Islamisten in Deutschland:Die stillen Rekruten des Heiligen Krieges

Die türkische Polizei hat den mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge auf Istanbuler Synagogen gefasst. Auch in Hamburg, Mailand und Birmingham wurden verdächtige Islamisten verhaftet. Trotz dieser Erfolge warnen die Sicherheitsbehörden: Es gibt immer mehr Hinweise auf Aktivitäten von Terrorgruppen in Deutschland - und auf die wachsende Gewaltbereitschaft von radikalen Islamisten.

Von Annette Ramelsberger

(SZ vom 1. Dezember 2003) Es musste nichts bedeuten. Natürlich hätten sie auch Touristen sein können. Interessierte Kunsthistoriker, die die stattliche Kirche auf Video bannen wollten, um zuhause dann in aller Ruhe die architektonischen Details zu studieren.

Doch die beiden arabisch aussehenden Männer, die ihre Videokamera auf das Eingangsportal des evangelischen Gotteshauses in einer süddeutschen Großstadt richteten, nahmen sich schon erstaunlich viel Zeit: Sie filmten die Kirche, sie filmten den Platz davor, sie filmten die Nachbargebäude - bis einigen Spaziergängern mulmig wurde und sie die Polizei alarmierten.

Die stellte fest, dass die beiden Männer zuvor schon in anderen Städten aufgefallen waren, wo sie ebenfalls ausgiebig christliche Kirchen gefilmt hatten. Kunsthistoriker waren sie nicht. Touristen seien sie, erklärten die beiden. Doch ihr Touristenvisum war schon drei Monate lang abgelaufen. Bei den Polizisten klingelten die Alarmglocken.

Denn auch die so genannte Meliani-Gruppe, die vor drei Jahren in Straßburg eine Bombe auf dem Weihnachtsmarkt zünden wollte und im letzten Augenblick gefasst wurde, hatte ihr Anschlagsziel ausgiebig mit Videokameras aufgenommen. Vergangenes Jahr wurden vier Mitglieder dieser Meliani-Gruppe zu Haftstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren verurteilt. Doch den Herren, die die evangelische Kirche filmten, konnten die Sicherheitsbehörden nichts Konkretes nachweisen. Ihre Personalien wurden in der Gefährder-Datei aufgenommen, mehr konnte die Polizei nicht tun.

Söhne als Märtyrer

Die Sicherheitsbehörden sind in Hab-Acht-Stellung. Denn immer mehr Hinweise von Geheimdiensten machen den Deutschen deutlich, dass sie längst nicht mehr die Insel der Seeligen sind, die vor Terroranschlägen weitgehend sicher ist. Immer klarer wird, dass sich hier ein islamistisches Reservoir gebildet hat, aus dem charismatische Anführer nur zu schöpfen brauchen. Die Behörden bekommen ihre Befürchtungen bestätigt, wenn sie die Berichte der Geheimdienste lesen, die ihnen in regelmäßigen Abständen zugehen.

Da beschreibt einer dieser Berichte, wie gläubige deutsche Muslime reagierten, als bekannt wurde, dass einer der Ihren als Kämpfer in Tschetschenien umgekommen war. Die Witwe des Mannes erklärte in der Moschee nicht etwa, wie bestürzt sie sei. Sie sagte, sie sei stolz darauf, einen Märtyrer zum Mann zu haben. Nun werde sie auch ihren Sohn in den Heiligen Krieg schicken. Die Menschen in der Moschee hielten sie nicht zurück - sie applaudierten.

"Wir sind gegen gar nichts versichert", sagt Herbert Müller, Islamexperte beim baden-württembergischen Verfassungsschutz. "Wir beobachten, wie sich hier ein Potenzial von Islamisten bildet, das jederzeit zu aktivieren ist." Allein die türkische Islamisten-Gruppe IBDA-C, die "Front der Vorkämpfer für einen Großen Islamischen Osten", unterhält nach einem internen Bericht des Bundeskriminalamtes in acht deutschen Städten selbstständige Gruppen. 40 Angehörige soll sie in Westeuropa haben und "extrem gewaltbereit" sein. Die Gruppe hatte sich zu den Anschlägen auf zwei Synagogen und das britische Konsulat in Istanbul bekannt.

"Istanbul war nur eine Kleinigkeit"

Spiegel-online zitiert ein Mitglied des deutschen Ablegers der IBDA-C, einen Mann namens Zafer Yilmaz: "Istanbul war nur eine Kleinigkeit. Das richtige Schlachtfest kommt erst noch." Sicherheitsexperten halten das für Maulheldentum, und eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes erklärte, die Gruppe habe keine hinreichend große Anhängerschaft und auch keine ausreichende Logistik, um in Deutschland wirklich gefährlich zu werden. Doch oft kommt es gar nicht auf die Menge der Mitglieder an.

So erscheint die Gruppe "Ansar al Islam" den Sicherheitsbehörden als durchaus gefährlich, obwohl sie keine festen Strukturen hat und nur einzelne Anlaufstellen in Deutschland - die jedoch sind sehr aktiv. Diese Gruppe ist ein brisantes Konglomerat aus Kurden und Islamisten und offenbar im Spiel, wenn es darum geht, Kämpfer gegen die Amerikaner in den Irak zu schleusen. Ihr geistiger Anführer Mullah Krekar sitzt in Oslo im Exil und feuert seine Leute zum Heiligen Krieg an. Über den Nordirak soll er die Nachschublinie für Selbstmordattentäter im Irak organisieren - auch aus Deutschland.

Hinweis auf Waffendepot

Erst vergangene Woche erklärte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, er habe Hinweise auf zwölf bis 13 deutsche Islamisten, die in den vergangenen Monaten versucht hätten, in den Irak zu gelangen. Mittlerweile ist klar, dass diese deutschen Islamisten nicht nur mal eben sehen wollten, wie es denn so zugeht im Irak. Sie werden offensichtlich genau instruiert, wo sie versteckte Waffendepots finden. Als deutsche Sicherheitsbehörden die Amerikaner auf ein ihnen bekannt gewordenes Waffenversteck im Irak hinwiesen, wurden die Amerikaner exakt dort fündig.

Einer der Männer, die in den Irak gehen wollten, ist der Hamburger Abderrazak M.. Seit 1991 lebt der Algerier in Deutschland, ist seit 1999 mit einer Deutschen verheiratet. Im März bestieg er ein Flugzeug nach Syrien, doch dort wurde er festgenommen und zurückgeschickt. Kaum war er wieder in Hamburg, so berichtet der Verfassungsschutz, nahm er Kontakt zu einem spanischen Islamisten auf - mit großer Wahrscheinlichkeit wollten die beiden ein Bombenattentat begehen.

Doch Abderrazak M. kam wieder frei: Die Beweise waren nicht dicht genug. Erst als die italienischen Behörden am Freitag einen Haftbefehl schickten, konnte der Mann festgenommen werden. Er soll mit Islamisten aus Mailand Selbstmordattentäter für den Irak rekrutiert haben.

Nach Tschetschenien gehen deutsche Muslime schon lange. Gebürtige Türken, gebürtige Tunesier, die schon längst deutsche Staatsbürger sind, kämpfen dort auf Seiten der Islamisten gegen die Russen. Von zwei deutschen Toten in Tschetschenien weiß man sicher, sie kamen aus Neu-Ulm und Schorndorf bei Stuttgart. "Wir wissen aber mit großer Sicherheit, dass noch mehr Deutsche in Tschetschenien umgekommen sind", sagt ein hoher deutscher Sicherheitsexperte. Rund zwei Dutzend Deutsche kämpften in Tschetschenien. Und mindestens 18 Leute seien in den Irak aufgebrochen.

Mehr als der Zug der deutschen Islamisten in den Heiligen Krieg aber treibt die deutschen Behörden etwas anderes um. "Diesmal heißt der Befehl noch: Geh' in den Irak! Aber was macht ein deutscher Islamist, wenn der Befehl heißt: Mach was in Deutschland!", fragt Bayerns Innenminister Günther Beckstein. "Wir wiegen uns bisher in viel zu großer Sicherheit, dass bei uns nichts passieren kann."

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