IS-Rückkehrer vor Gericht:Vom Brötchendieb zum Dschihadisten

Terrorprozesses gegen mutmaßlichen IS-Terroristen

Der Angeklagte Nils D. steht am 20. Januar 2016 in Düsseldorf mit einem Aktenordner vor dem Gesicht im Gerichtsaal.

(Foto: dpa)
  • Der 25-jährige Nils D. aus Dinslaken war als Kämpfer bei der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staats in Syrien und steht deshalb jetzt vor Gericht.
  • Er war Mitglied der sogenannten Lohberger Brigade und ist einer der wichtigsten Zeugen zur islamistischen Szene in Deutschland.
  • Er konvertierte zum Islam, als er wegen eines Einbruchs im Gefängnis saß.

Von Kristiana Ludwig, Düsseldorf

Es sind mehr als zwei Stunden vergangen, in denen Nils D. in einem Polsterstuhl sitzt und aus seiner Jugend erzählt, von Hauptschule, Kiffen und Internetcafé. Da beugt sich die Richterin Barbara Havliza zu ihm vor: "Sie sind nur wenig bereit, die Dinge zu schildern, die hier vor Ort waren und vielleicht auch noch sind", sagt sie. "Wenn Sie jetzt anfangen, Leute zu schonen - irgendwie haben Sie die Kurve in Richtung Syrien ja bekommen."

Nils D. aus Dinslaken, 25 Jahre alt, gilt als einer der wichtigsten Zeugen zur radikalen islamistischen Szene in Deutschland. Von Oktober 2013 bis November 2014 hielt er sich in Syrien auf, als Teil der sogenannten Lohberger Brigade - einer Gruppe deutscher Islamisten aus einem Stadtteil in Dinslaken. In Düsseldorf begann am Mittwoch sein Prozess.

D. wird angeklagt, die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) unterstützt zu haben, als Mitglied eines Sturmtrupps, der Deserteure und Spione aus den Reihen des IS festnahm und in Folterkammern brachte. Nils D., steht in der Anklageschrift der Generalstaatsanwältin, habe Maschinengewehre, Pistolen und Sprengstoff bei sich getragen, war Wärter in IS-Gefängnissen und -Verstecken. Er habe einen toten Gefangenen auf einer Müllkippe verscharrt und bis zu 9000 Euro Bargeld nach Syrien gebracht, um dort seinen Cousin Philipp Bergner und seine anderen Freunde aus Dinslaken zu unterstützen. Sein Kampfname lautete Abu Ibrahim.

Überlastete Präventionsarbeiter

Das Problem der Islamisierung und Radikalisierung junger Menschen in Deutschland ist nicht mehr ganz neu. Einschlägige Experten wie die Mitarbeiter vom Zentrum für Demokratie in Berlin kennen das Phänomen seit Jahren. Trotzdem gibt es nur wenige Programme, mit denen Bund und Länder dem Problem der sogenannten Dschihadisierung junger Muslime angemessen begegnen. Das geht aus der Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor, die der SZ vorliegt.

Zwar gibt es mittlerweile bundesweit fünf vom Bundesinnenministerium geförderte Einrichtungen, die mit jeweils einer Handvoll Mitarbeitern gefährdete Jugendliche und ihre Familien, Freunde, Lehrer zu betreuen versuchen. Angesichts des enorm wachsenden Problems aber sind die gut zwei Dutzend Experten oft vollkommen überlastet.

Auffallend ist zudem, dass allgemeine Programme gegen Islamisierungstendenzen bei Jugendlichen nur punktuell und in einzelnen Bundesländern überhaupt nicht genutzt werden. Nur in Berlin und Nordrhein-Westfalen geschieht hier vergleichsweise viel. In sieben von sechzehn Bundesländern dagegen stellten alle potenziellen Träger solcher Programme keinen einzigen Antrag auf Unterstützung eines Anti-Islamismus-Projekts. Weiße Flecken auf der Landkarte sind Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner übt daran scharfe Kritik. "Entweder diese Länder sind immer noch blind auf diesem Auge. Oder es fehlt weiter am Geld", so Brantner zur SZ. "Das eine wie das andere wäre ein Armutszeugnis." Stefan Braun

Seine Jugend klingt nach Verlierer

Im Gerichtssaal im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts muss Nils D. zunächst in einem Glaskasten Platz nehmen. Kurz darauf darf er ihn verlassen, ein Privileg für solche Angeklagte, die sich erkennbar von der Terror-Vereinigung distanziert haben, sagt Richterin Havliza. Nils D. trägt ein rot-weiß kariertes Hemd und Strickjacke, sein Bauch hängt über den Gürtel. Sein Kinn ist rasiert, die Brille randlos - Nils D. hat nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem vollbärtigen Kämpfer, als der er bis vor 14 Monaten Hinrichtungen in Syrien bezeugt haben soll. Auch sonst klingt seine Jugend in Dinslaken erst einmal so gar nicht nach Dschihadist. Eher nach Verlierer.

Auf der Hauptschule in Dinslaken ist Nils D. "mittelmäßig". Er kifft, trinkt, schnieft manchmal chemische Drogen, sagt er. Er handelt mit Marihuana, wird erwischt und bekommt Bewährung, später Sozialstunden wegen Körperverletzung. Mit 14 hat er seine erste Freundin. Mit 15 ist sie schwanger. Heute ist die Tochter zehn. Er schreibt ihr Briefe aus der Haft.

Im Gefängnis konvertiert er zum Islam

Bis heute hat Nils D. nie länger als einige Monate gearbeitet. Seine Lehre hat er abgebrochen. Bis D. 21 Jahre alt ist, tut er nichts. "Man hat in den Tag reingelebt", sagt er. Einmal erwischt ihn die Polizei, als er nachts in eine Bäckerei einbricht und Backwaren in seinem Fahrradkörbchen verstaut. Acht Monate Gefängnis muss er deshalb absitzen. Als es soweit ist, ist Nils D. bereits zum Islam konvertiert. Sein Cousin Philipp Bergner habe ihn überzeugt, sagt er vor Gericht, und eine Fernsehserie über Illuminaten: "Wenn es den Teufel gibt, muss es auch Gott geben", habe er sich gesagt. Bald traf er die Lohberger Islamisten um seinen Cousin täglich, las im Koran, schaute Predigervideos. Als er das Gefängnis im Juni 2013 verließ, waren seine Freunde schon in Syrien. Erst da entschied er sich, ihnen zu folgen. "Um zu gucken, wie es da so ist", sagt er. Die Richterin zweifelt an dieser Geschichte.

Wie radikalisieren sich Menschen wie Nils D.? Warum entscheidet sich der Sohn einer evangelischen Kellnerin zum bewaffneten Kampf "für die unterdrückten Muslime der Welt"? Nils D.s Aussage soll in den kommenden Wochen Erkenntnisse über die islamistischen Strukturen in Deutschland liefern, und Erklärungen - für eine Generation europäischer Männer und Frauen, die nach Syrien ausreist. Auf den Leinwänden im Gerichtssaal erscheint ein Foto zweier Männer, Arm in Arm: Hüseyin D., der Nils D. einmal Mut gemacht hatte, nach Syrien zu gehen. Und Abdelhamid Abaaoud, einer der Attentäter von Paris. Auch diese Verbindung wird zu klären sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: