Nahost-Konfikt:Totgeglaubter israelischer Soldat ist angeblich Hamas-Gefangener

Nahost-Konfikt: "Wir haben keine überprüfbaren Informationen, ob Oron lebt, tot ist oder verwundet", sagt Zehava Schaul.

"Wir haben keine überprüfbaren Informationen, ob Oron lebt, tot ist oder verwundet", sagt Zehava Schaul.

In einem Brief soll er sich an seine Eltern gewandt haben. Die Mutter fordert von der Hamas Beweise, dass er noch lebt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Hoffnung darf nicht sterben, und deshalb hat sich Zehava Schaul den Kameras gestellt. Ganz in Schwarz saß sie vor den Reportern in ihrem Haus in Israels Norden, flankiert von zwei Fotos ihres Sohnes Oron, als sie sich aufraffte zu einem ungewöhnlichen Appell an den Hamas-Führer Ismail Hanijah im Gazastreifen: "Ich will Ihnen glauben, aber geben Sie uns konkrete Beweise, wie es Oron geht", sagte sie. "Ich verspreche Ihnen, dass wir dann das Land und die ganze Welt auf den Kopf stellen, um einen Gefangenenaustausch zu erreichen."

Der öffentliche Auftritt dieser Mutter ist der vorläufige Höhepunkt in einem Drama, in dem es um Trauer und vermutlich ziemlich sadistische Tricks geht. Die Anfänge liegen weit zurück in den finsteren Tagen des Gaza-Kriegs vom Sommer 2014. Der damals 20-jährige israelische Soldat Oron Schaul saß am 20. Juli am Steuer eines gepanzerten Wagens, der im heftig umkämpften Stadtteil Schedschaija von einer Panzer-Abwehrrakete getroffen wurde. Der Wagen brannte komplett aus, sechs Tote wurden hinterher identifiziert - nur von Oron Schaul fehlte jede Spur.

Unmittelbar nach diesem Vorfall präsentierte die Hamas im palästinensischen Fernsehen eine Trophäe: Die Dienstmarke eines israelischen Soldaten namens "Aron Schaul", der angeblich in Gefangenschaft geraten sei. Auf den Straßen von Gaza und auch im Westjordanland kam es sogleich zu Freudenfeiern, denn Geiseln sind Gold wert. Das weiß die Hamas spätestens seit dem Fall Gilad Schalit, jenes israelischen Soldaten, der 2011 nach fünfjähriger Geiselhaft im Gazastreifen gegen mehr als 1000 palästinensische Gefangene ausgetauscht worden war. Für Israel dagegen erschien eine solche Neuauflage als Horrorszenario.

Für tot erklärt

Kein Wunder also, dass zumindest die politische Führung eher beruhigt reagierte, als eine Untersuchung der Armee zum Ergebnis kam, dass auch Oron Schaul den Angriff unmöglich habe überleben können. Die Hamas-Kämpfer, so hieß es, hätten höchstens noch die Leiche wegschaffen können. Aufgrund "forensischer Beweise" wurde er deshalb für tot erklärt, und Verteidigungsminister Moschee Jaalon persönlich überbrachte die Nachricht noch in den Kriegstagen den Eltern.

Fragezeichen aber blieben in diesem Fall ebenso wie im Fall eines gleichfalls vermissten und für tot erklärten zweiten Soldaten namens Hadar Goldin. Israel forderte von der Hamas mehrmals die Herausgabe der Leichname, doch die Herrscher des Gazastreifens hüllten sich weitgehend in Schweigen. Für jede Information über das Schicksal der beiden, so ließen sie durchsickern, müssten erst einmal ein paar palästinensische Gefangene freigelassen werden. Klar ist überdies, dass auch die Leichen-Übergabe einen hohen Preis haben soll.

Nun aber hat die Hamas den Druck erhöht - mit einem emotionsreichen Brief, den angeblich der Soldat Oron Schaul selbst an seine Eltern geschrieben hat. "Meine geliebte Mutter", heißt es darin israelischen Medien zufolge, "ich höre den Regen rings um mich herum, aber ich kann nichts sehen. Ich warte auf gute Nachrichten, die mich zu euch zurückbringen. Ich hoffe auf ein Ende der Gefangenschaft, aber ich fürchte, dass ihr mich vergessen habt, und das macht mich traurig und verzweifelt." Versichert wird in dem Schreiben noch, dass er "gut behandelt" werde von seinen Wächtern, zugleich wird die israelische Regierung heftig kritisiert, weil sie nichts tue für die Freilassung der vom Feind gefangenen Soldaten. Am Ende steht ein Aufruf, der wohl niemanden kalt lassen soll: "Mama und Papa, ich flehe euch an: Tut etwas für mich."

"Wir leben in totaler Unsicherheit"

Offenbar deshalb also ist die Mutter nach langer, qualvoller Zeit nun vor die Presse getreten. Innerhalb der Armee glaubt allerdings niemand daran, dass ein solcher Brief echt sein kann, und auch Zehava Schaul zeigte sich sehr vorsichtig und erklärte: "Wir haben keine überprüfbaren Informationen, ob Oron lebt, tot ist oder verwundet. Wir leben in totaler Unsicherheit."

Doch auf dem Feld der psychologischen Kriegsführung hat die Hamas schon einen ersten Sieg errungen, weil nun der Druck auf Israels Regierung steigt. Zehava Schaul sprach vor der Presse auch Premierminister Benjamin Netanjahu persönlich an: "Anderthalb Jahre lang ist nichts passiert, das muss sich ändern", sagte sie. "Ich verlange jetzt von meinem Land: Bringt mir meinen Sohn zurück."

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