Israel im Atomstreit mit Iran:Kriegsgeheul aus sicherer Entfernung

Israel wagt im Konflikt um das iranische Atomprogramm einen riskanten Alleingang. Bisher steht Premier Netanjahu mit seinen Kriegsdrohungen auf breiter Front als Gewinner da. Doch das könnte sich schnell ändern - in dem Augenblick, in dem er vom Wort zur Tat schreitet.

Peter Münch, Tel Aviv

Die sicherste Art, einen Krieg zu gewinnen, ist, ihn gar nicht erst zu führen. Im vorgelagerten Dickicht der Drohungen und Sanktionen lässt sich so manche Schlacht auch ohne Blutvergießen schlagen. Siege werden hier mit kühlem Kopf und strategischem Geschick erzielt, nicht mit Bombenhagel und Raketenfeuer.

Auch in Israel weiß man, dass ein Krieg das Ende von Sicherheit und Planung, also unkontrollierbares Risiko bedeutet. Wenn die Führung in Jerusalem also klug ist, dann dient das anschwellende Kriegsgeheul Richtung Teheran dem Ziel, mit maximaler Drohkraft eben diesen Krieg zu vermeiden. Die Frage ist nur, ob diese Führung wirklich klug ist.

Auf den ersten und auch zweiten Blick hat es etwas Obsessives, wie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak im Konflikt um das iranische Atomprogramm allein gegen den Rest der Welt die Kriegstrommel rühren. Zur Mobilmachung dienen ihnen der irrationale Holocaust- Vergleich ebenso wie die Prophezeiungen eines beherrschbaren 30-tägigen Mehrfrontenkriegs mit insgesamt 500 Toten.

Als Begleitmusik werden Zivilschutzübungen abgehalten und Raketenalarmsysteme per SMS erprobt. All dies vermittelt den Eindruck, dass es längst nicht mehr darum geht, ob ein Krieg kommt, sondern wann - sind es noch Monate oder vielleicht nur noch wenige Wochen?

Solange die israelischen Kampfjets nicht aufgestiegen sind, darf dies als gerissene Taktik gelten. Mit seinen Kriegsdrohungen steht Netanjahu auf breiter Front als Gewinner da. National und international hat er sein Lieblingsthema ganz nach oben auf die Agenda gehievt. Zu Hause demonstriert längst schon keiner mehr gegen die hohen Lebenshaltungskosten, wo es doch jetzt Gasmasken umsonst gibt.

Amerikaner und Europäer nerven nicht mehr mit ihren ständigen Mahnungen zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses und schweigen still zum Siedlungsbau. Der Feind in Teheran wird unter dem Druck der Sanktionen jeden Tag ein bisschen schwächer. Dabei spürt er mittlerweile nicht nur die Israelis, sondern auch die Amerikaner im Nacken. Besser könnte es für Netanjahu nicht laufen.

Test für den Mut der Mullahs

Es könnte allerdings sehr schnell sehr viel schlechter laufen - von dem Augenblick an, in dem er vom Wort zur Tat schreitet. Bei einem militärischen Alleingang gegen Iran könnte Netanjahu all das, was er gewonnen hat, auf einen Schlag verlieren. Der Westen, der ihn jetzt so angenehm in Watte packt, wird ihm kaum verzeihen, dass er mitten in den arabischen Aufbruch hinein einen neuen Regionalkonflikt heraufbeschwört und obendrein die Weltwirtschaft wegen steigender Ölpreise ins Wanken bringt.

Zudem ist keinesfalls klar, was ein solcher Krieg tatsächlich für Israel bedeuten würde. Bei aller einschlägigen Erfahrung hat die Metropole Tel Aviv bislang nur einmal im Golfkrieg von 1991 unter Beschuss gelegen - und dieses Trauma bis heute kaum verarbeitet. Am Ende könnte Netanjahu auch noch von den Wählern vom Hof gejagt werden, weil er sie allzu blind den Gefahren des Gegenschlags ausgesetzt hat.

Das alles wäre ein sehr hoher Preis dafür, dass ein israelischer Angriff nach Meinung fast aller Experten das iranische Atomprogramm nur für kurze Zeit zurückwerfen würde. Unter dem Strich spricht vieles dafür, dass auch Netanjahu all seiner starken Worte zum Trotz diesen Krieg nicht wollen kann. Obendrein ist er in seiner politischen Karriere - anders als manche seiner stilleren Vorgänger - nicht als Haudegen, sondern als Zinker und Zauderer aufgefallen. Ein Bluff also würde zu Netanjahu passen.

Dieser Bluff wäre dann nicht nur darauf angelegt, den Mut der Mullahs zu testen. Mindestens genauso wichtig ist die Wirkung, die er in Washington entfalten soll. Israels Führung hat klargemacht, dass es allerhöchstens einen Grund geben könnte, auf einen Alleingang zu verzichten: eine felsenfeste Garantie der USA, Iran mit militärischen Mitteln vom Atombombenbau abzuhalten. Auch auf diesem Weg ist Netanjahu erfolgreich vorangekommen: US-Präsident Barack Obama steht bei ihm im Wort, und falls Mitt Romney die Wahl gewinnt, sitzt im Weißen Haus ohnehin ein Bruder im Geiste.

Realpolitisch betrachtet, wirkt die Aufregung um einen möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Krieg zwischen Israel und Iran übertrieben. Noch sind die Iraner ein gutes Stück von der Bombe entfernt, noch bleibt Zeit, sie von ihren Plänen abzubringen. Selbst wenn das Kriegsgebrüll lauter wird, bewegt sich der Konflikt noch im diplomatisch steuerbaren Rahmen. Eine Garantie dafür, dass dies so bleibt, kann jedoch niemand geben. Die sicherste Art, den Frieden zu gefährden, ist die ständige Drohung mit Krieg.

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