IS:Die Abwehr steht nicht

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Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Trotz großer Versprechen passiert in Europa kaum etwas gegen die Botschaften der Islamisten.

Von Georg Mascolo und  Nicolas Richter

Manchmal konnten es die Amerikaner kaum glauben. Jahr für Jahr trafen sie sich mit denselben europäischen Terrorexperten, die waren sehr aufgeschlossen. Die US-Fachleute für die Bekämpfung der Propaganda des "Islamischen Staats" erklärten den Kollegen aus Europa dann, was sie den Terroristen im Netz entgegensetzten. Aber Jahr für Jahr stellten die Amerikaner bei ihren Treffen fest, dass die Europäer selbst nichts unternommen hatten. "Ihr müsst es ja gar nicht so machen wie wir", sagte ein amerikanischer Diplomat seinem Gegenüber aus Europa, "wir wissen ja selbst nicht, ob wir es richtig machen. Aber ihr müsst irgendetwas machen."

Dass etwas getan werden muss, sehen europäische Politiker im Prinzip natürlich auch so. "Wir müssen versuchen, im Internet eine Art Gegenoffensive zu verbreiten", sagt der deutsche Innenminister Thomas de Maizière. Genau genommen sagt er das schon seit dem Jahr 2014. Passiert ist seither allerdings nicht viel. Anders als in Amerika, wo ausprobiert, verworfen und dann ein neuer Versuch gestartet wird, suchen Regierungen und Sicherheitsbehörden in Europa noch nach der richtigen Methode, um überhaupt mit dem Phänomen umzugehen. Dabei sind die Zahlen der IS-Sympathisanten in Europa weit höher als in den USA. Es herrscht also eine gewisse Dringlichkeit.

Seit Januar des vergangenen Jahres gibt es immerhin auf Ebene der Europäischen Union eine erste Stelle, die Mitgliedsstaaten unterstützten soll. Das sogenannte SSCAT, das "Beratungsteam für strategische Kommunikation in Bezug auf Syrien", soll ein Netzwerk von Experten verbinden und für regelmäßigen Informationsaustausch sorgen. Zudem bietet die EU-Einrichtung Mitgliedsstaaten Hilfe bei von ihnen geplanten Kampagnen. Aber viel Geld hat das Team nicht: Gerade einmal eine Million Euro stehen für das auf 18 Monate begrenzte Projekt zur Verfügung.

Dass ausgerechnet die Belgier die Federführung haben, gilt als schlechtes Omen

Dass ausgerechnet die Belgier mit all den ungelösten Problemen in ihrem eigenen Land die Federführung bei SSCAT übernommen haben, gilt manchen in der EU nicht als gutes Omen. Tatsächlich geht die Entwicklung nur schleppend voran. Auch die Deutschen haben bereits ein "Beratungsgespräch" in Brüssel geführt, denn auch im eigenen Land passiert nicht viel. In dieser Woche beugten sich die Innenminister von Bund und Ländern bei ihrer Konferenz im Saarland über den Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bereits im Dezember 2014 damit beauftragt worden war, "Gegenstrategien zu salafistischer Internetpropaganda" zu entwickeln. In dem Papier heißt es, dass man im Internet eine "breite Basis von wirksamen und zielgerichteten Initiativen und Projekten aus Staat, Zivilgesellschaft und Wissenschaft" brauche. Aber es gibt nicht viel. Eine beigefügte Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen besteht zum großen Teil aus derzeit laufenden Untersuchungen und Absichtserklärungen.

Zudem heißt es, dass nach neueren wissenschaftlichen Untersuchungen etwa Videos von Aussteigern aus dem IS eine besondere Wirkung entfalten würden. Aber obwohl es solche desillusionierten Rückkehrer auch in Deutschland gibt, fehlt ein gezieltes Programm, das es ihnen ermöglichen würde, über ihre Erfahrungen beim IS zu sprechen. Tatsächlich sind es oft gerade Sicherheitsbehörden oder die Justiz, die verhindern, dass IS-Rückkehrer über den gewalttätigen Alltag im Kalifat berichten. "Wir brauchen eine bessere Abstimmung, neue Methoden und Techniken", mahnte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zum Abschluss der Ministerrunde.

Das Urteil der Amerikaner, dass in Europa so gar nichts geschehe, ist dennoch nicht ganz gerecht. Jenseits des großen Wurfs versuchen viele mit kleinen und kleinsten Maßnahmen zumindest einen Anfang zu machen. Die Bundeszentrale für Politische Bildung unterstützte die Produktion von Videos bekannter Youtube- Stars wie Le Floid oder Hatice Schmidt, die den Islam erklären. Die Berliner Gruppe "Datteltäter" spottet über die Islamisten: "Vollgepackt mit Sprengstoffflaschen, die den Teufel glücklich machen, hinein ins Höllenfeuer", singen sie. Als Gegenpropaganda will die Bundeszentrale so etwas nicht verstanden wissen - sondern als politische Bildung.

Auch einzelne Bundesländer setzen inzwischen auf ein Bündnis mit der Blogger-Szene. Denn in den Ämtern setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Staat womöglich nicht der beste Absender für Aufklärungskampagnen gegen den IS und eine radikale Lesart der islamischen Religion ist. Im April luden nordrhein-westfälische Politiker Blogger in Berlin ein und warben um Unterstützung. Düsseldorfs Innenminister Ralf Jäger sagte: "Wir müssen den Dschihadisten und ihrem verqueren Weltbild gerade im Internet die Stirn bieten."

Jetzt muss das nur noch geschehen.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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