Israel:"Wir erklären den Krieg gegen Werfer von Steinen und Brandsätzen"

Tension in the Old City of Jerusalem

Jeder provoziert jeden: Aktivistinnen der muslimischen Murabiten rufen in Jerusalems Altstadt Slogans gegen Juden, die auf den Wegen zur Al-Aksa-Moschee beten.

(Foto: Abir Sultan/dpa)

Die Konfrontation um den Jerusalemer Tempelberg beunruhigt die Welt. Israel setzt allein auf ein Rezept: Härte.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wenn rund um den Jerusalemer Tempelberg die Gewalt eskaliert, dann hält die Welt den Atem an. Weil in dieser Woche über Tage hinweg Steine und Brandsätze flogen und sich palästinensische Demonstranten und israelische Sicherheitskräfte ineinander verkeilt haben wie schon lange nicht mehr, rief sogar der UN-Sicherheitsrat in der Nacht zum Freitag dringlich zu "Ruhe und Zurückhaltung" auf. Auch Jordaniens König schaltete sich ein, der saudische Monarch telefonierte mit US-Präsident Barak Obama - es ist ein globales Warnen und Mahnen, Drohen und Zetern. Doch nichts davon scheint der Gewalt Einhalt zu gebieten an diesem Ort, um dessen Heiligkeit Juden und Muslime wetteifern. Denn hinter den Kulissen ist für die Protagonisten in diesem Spiel der Tempelberg der beste Ort, um die nahöstliche Wunde schwären zu lassen.

Wer in jedem einzelnen Fall verantwortlich ist für die Eskalation, wer provoziert, und wer nur reagiert, lässt sich längst nicht mehr sagen nach einer langen Kette von Vorfällen. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas wirft Israels Regierung einen heimlichen Plan vor, um die Nutzung des Tempelbergs alias Haram al-Scharif entweder geografisch oder zeitlich aufzuteilen. Festgeschrieben ist bislang, dass dort allein Muslime beten und alle anderen nur als Besucher kommen dürfen. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dagegen wird nicht müde zu beteuern, dass er nicht am Status quo rütteln wolle. Zugleich jedoch verhindert er es nicht, dass Minister aus seinem Kabinett auf den Tempelberg ziehen - zum Beten. Auch eine Jugenddelegation seiner Likud-Partei ist dort in dieser Woche 20 Mann hoch aufgetreten, um, wie sie erklärten, "unsere Oberherrschaft an unserem heiligsten Ort" zu demonstrieren.

"Tag des Zorns"

So werden die Flammen entfacht, auf denen nun jede Seite ihr Giftsüppchen kocht. Die Hamas hat die Gelegenheit genutzt, den Freitag zum "Tag des Zorns" auszurufen und damit ihre Anhänger in Jerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen zu mobilisieren. Nach dem verheerenden Krieg im Vorjahr um Gaza sind die Islamisten derzeit an keiner großen Auseinandersetzung mit Israel interessiert. Gleichwohl suchen sie nach Kampfplätzen, auf denen sie sich als Kraft des Widerstands inszenieren können. Die Steinewerfer vom Tempelberg dienen ihnen dabei als Fußtruppen, oft sind es Jugendliche.

Benjamin Netanjahu

"Wir erklären den Krieg gegen Werfer von Steinen und Brandsätzen. Wir werden die Schießbefehle ändern, Mindeststrafen erhöhen und bei Minderjährigen die Eltern mit hohen Geldbußen belegen."

Präsident Abbas dagegen sieht in der Konfrontation um den Tempelberg ein probates Mittel, den klassischen Nahost-Konflikt wieder auf die internationale Agenda zu hieven. Schließlich sind die Palästinenser durch den Arabischen Frühling, den Krieg in Syrien und das Vordringen des Islamischen Staats in der weltweiten Wahrnehmung arg ins Hintertreffen geraten in der vergangenen Zeit. Nun aber darf Abbas in Sachen Tempelberg wieder mit dem Papst telefonieren, dem ägyptischen Präsidenten und dem Generalsekretär der Arabischen Liga. Das ist gut fürs Selbstwertgefühl und stärkt ihm den Rücken in innenpolitischer Bedrängnis.

Israel setzt in dieser Auseinandersetzung allein auf ein Rezept: Härte. "Wir erklären den Krieg gegen Werfer von Steinen und Brandsätzen und gegen Randalierer", verkündete Netanjahu diese Woche, nachdem in Jerusalem auch noch ein 64-jähriger israelischer Autofahrer vermutlich nach einem Steinwurf tödlich verunglückt war. "Wir werden die Schießbefehle ändern, die Mindeststrafen erhöhen und bei Minderjährigen die Eltern mit hohen Geldbußen belegen", kündigte der Regierungschef an. Die Mindeststrafe für Steinewerfer soll künftig fünf Jahre Gefängnis betragen, mindestens zehn Jahre drohen bei Molotow-Cocktails. Bei jugendlichen Straftätern müssen die Eltern zudem mit Geldstrafen bis zu 100 000 Schekel, umgerechnet 22 500 Euro, rechnen.

Solch martialische Töne haben Netanjahu den erhofften Beifall von rechts eingebracht. Am Freitag wurde allen Männern unter 40 Jahren der Besuch der Al-Aksa-Moschee verboten. 800 Polizisten zusätzlich wurden nach Jerusalem entsandt, die nicht nur in der umkämpften Altstadt eingesetzt wurden, sondern auch an verschiedenen Checkpoints in den arabischen Stadtvierteln. Das zielt erklärtermaßen auf eine Kollektivbestrafung ab: Der Druck soll die arabische Bevölkerung dazu bringen, die Steinewerfer zurückzuhalten, um Schaden von allen abzuwenden. Gewiss kann es niemand der israelischen Regierung verübeln, wenn sie angesichts dauernder Krawalle in Jerusalem Ruhe und Ordnung durchsetzen will. Doch solch massive Mittel führen erfahrungsgemäß eher zur Eskalation. Nach dem Auftakt in dieser Woche zum jüdischen Neujahrsfest drohen nun weitere sehr unruhige Feiertage. Nächste Woche steht Jom Kippur an, die Woche darauf das Laubhüttenfest. An Tagen wie diesen ist der Tempelberg besonders explosiv.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: