Israel:Shoppen am Sabbat

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Den jüdischen Sabbat begehen Israelis ganz unterschiedlich: Eine orthodoxe Familie beobachtet Kitesurfer am Strand von Tel Aviv. (Foto: Darren Whiteside/Reuters)

In Tel Aviv dürfen rund 160 Geschäfte auch am jüdischen Ruhetag geöffnet bleiben, entschied das Oberste Gericht in Jerusalem. Das entzürnt vor allem die Orthodoxen im Land.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Der Sabbat ist heilig in Israel, die Ruhe gilt am siebten Tag der Woche als religiöse Pflicht. Mit Argusaugen wachen darüber nicht nur die hochmögenden Rabbiner, sondern auch die Politiker diverser frommer Parteien. In der leichtlebigen Mittelmeer-Metropole Tel Aviv allerdings wird auch das jüdische Sabbat-Gebot weit lockerer behandelt als im Rest des Landes. Nun haben die Tel Aviver dazu sogar einen Segen bekommen aus Jerusalem - natürlich nicht vom Rabbinat, aber immerhin vom Obersten Gericht. Dies hat in dieser Woche bestimmt, dass in der weitgehend säkularen Stadt auch weiterhin 160 Geschäfte am Sabbat geöffnet haben dürfen. In Tel Aviv wird das nun gebührend gefeiert. In Jerusalem aber könnte das Urteil eine Koalitionskrise heraufbeschwören.

Es ist der ewige Kampf zweier Welten in einem Land. Während in den jüdischen Vierteln von Jerusalem von Freitagnachmittag bis zum Sonnenuntergang das Leben komatös ruht und höchstens mal ein Stein fliegt, wenn jemand gegen die Sabbatregeln verstößt, läuft Tel Aviv am freien Tag zur Höchstform auf. Die Strände sind voll, die Straßen neben den Autos von Fahrradausflüglern und Rollerbladern verstopft, und natürlich geht man auch gern zum Shoppen. Außer Kiosken und Supermärkten für den täglichen Bedarf gibt es Geschäfte in drei Vergnügungszonen - im Hafen, im alten Bahnhof und im früheren Templerdorf Sarona - die mit Genehmigung der Stadtverwaltung geöffnet sind. Es sollen dort sogar schon Sabbat-Flüchtlinge aus Jerusalem gesichtet worden sein. Die Sabbat-Sonderregelung wurde nun vom Obersten Gericht bestätigt.

Wie zu erwarten war, hat dies die drei in der Regierungskoalition vertretenen religiösen Parteien auf die Barrikaden und zur Verfassung von Brandbriefen gebracht. Innenminister Arye Deri von der ultra-orthodoxen Schas-Partei spricht von einem "harten Schlag gegen den heiligen Sabbat und den Charakter des jüdischen Volkes". Gesundheitsminister Yaakov Litzman vom Vereinigten Torah-Judentum warnt vor einer "Erosion jüdischer Traditionen" und kündigt Maßnahmen an, das Urteil des Obersten Gerichts zu umgehen. Erziehungsminister Naftali Bennett von der nationalreligiösen Siedlerpartei Jüdisches Heim macht macht schließlich Druck auf Premierminister Benjamin Netanjahu. Er sieht durch das Urteil entsprechende Koalitionsvereinbarungen zur Rettung der Sabbatruhe ausgehebelt.

Obenauf ist dagegen nun der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai. "Tel Aviv war immer eine freie Stadt und wird frei bleiben", sagte er. Rückenwind gibt ihm zudem eine Umfrage der Organisation Hiddusch, die sich für religiöse Freiheit in Israel einsetzt. Demnach befürworten 78 Prozent der jüdischen Israelis, dass in Tel Aviv Geschäfte am Sabbat geöffnet bleiben. Eine andere Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew zeigt zudem, dass die israelische Gesellschaft in der Frage der Religion in zwei fast gleich große Hälften geteilt ist: 49 Prozent bezeichnen sich als nicht religiös, 29 Prozent als traditionell und 22 Prozent als religiös oder streng religiös.

Den Siegerjubel verband der Tel Aviver Bürgermeister deshalb mit einem Aufruf zur Toleranz. Zudem fordert er "eine mutige Diskussion auf nationaler Ebene über den Charakter des Sabbat in Israel, die keine Gruppe privilegiert, sondern eine Balance herstellt zwischen den Bedürfnissen, Traditionen und dem Glauben der gesamten Bürgerschaft". Dies war das Schlusswort nach einer Woche hitziger Debatten. Doch ganz bestimmt geht der Streit noch weiter, wenn der Sabbat erst mal vorbei ist.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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