Israel:Dem Premier entgleist die Lage

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Der Verkehrsminister: Netanjahu beschuldigt Israel Katz für das Chaos, doch die Israelis sehen das anders. (Foto: Ronen Zvulun/Reuters)

Netanjahu stoppt Bahnarbeiten am Sabbat - nun sind statt der religiösen Koaltionspartner die Pendler wütend.

Von Peter Münch, Tel Aviv

"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", heißt es in einem alten Arbeiterlied, und natürlich gehört in Israel der starke Arm dem Premierminister. Kraft seines Arms und seines Amts hat Benjamin Netanjahu nun dafür gesorgt, dass am zurückliegenden Sabbat heilige Ruhe herrschte auf den Bahn-Baustellen des Landes. Provoziert hat er damit allerdings ein höllisches Verkehrschaos zu Wochenbeginn. Nun diskutiert das ganze Land über das sogenannte Traingate und den neuen "Sabbat-Krieg".

Geplant waren dringende Ausbesserungsarbeiten am Gleiskörper, und die üblichen Sondergenehmigungen für die eigentlich verbotene Arbeit am Sabbat waren längst erteilt. Plötzlich aber stürzten sich die politischen Vertreter der Ultra-Orthodoxen auf dieses Thema, wetterten gegen die "Entheiligung" des jüdischen Ruhetags und setzten Netanjahu gehörig unter Druck. Exakt fünf Minuten vor Sabbat-Beginn entschied deshalb der Premier persönlich, dass die vorgesehenen Bauarbeiten nicht stattfinden dürften.

Die Arbeiter auf insgesamt 20 Bahn-Baustellen, die ihr Werk bereits begonnen hatten, wurden umgehend nach Hause geschickt. Ein Triumph war das für die beiden ultra-orthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Torah-Judentum, von deren Stimmen Netanjahus rechts-religiöse Koalition abhängt. Ein Albtraum aber wurde es für Zigtausende Pendler und Soldaten. Die abgesagten Bauarbeiten mussten zu Wochenbeginn nachgeholt werden, der Zugverkehr auf mehreren Strecken, vor allem zwischen Tel Aviv und Haifa, fiel aus, und auf den deshalb überfüllten Straßen herrschte Chaos.

Die Opposition hatte guten Grund, dem Regierungschef eine "Kapitulation" vor den Ultra-Orthodoxen vorzuwerfen. Die Frommen machen zwar nur zehn Prozent der Bevölkerung aus, aber beweisen zum Leidwesen vieler säkularer Juden immer wieder ihre Macht. Es gab wütende Demonstrationen vor stillgelegten Bahnhöfen und heftige Debatten auf den Straßen und in den Medien. Netanjahu bemühte sich deshalb sofort um persönliche Schadensbegrenzung. Er versuchte, die Wut auf seinen Verkehrsminister Israel Katz abzuleiten. Mit ihm hat er ohnehin noch mindestens eine Rechnung offen wegen eines jüngst zwischen den beiden ausgetragenen Machtkampfs in der Likud-Partei. Nun warf er seinem Minister vor, mit der Arbeitsansetzung am Sabbat eine unnötige Krise provoziert und die gestrandeten Zuggäste als "Geiseln" benutzt zu haben.

Der Schuss jedoch ging nach hinten los. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung das Chaos nicht Katz, sondern Netanjahu anlastet. Der Minister kann wohl im Amt bleiben, weil Netanjahu sonst eine Revolte im Likud befürchtet. Die Fahrgäste aber dürfen sich schon am nächsten Wochenende auf eine Wiederholung dieser Posse einstellen. Denn die nötigen Arbeiten sind noch längst nicht fertig.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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