IS-Terror:Direkter Befehl aus dem IS-Hauptquartier

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Beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wird ein Terrorverdächtiger dem Haftrichter vorgeführt. (Foto: AP)
  • Die Informationen über den mutmaßlich in Düsseldorf geplanten Anschlag kommen von Saleh A.
  • Der 25-Jährige wohnte in einer Flüchtlingsunterkunft in Kaarst und ging dann nach Frankreich, wo er sich den Pariser Ermittlungsbehörden offenbarte.
  • Saleh A. behauptet, ihm sei befohlen worden, eine sogenannte Schläferzelle zu gründen - und schließlich in der Altstadt von Düsseldorf zuzuschlagen.
  • Die französischen Fahnder schalteten sofort ihre deutschen Kollegen ein.

Von Georg Mascolo

Für die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gehört die Verhaftung von Terrorismus-Verdächtigen inzwischen zum Tagesgeschäft, ganze Referate kümmern sich ausschließlich um die Strafverfolgung von mutmaßlichen Anhängern des sogenannten Islamischen Staates.

Der Fall mit dem Aktenzeichen 2 BJs 17/16 aber ist auch für die Strafverfolger eine Besonderheit: Es geht in dem Verfahren darum zu klären, ob der IS einen groß angelegten Anschlag in Deutschland in Auftrag gegeben hat, ein Selbstmordattentat, mitten auf der Heinrich-Heine-Allee im Stadtzentrum von Düsseldorf. Zwei IS-Terroristen sollten sich dort angeblich in die Luft sprengen und anschließend sollten andere Mitglieder der Gruppe mit automatischen Waffen und Sprengsätzen möglichst viele weitere Menschen töten.

So jedenfalls hat es der 25-jährige Saleh A. ausgesagt, ein Syrer, der zuletzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Kaarst wohnte, einer Kleinstadt im Rhein-Kreis Neuss. Von hier aus machte sich Saleh A. auf den Weg nach Frankreich, wo er sich am 1. Februar den Pariser Ermittlungsbehörden offenbarte.

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In einem umfangreichen Geständnis behauptete Saleh A. nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, dass er im April 2014 in das ehemalige Finanzamt der IS-Hauptstadt Raqqa bestellt worden sei, wo sich eine Art Hauptquartier der Terror-Organisation befunden habe. Dort sei ihm befohlen worden, eine sogenannte Schläferzelle von Terroristen zu gründen - und schließlich in der Altstadt von Düsseldorf zuzuschlagen.

Die französischen Fahnder schalteten sofort ihre deutschen Kollegen ein, in Düsseldorf wurde die Ermittlungskommission "Anbieter" gebildet. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen und schickte Staatsanwälte zur Vernehmung nach Paris, wo Saleh A. seit seinem Geständnis in Haft sitzt. Warum aber redet der Syrer überhaupt und bezichtigt sich selbst? Saleh A. sagt, ihn habe die Reue gepackt. Er wolle nicht, dass seine Tochter einen Terroristen zum Vater habe.

Die ohnehin umstrittene deutsche Flüchtlingspolitik könnte noch stärker in die Kritik geraten

Am Donnerstag dann wurden in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Brandenburg drei Männer festgenommen, die Saleh A. als seine Mitverschwörer identifiziert hat. Alle drei kommen ebenfalls aus Syrien. Zum Teil sind sie - so wie auch Saleh A. - als Flüchtlinge nach Europa gekommen.

Sollte sich der Verdacht einer zumindest zum Teil über die Balkanroute nach Deutschland entsandten Terrortruppe als zutreffend herausstellen, wären die Konsequenzen wohl gravierend. Die ohnehin umstrittene deutsche Flüchtlingspolitik könnte noch stärker in die Kritik geraten. Manche der europäischen Nachbarstaaten begründen ihre Weigerung, Schutzsuchende aufzunehmen, mit einem angeblich zu großen Sicherheitsrisiko. Zudem müsste sich Deutschland darauf einstellen, ebenso wie Belgien oder Frankreich vom IS ins Visier genommen worden zu sein.

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Als wahrscheinlich galt Letzteres allerdings bereits vor den jüngsten Ereignissen, in der IS-Propaganda hat Deutschland inzwischen einen festen Platz. Zudem gehen amerikanische und europäische Sicherheitsbehörden davon aus, dass der IS eine Abteilung namens "Externe Operationen" gegründet hat, um Anschläge im Ausland zu planen. Ihr Kopf und Anführer soll Abu Muhammad al-Adnani sein.

Saleh A. will seinen Auftrag in Raqqa nicht von al-Adnani erhalten haben, sondern von einem anderen Führungskader des IS. Der aber, so behauptete Saleh A. gegenüber französischen Ermittlern, erhalte seine Befehle direkt von Adnani und dem Anführer des IS, dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi.

Bereits einen Monat nach dem Auftrag sollen sich Saleh A. und ein weiterer IS-Mann aus Syrien auf den Weg in die Türkei gemacht haben, ein Jahr später dann reisten sie offenbar mit dem großen Flüchtlingsstrom weiter nach Griechenland und schließlich nach Deutschland. Hier, so sagt es Saleh A., wartete Abd Arahman A. K., der bereits im Oktober 2014 nach Deutschland geschickt worden sei, um die Sprengstoffwesten vorzubereiten. Das Handwerk soll der Bombenbauer bei der Al-Nusra-Front gelernt haben, einer mit dem IS konkurrierenden Terrororganisation.

Zu den Merkwürdigkeiten des Falls gehört, dass die nun Verhafteten teilweise bereits seit längerer Zeit in Deutschland sind. Aber nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen wurden keine Sprengstoffwesten und auch keine Waffen gefunden.

Der Generalbundesanwalt wies in einer Pressemitteilung ausdrücklich darauf hin, dass es "keine Hinweise" gebe, "dass die Beschuldigten bereits mit der Umsetzung ihres Anschlagsplans konkret begonnen hatten". Auch gebe es keinen erkennbaren Zusammenhang mit der anstehenden Fußball-Europameisterschaft.

Tatsächlich haben offenbar auch die wochenlangen Ermittlungen vor der Verhaftung keine weiteren Verdachtsmomente zutage gefördert. Die Polizei observierte die drei Verdächtigen, Telefone wurden abgehört. Belastendes ergab sich daraus nicht. Die Schläfer-Zelle, so es denn eine war, verhielt sich unauffällig.

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Auch sind, anders als in Paris und Brüssel, offenbar keine Dschihadisten aus dem jeweiligen Heimatland mit den Tatplanungen betraut worden - sondern ausschließlich Syrer. Andererseits gibt es bereits seit Monaten Meldungen, dass der IS gezielt Schläferzellen nach Europa eingeschleust hat, um hier zuzuschlagen. Auch deshalb hat das amerikanische Außenministerium seine Bürger vor Reisen nach Europa gewarnt, ein ungewöhnlicher Akt.

Gestern wurden die drei Verhafteten nach Karlsruhe gebracht, einer kam mit dem Hubschrauber. Nun laufen die Vernehmungen. Wird es weitere Geständnisse geben, so wie das von Saleh A.? Oder bestreiten die drei Verdächtigen, irgendetwas mit dem IS und einem angeblichen Anschlag in Düsseldorf zu tun zu haben?

Vom Ergebnis der Ermittlungen im Fall 2 BJs 17/16 hängt für Deutschland viel ab.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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