Israel und der Machtwechsel bei Kadima:Ohne Washington wird auch Livni scheitern

Der Erfolg der israelischen Politikerin Tzipi Livni ist eine Chance für den Pragmatismus - die auch von den USA genutzt werden muss.

Avi Primor

Tzipi Livnis knapper Wahlsieg beim internen Urnengang der israelischen Regierungspartei Kadima hat an sich keine große Bedeutung. Nur wenige tausend Wähler haben an der Wahl teilgenommen, in der sie das Rennen um die Führung der Kadima-Partei für sich entschieden hat. Manche Mitglieder mögen Livni in der Erwartung gewählt haben, dass sie im Falle vorgezogener Parlamentswahlen bessere Chancen als ihr Herausforderer Schaul Mofaz gegen Benjamin Netanjahu vom Likud haben wird. Was bevorsteht, sind jedoch nicht unbedingt vorgezogene Wahlen (zumindest nicht unmittelbar).

Israel und der Machtwechsel bei Kadima: Israels Außenministerin Tzipi Livni trifft 2007 ihre US-amerikanische Amtskollegin Condoleezza Rice.

Israels Außenministerin Tzipi Livni trifft 2007 ihre US-amerikanische Amtskollegin Condoleezza Rice.

(Foto: Foto: Reuters)

Zunächst wird die neue Vorsitzende versuchen, Ministerpräsident Olmert an der Regierungsspitze abzulösen, seine Koalition aufrechtzuerhalten oder eine neue Koalition zu bilden. Ob ihr das gelingt, ist noch offen, wird doch das Ringen und das Feilschen zwischen den heutigen Koalitionspartnern unerbittlich sein. Insbesondere steht zu erwarten, dass die ultraorthodoxe Schas-Partei Livni derartig erpressen wird, dass eine nachgiebige Ministerpräsidentin ihr Amt nur mit gebundenen Händen antreten könnte.

Ähnliche Positionen wie Olmert

Dies würde nicht nur zu einem Scheitern ihrer Regierung führen, sondern auch zu ihrem Scheitern in vorgezogenen Wahlen. Sollte es ihr aber gelingen, eine Koalition mit oder ohne die Schas-Partei zusammenzuhalten, so wird sie wahrscheinlich versuchen, die Politik ihres Vorgängers fortzusetzen.

Livni stammt genau wie Olmert aus dem rechten Lager. Und beide haben im Verlauf der vergangenen Jahre einen Wandel durchgemacht. Lange haben beide daran geglaubt, dass die besetzten palästinensischen Gebiete aus historischen und religiösen Gründen dem Judenstaat gehören. Allmählich sind sie jedoch zu der Überzeugung gekommen, dass die Annexion dieser Gebiete nicht realisierbar ist. Überdies würde eine Annexion für den jüdischen Staat verheerende Auswirkungen haben.

In der Vergangenheit vertraten sie die Meinung, die Beibehaltung der Gebiete durch intensiven Siedlungsbau und durch Bevölkerung mit Juden zu sichern. Heute hingegen betrachten beide die Siedlungsbewegung als Hindernis für die einzige Lösung, die den Staat Israel als jüdischen und demokratischen Staat aufrechterhalten kann.

Diese Lösung ist die Räumung der besetzten Gebiete sowie die Errichtung eines Palästinenserstaats, der friedlich und Seite an Seite mit dem jüdischen Staat existieren soll. Auch bedeutet dies den Friedensschluss mit Syrien und dem Libanon, unter Akzeptanz der Rückgabe der Golanhöhen.

Sollte es einen Unterschied zwischen Olmert und der Anwärterin auf seine Nachfolge geben, so liegt er in der Antwort auf die Frage, ob Tzipi Livni eher diese pragmatische und realistische Politik umsetzen wird.

Der Libanonkrieg und die Folgen

Ehud Olmert hat im Frühjahr 2006 die Parlamentswahlen dank eines einzigen Programmpunkts knapp gewonnen. Es ging damals nicht um den Frieden mit den Palästinensern, sondern um eine einseitige Trennung von ihnen. Olmert versprach, aus dem Westjordanland genau so einseitig abzuziehen, wie es sein Vorgänger Ariel Sharon 2005 im Gaza-Streifen gemacht hatte. Diesen Plan machte der Libanonkrieg im Sommer 2006 zunichte.

Nun begann Olmert, an Friedensverhandlungen und an einen echten Frieden mit einem künftigen Palästinenserstaat zu glauben. Später ließ er sich auch von den Avancen des syrischen Präsidenten Bashar el Assad überzeugen und akzeptierte Friedensverhandlungen mit ihm. Leider aber war der frisch überzeugte Ministerpräsident nach dem Libanonkrieg politisch viel zu angeschlagen, um seine von neuem Realismus geprägten Absichten umsetzen zu können.

Sollte Tzipi Livni die Bildung einer stabilen Koalition gelingen, wird sie bis zu den nächsten regulären Wahlen im November 2010 regieren können. Sollte ihr das nicht gelingen, wird es spätestens innerhalb von drei Monaten zu Wahlen kommen, in denen sie Umfragen zufolge eine knappe Chance hat, zu gewinnen. So oder so wird sie genug Zeit haben, ihre Pläne zu verwirklichen. Im Unterschied zu Olmert ist Tzipi Livni weder durch den Libanon-Krieg noch durch Korruptionsverdacht belastet. Bedeutet dies, dass ihre Chancen besser stehen, nicht nur Friedensverträge mit den Palästinensern und mit den Syrern zu schließen, sondern sie auch umzusetzen? Nicht unbedingt.

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Ohne Washington wird auch Livni scheitern

Dass Olmert schwach war, lag weniger an seiner schwierigen persönlichen Situation oder an der prekären Lage seiner Koalition. Sein Problem war hauptsächlich die skeptische Haltung der Mehrheit der Israelis gegenüber seinen Friedensprojekten. Aus mehreren Umfragen geht hervor, dass eine große Minderheit in Israel sich den Friedensverhandlungen und besonders den Zugeständnissen an den arabischen Kontrahenten äußerst militant widersetzt.

Israel und der Machtwechsel bei Kadima: Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland.

Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland.

(Foto: Foto: dpa)

Allerdings zeigen die Umfragen auch, dass mindestens eine Zweidrittelmehrheit alle erforderlichen Zugeständnisse akzeptiert. Und dennoch - auf aktive Unterstützung der Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und mit den Syrern durch die Israelis kann vorerst auch eine Ministerpräsidentin Livni nicht setzen.

Das Problem, das den meisten Israelis am Herzen liegt und womit sie sich seit der Unabhängigkeit ihres Staates im Jahr 1948 unablässig auseinandersetzen müssen, ist die Sicherheitsfrage. Überzeugt man sie davon, dass Zugeständnisse ihnen Sicherheit bringen, so sind sie zu allem bereit. Das war 1979 der Fall mit Ägypten, und 1994 mit Jordanien. Heute aber glauben die Israelis nicht, dass ein Friedensvertrag mit einem palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas ihnen Sicherheit garantieren könnte, einem Mann, der persönlich zwar glaubwürdig ist, durch den Bürgerkrieg unter den Palästinensern jedoch geschwächt ist.

Syrien fordert Friedensvertrag

Sie glauben auch nicht, dass der traditionell gefährlichste Feind, Syrien, ihnen die Sorgen um ihre Sicherheit nehmen wird, zumindest nicht, solange seine Wünsche offen bleiben. Und die Erfüllung der Wünsche Syriens liegt nicht ausschließlich in Händen israelischer Politiker. Für Syrien ist die Grundbedingung eines echten Friedensvertrags mit Israel, dass sich die Vereinigten Staaten aktiv an dessen Umsetzung beteiligen; so wie es in den späten siebziger Jahren mit Ägypten der Fall war. Und dazu ist George W. Bush nicht bereit.

Im Unterschied zu ihrem Herausforderer innerhalb der Kadima-Partei, dem rechtsnationalistischen Schaul Mofas, ist Tzipi Livni eine kompromissbereite Pragmatikerin. Um erfolgreich zu sein, braucht sie aber die Unterstützung der Bürger. Die wiederum wird sie ohne internationale Hilfe nicht gewinnen können.

(SZ vom 19.9.2008/mati)

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