Island:Für ein anderes Island

Gudni Th. Johannesson

Bittet darum, "dass die Anführer ehrlich sind": Kandidat Jóhannesson.

(Foto: Axel Sigurdsson/dpa)

Der Historiker Jóhannesson ist Favorit bei der Präsidentenwahl am Wochenende.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Nie zuvor mussten die Isländer so lange auf einen neuen Präsidenten warten, noch nie wollten so viele Isländer selber Präsident werden. Zwanzig Jahre lang hat Ólafur Ragnar Grímsson das Amt inne gehabt, nun gibt es neun Kandidaten, die ihn ablösen möchten. Die Wahl am Samstag folgt turbulenten Wochen in Reykjavik, nachdem die Panama-Enthüllungen den Premierminister im April zum Rücktritt zwangen. Die folgenden Grabenkämpfe im Parlament überschatteten den Wahlkampf für das Präsidentenamt, Grímsson selber trug mit seinem Zickzackkurs um die eigene Kandidatur zur Verwirrung bei. Nun aber gibt es einen klaren Favoriten, und der ist vor allem eines: kein Politiker.

Guðni Jóhannesson holte Amtsinhaber Grímsson in den Umfragen bereits fast ein, als seine Kandidatur noch gar nicht offiziell war. Nun führt er so deutlich, dass seine Wahl als nahezu sicher gilt. Der 47-Jährige lehrt an der Uni in Reykjavik und ist spezialisiert auf die moderne Geschichte Islands, auch die der isländischen Präsidentschaft. Er tritt häufig als Experte in Medien auf, die Isländer kennen und respektieren ihn. Er betont, dass der Präsident unpolitisch, parteilos und objektiv sein sollte - also all das, was Grímsson als Präsident eher nicht war. "Wir, die Menschen dieses Landes, bitten nicht um viel", sagte Jóhannesson, als er seine Kandidatur Anfang Mai bekannt gab. "Wir bitten nicht um eine perfekte Gesellschaft, um perfekte Anführer", sondern nur darum, dass die Anführer "ehrlich sind, ihr Wort halten und nichts zu verbergen haben".

Bevor sich der Historiker zur Wahl stellte, hatte es eine eher unübersichtliche Liste von Kandidaten gegeben. Politiker, Unternehmer, Schriftsteller, auch eine Krankenschwester, ein Lkw-Fahrer, ein Blogger hatten sich beworben. Manche zogen wieder zurück, einen Favoriten gab es lange nicht und Experten fürchteten bereits, die Wahl könnte zur Farce werden. Präsident Grímsson hatte im Januar verkündete, er werde nicht für eine sechste Amtszeit kandidieren. Im April nahm er das mit dem Argument zurück, dass Island ihn nach den Panama-Skandalen bräuchte. Zwei Wochen später kam heraus, dass seine Frau selber in den Papieren auftauchte. Grímsson machte die nächste Kehrtwende, zog seine Bewerbung wieder zurück - auch weil in der Zwischenzeit zwei neue Kandidaten aufgetaucht waren. Grímsson ahnte wohl, dass er nicht mehr gewinnen würde.

Einer dieser beiden Kandidaten ist Historiker Jóhannesson, der inzwischen in allen Umfragen mehr als 50 Prozent erreicht. Auf ihn folgt Davíð Oddsson, ein alter Gegenspieler von Präsident Grímsson, der außer dem höchsten Amt im Staat schon fast jedes Spitzenamt bekleidet hat. Davíð Oddsson war Bürgermeister von Reykjavik, Premier, Außenminister. Danach leitete er vier Jahre die Zentralbank und blieb gleichzeitig Chef der konservativen Unabhängigkeitspartei - eine Doppelrolle, die von vielen später als Mitauslöser für die Bankenkrise kritisiert wurde. Heute ist Oddsson Chefredakteur der Tageszeitung Morgunblaðið, in den Umfragen liegt er auf Platz zwei, weit hinter Jóhannesson.

Von einem möglichen Präsidenten Jóhannesson wird erwartet, dass er sich weniger in die Politik einmischt als sein Vorgänger. Grímsson hatte sich als erster Präsident in der Geschichte Islands geweigert, Gesetze zu unterzeichnen und stattdessen die Bevölkerung darüber abstimmen lassen. Zwei mal ging es dabei um Entschädigungen, die die Isländer ausländischen Sparern nach der Bankenpleite zahlen sollten, zwei mal stimmten sie dagegen. Jóhannesson würde Referenden lieber ohne Präsidenten-Veto ermöglichen. Direkte Demokratie bedeute nicht, dass die Leute sich vor dem Amtssitz versammeln müssten, "mit einer Petition in der einen und einer Fackel in der anderen Hand", und darum bitten müssten, "über das abstimmen zu dürfen, was uns betrifft", sagt er. Doch für einen anderen Weg müsste erst die Verfassung geändert werden.

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