Israel und der Gaza-Streifen:Preis einer Invasion

Sollte Israel es nicht bei Luftangriffen belassen, sondern nach Gaza einmarschieren, würde es sich selbst am meisten schaden. Worin würde der Erfolg einer israelischen Invasion liegen?

Shlomo Ben-Ami

Für Israel gibt es nach den Ereignissen der vergangenen Tage, nach den Luftangriffen auf den Gaza-Streifen, nur noch eine Frage: Soll es dort nun mit Bodentruppen einmarschieren oder nicht?

Israel und der Gaza-Streifen: Soldaten an der Grenze zum Gaza-Streifen im südlichen Israel: Eine Invasion in Gaza könnte ihnen leicht den Vorwurf von Kriegsverbrechen einbringen.

Soldaten an der Grenze zum Gaza-Streifen im südlichen Israel: Eine Invasion in Gaza könnte ihnen leicht den Vorwurf von Kriegsverbrechen einbringen.

(Foto: Foto: AP)

Aber weder die Regierung in Jerusalem noch die Hamas in Gaza ist in ihren Optionen frei von Widersprüchen, und beide Seiten sind gefangen in einer anscheinend unauflöslichen Situation.

Als Regierung wird die Hamas nach ihrer Fähigkeit beurteilt, den Bewohnern von Gaza Sicherheit sowie eine korrekte Verwaltung zu gewährleisten - doch als Bewegung muss sie bei ihrem unnachgiebigem Versprechen bleiben, die israelischen Besatzer von Palästina bis zum Tod zu bekämpfen.

Schließlich ist die Hamas nicht gewählt worden, um Frieden mit Israel zu schließen oder die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern. Wie ermutigend vereinzelte Anzeichen für mehr politischen Realismus auch sein mögen - es steht nicht auf der Tagesordnung der Hamas, ihre Daseinsberechtigung durch Unterstützung des Friedensprozesses zu gefährden, den der noch amtierende US-Präsident George W. Bush vor gut einem Jahr in Annapolis begründen wollte.

Die Raketen-Offensive der Hamas war kein Versuch, Israel in eine teure Invasion zu verwickeln. Eher sollte dieser Zug ein Gleichgewicht der Bedrohung schaffen, bei dem man den Konflikt in einer geringen Intensität auch dann aufrecht erhalten kann, wenn man sich auf eine Waffenruhe einigt.

Hamas spielt mit dem Feuer

Eine nun immer arrogantere und extrem gut bewaffnete Hamas dürfte sich darauf nur dann einlassen, wenn sie Zugeständnisse sowohl von Israel als auch von Ägypten erhält. Dazu gehören die Öffnung der Grenzen von Gaza, einschließlich des ägyptisch kontrollierten Übergangs von Rafah, die Freilassung von Hamas-Gefangenen in Ägypten, der Stopp israelischer Operationen gegen Hamas-Aktivisten im Westjordanland sowie das Recht, jede unterstellte israelische Verletzung des Waffenstillstands zu beantworten.

Aber dies war und ist eine waghalsige Politik. Denn wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, kann ein Konflikt von geringer Intensität jederzeit leicht in einen Großbrand ausarten - falls Raketen eine politisch untragbare Zahl von Opfern auf der israelischen Seite hervorrufen. Tatsächlich dürften die politischen Führer in Israel die Pläne der Armee nicht nur für Luftangriffe, sondern auch für eine Invasion bereits genehmigt haben.

Aber die Hamas spielt auch auf der ägyptischen Seite mit dem Feuer, indem sie hochmütig den von Ägypten geführten Versöhnungsprozess mit der PLO von Mahmud Abbas unterbrochen hat und sich gegen die ägyptisch-saudische Initiative aussprach, Abbas' Amtszeit als Präsident bis 2010 zu verlängern. Die Hamas hat klar ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, den Chef des palästinensischen Parlaments zum Präsidenten zu ernennen, wenn Abbas' Präsidentschaft offiziell am 9. Januar endet. Dabei allerdings handelt es sich um ein Hamas-Mitglied, das in einem israelischen Gefängnis einsitzt.

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Preis einer Invasion

Dem Radikalismus der Hamas mangelt es nicht an politischen Absichten: nämlich, alles zu beerdigen, was von einer Zwei-Staaten-Lösung noch geblieben ist.

Shlomo Ben-Ami

Shlomo Ben-Ami, ehemaliger Außenminister Israels.

(Foto: Foto: oh)

Die mageren Ergebnisse des Oslo-Friedensprozesses werden von der Hamas als Beleg dafür gewertet, dass die Vereinbarungen von Oslo zum Scheitern verdammt waren, und dass Israel und Amerika nie beabsichtigten, die minimalen Bedürfnisse des palästinensischen Nationalismus zu respektieren.

Politische Alltagskalkulationen waren der Hamas nie gleichgültig, aber sie war auch nie darauf beschränkt. Als fundamentalistische religiöse Bewegung, die ohnehin der Ansicht ist, dass dem Islam die Zukunft gehört, sieht sie sich in einem langfristigen, bewaffneten Kampf zur Befreiung von ganz Palästina. Auch ist das Vabanquespiel der Bewegung nicht völlig irrational.

Denn die Folge des gescheiterten israelischen Versuchs von 2006, die Hisbollah im Libanon zu zerstören, ist: Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes plädiert das militärische Establishment des Landes für Zurückhaltung und übt einen dämpfenden Einfluss auf die Falken im Kabinett aus. Israels Zögern, in Gaza einzumarschieren, beruht auf einer ernsthaften Analyse der Konsequenzen, die ein solcher Schritt hätte.

Israel auf der Anklagebank

Beim Gaza-Streifen handelt es sich um einen sehr dicht besiedelten Landstreifen. Dort werden Zivilisten von der Hamas systematisch als Schutzschilder benutzt. Die Invasion eines solchen Gebiets ist bestens geeignet, Israels Soldaten dem Vorwurf der Kriegsverbrechen auszusetzen.

Wie gerechtfertigt Israels Aktionen auch immer sein mögen und wie kritisch die internationale Gemeinschaft auch immer das repressive Regime der Hamas betrachten wird - es würde nicht lange dauern, bis die breite Berichterstattung der Medien über zivile Opfer Israel auf die Anklagebank rücken wird, und nicht die Hamas. Darüber hinaus würde die Wieder-Besetzung von Gaza Israel zwingen, die volle und ausschließliche Verantwortung zu übernehmen für 1,5 Millionen Palästinenser, die sich nun unter Kontrolle der Hamas befinden.

Aber selbst wenn Israel bereit wäre, den Preis harter internationaler Verurteilung zu zahlen, ist nicht klar, worin der Erfolg im Fall einer Invasion überhaupt bestehen würde. Im Sturz des Hamas-Regimes? Die Regierung des Ismail Haniyeh mag zusammenbrechen, aber die Hamas würde eine mächtige, einheimische palästinensische Organisation bleiben, um die sich die Menschen mit Sicherheit scharen würden. Und auch im Fall einer erneuten Besetzung, auch im Fall bewaffneter israelischer Divisionen, die überall im Gazastreifen stationiert wären -auch in diesem Fall könnten Kassam-Raketen weiterhin abgeschossen werden: die ultimative Demütigung für den Besatzer.

Und schließlich: Auch nach dem Todesstoß für das, was vom Friedensprozess übrig geblieben ist, auch nachdem die Friedhöfe in Israel und im zerstörten Gaza wieder mit neuen Opfern gefüllt worden sind - auch nach all diesen Ereignissen würde Israel sich wieder zurückziehen und einen neuen Waffenstillstand aushandeln wollen... mit derselben Hamas.

Shlomo Ben-Ami war von 1999 bis 2001 Außenminister Israels. Er ist Vizepräsident des "Toledo International Centre for Peace". © Project Syndicate, 2008. Übersetzung: Detlef Esslinger.

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