stark, diese Herausforderung ist dagegen für 43 Prozent eher schwach. Am sichersten fühlen sich die Finnen, von denen nur sechs Prozent eine starke Bedrohung durch Terrorismus sehen.

Am größten ist diese Angst in Großbritannien, wo sich 76 Prozent der Befragten durch den Terrorismus bedroht fühlen. In Deutschland sind es 52 Prozent.

Ein Teil der Umfrage war schon vor einer Woche veröffentlicht worden. Danach halten 68 Prozent der Bürger den Krieg gegen den Irak für nicht gerechtfertigt, und 65 Prozent nannten die USA als diejenigen, die für den Wiederaufbau zahlen sollten.

Ein Sprecher der Kommission wies Anschuldigungen zurück, die Veröffentlichung sei aus politischen Gründen verzögert worden. Zwischen der Umfrage selbst und ihrer Veröffentlichung fand am 23. Oktober in Madrid eine Geberkonferenz statt, um Spenden und Kredite für den Wiederaufbau des Iraks zu mobilisieren. Die Auswertung der Antworten zur Bedrohung durch einzelne Staaten sei jetzt erst abgeschlossen worden, betonte der Sprecher.

(sueddeutsche.de/AP/AFP/dpa)

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