Israel:Es riecht etwas nach Putins Russland in Jerusalem

Israel ist zu Recht stolz darauf, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein. Doch dort macht sich eine Art von Autokratie breit, gegen legitime Kritik wird mit hässlichen Mitteln gekämpft.

Kommentar von Peter Münch

Wenn Israels Politiker ihre Demokratie beschreiben, wählen sie gern das Bild von der "Villa im Dschungel". Ringsherum im Nahen Osten wuchern Chaos und Bürgerkriege, es regieren Autokraten oder es herrscht schlicht Anarchie.

In Israel dagegen funktionieren Parlament und Justiz, es wird regelmäßig gewählt und nach Herzenslust koaliert. Doch jeder Dschungel hat die Eigenschaft, sich auszubreiten - und mittlerweile wird auch Israels Demokratie bedroht von manch gefährlichem Wildwuchs.

Es geht dabei nicht mehr allein um die Verrohung der Sitten, sondern um die Substanz: um den offenen Diskurs und um die moralischen Werte. Die seit der Staatsgründung notwendigen Abwehrkämpfe gegen die Feinde von außen drohen umzuschlagen in einen Abwehrkampf im Innern.

Paranoia-Förderer in Parlament und Regierung

Andersdenkende werden diffamiert, und die Paranoia wird längst nicht nur von ein paar Außenseitern angeheizt, sondern mitten aus dem Parlament und der rechten Regierung heraus gezielt geschürt.

Mit infamen Vorwürfen und immer neuen Gesetzesentwürfen sollen Kritiker von links mundtot gemacht werden. Es riecht nach Wladimir Putins Russland in Jerusalem.

Ein Paradebeispiel dafür ist der Umgang mit der auch international bekannten Organisation Breaking the Silence. In ihr haben sich ehemalige und aktive Soldaten zusammengeschlossen, die das Schweigen brechen wollen über die Auswüchse der israelischen Besatzung in den Palästinensergebieten.

Dazu werden Zeugenaussagen veröffentlicht zu Menschenrechtsverletzungen und möglichen Kriegsverbrechen. Das ist gewiss unbequem für die Armee, doch statt sich mit den Inhalten dieser Aussagen auseinanderzusetzen, wird von Staats wegen nun aus allen Rohren auf die Überbringer der schlechten Nachrichten gefeuert.

Selbst der Präsident wird verfolgt und bedroht

Die kritischen Soldaten, die für Israel in den Besatzungsgebieten und im Krieg ihren Kopf hingehalten haben, werden als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Verteidigungsminister Moschee Jaalon beschimpft die Organisation als "heimtückisch" und hat ihr nun offiziell den Zugang zu allen Armee-Einrichtungen untersagt.

Erziehungsminister Naftali Bennett verjagt sie aus den Schulen, wo Mitglieder von Breaking the Silence bislang noch über ihre Erfahrungen berichten durften. Bennett begründet den Bann damit, dass er dort "keine Hetze gegen die Armee" dulde.

Justizministerin Ajelet Schaked arbeitet derweil an einem Gesetz, das Menschenrechtsorganisationen wie Breaking the Silence, die überwiegend von westlichen Regierungen oder der EU finanziert werden, künftig als ausländische Agenten erscheinen lässt.

Vier dieser vermeintlichen "Agenten" wurden nun in einem Video und in Zeitungsanzeigen der rechtsextremen israelischen Organisation Im Tirtzu öffentlich an den Pranger gestellt und als "Komplizen des Terrors" geschmäht.

Es ist weit gekommen in der "Villa im Dschungel"

Kein Wunder, dass diese Menschenrechtler nun fürchten, zum Ziel von Gewalt zu werden. Doch nicht nur linke Aktivisten sind bedroht, sondern sogar der Staatspräsident Reuven Rivlin, der sein gesamtes politisches Leben lang als strammer Rechter galt.

Er wird aus der Regierung heraus angegriffen, weil er mit Vertretern von Breaking the Silence auf einer Konferenz der linksliberalen Tageszeitung Haaretz aufgetreten ist.

Weil er sich überdies als aufrechter Demokrat für die Rechte der arabischen Minderheit einsetzt, wird er als "Verräter" beschimpft, in Nazi-Uniform gezeigt und mit Morddrohungen verfolgt.

So weit also ist es gekommen in der "Villa im Dschungel". Die Regierung hat sicher recht, wenn sie den von ihr viel zitierten "jüdischen und demokratischen Staat" bedroht sieht durch Feinde im Innern. Doch diese Feinde sind nicht die, die dem Land einen Spiegel vorhalten.

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