Iranisches Atomprogramm:Eine Bombe zu Weihnachten

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Schon in wenigen Monaten könnte Iran über seinen ersten nuklearen Sprengsatz verfügen - das behauptet nicht irgendwer, sondern die Internationale Atomenergiebehörde.

Hans Rühle

Wieder einmal hat in New York ein Berg gekreißt: In der letzten Septemberwoche tagten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland, um das weitere Vorgehen gegenüber Iran zu beraten. Und wieder einmal gebar der Berg nur eine Maus - diesmal gar nur ein winziges Mäuslein.

IAEA-Generaldirektor Mohamed ElBaradei schließt nicht aus, dass Iran schon an Weihnachten über einen ersten nuklearen Sprengsatz verfügt. (Foto: Foto: Reuters)

Ohne eine Verschärfung der Sanktionen wurde Iran aufgefordert, sein Verhalten doch nun zu verändern und die Anreicherung von Uran einzustellen.

Bedeutungsschwer im Ton, doch in der Sache eher der Verzweiflung nahe, forderte der deutsche Außenminister von Iran "ein klares Zeichen des Einlenkens und der Vertrauensbildung ... Die Hinhaltetaktik der iranischen Seite darf die Geduld der internationalen Staatengemeinschaft nicht überreizen."

Doch alle Beteiligten wissen, dass Iran nicht mehr einlenken wird. Die nukleare Entwicklung in Iran ist längst immun gegen dieses Ritual multilateraler Außenpolitik. Mehr noch: Das Nuklearprogramm Irans befindet sich im entscheidenden Stadium.

In wenigen Monaten könnte Iran über seinen ersten Sprengsatz verfügen. Nach Aussagen von Mohamed ElBaradei, dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), könnte es schon zu Weihnachten so weit sein. Diese Einschätzung durch den Chef der IAEA verändert die Lage dramatisch. Was ist also passiert, das diesen Alarm rechtfertigen könnte?

Eher mit Zuckerbrot als mit der Peitsche

Als im Jahr 2003 eine iranische Oppositionsgruppe Fakten über ein geheimes Nuklearprogramm Irans veröffentlichte, wurde die iranische Nuklearpolitik schlagartig ein zentrales Thema der internationalen Politik. Iran berief sich auf sein "unveräußerliches Recht" zur zivilen Nutzung der Kernenergie und wies zugleich jegliche militärische Absicht kategorisch zurück.

Die USA gingen auf Konfrontationskurs; die IAEA aber, obwohl fast zwei Jahrzehnte von Iran belogen, mahnte zu Zurückhaltung und Besonnenheit; die Europäer lavierten - eher mit Zuckerbrot als mit der Peitsche.

Ende 2007 verkehrte sich diese Konstellation in ihr Gegenteil. Auslöser war der National Intelligence Estimate (NIE) der USA, in dem festgestellt wurde, Iran habe sein militärisches Nuklearprogramm 2003 aufgegeben, und mit hoher Wahrscheinlichkeit bisher auch nicht wieder aufgenommen.

Zwar distanzierten sich der Geheimdienstchef, Präsident Bush, Verteidigungsminister Gates und fast alle Nuklearexperten weltweit vom zweiten Teil der Aussage; die offensive Rhetorik der USA wurde jedoch zurückgenommen.

Demgegenüber verhärtete sich die Haltung der IAEA. In ihrem Bericht vom Mai 2008 zeigt sie sich erstmals "äußerst besorgt" über die nuklearen Aktivitäten der Regierung Ahmadinedschad. Am 20. Juni 2008 erklärte ElBaradei im arabischen Fernsehen, Iran sei in der Lage, in sechs bis zwölf Monaten hochangereichertes Uran für wenigstens eine Bombe zu produzieren ("to produce a weapon").

Der IAEA-Bericht vom September 2008 legte die Brisanz offen. Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über Irans rasante Entwicklung von Nuklearwaffen.

Der Bericht der IAEA vom September 2008 legte schließlich die Brisanz offen. Denn man kann ihn so interpretieren, dass Iran in der Lage ist, die für einen Sprengsatz erforderlichen 25 Kilogramm hochangereicherten Urans in wenigen Monaten zu produzieren.

Präsident Ahmadinedschad in der Atomanlage Natans (Foto: Foto: AP)

Diese Entwicklung war zwar zu erwarten, nicht jedoch in ihrer Geschwindigkeit. Und da Iran inzwischen über reichlich schwach angereichertes Uran verfügt, bedarf es nur der Entscheidung, die Hochanreicherung zu beginnen, um in wenigen Monaten am Ziel zu sein. Deutlicher denn je weist die IAEA auch auf die durchaus realistische Möglichkeit eines seit vielen Jahren laufenden geheimen Anreicherungsprogramms hin - verborgen in militärischen Anlagen, unter der Regie des iranischen Militärs.

Mit dem Hinweis auf ein äußerst wahrscheinliches, vom Militär durchgeführtes Nuklearprogramm hat die IAEA erstmals ihre selbstverordnete Gutgläubigkeit in Sachen Iran aufgegeben. Leicht gefallen ist ihr dies nicht. Doch sie hat keine andere Wahl mehr, will sie sich nicht, wie im Irak, später der Lächerlichkeit preisgeben. Ursächlich für diese Veränderung der Positionen der IAEA war die Festplatte eines Laptops, die ein iranischer Informant den USA 2004 übergeben hatte. Auf dieser Festplatte waren mehr als tausend Seiten in der Landessprache Farsi gespeichert, die geheime Informationen über das iranische Nuklearprogramm sowie über die iranische Mittelstreckenrakete vom Typ Shahab-3 enthielten.

ElBaradeis wohlbegründet Beurteilung

Die USA übergaben zwar nach kurzer Bedenkzeit eine Kopie der Festplatte an die IAEA, verboten aber zunächst, die Dokumente Iran zur Kenntnis zu geben. Nachdem auch diese Hürde genommen war, forderte die IAEA Iran in fast ultimativer Form auf, 18 Dokumente, die allesamt auf ein militärisches Nuklearprogramm Irans hindeuteten, zu kommentieren. Doch es kam, wie es kommen musste.

Iran konzedierte zwar, der Inhalt einiger Dokumente sei richtig, in allen entscheidenden Fragen aber deklarierte er die Dokumente als "Fälschungen" und verweigerte jede weitere Diskussion über die Materie. Der IAEA blieb nur die Erkenntnis, dass sie offenbar jeden Einfluss auf Iran und den Fortgang seines Nuklearprogramms verloren hatte. Die Routinekontrollen der IAEA, auch das war nunmehr klar, liefen ins Leere.

Trotz dieser Fast-Gewissheit über ein militärisches Nuklearprogramm Irans blieb die IAEA in ihren öffentlichen Aussagen stets im Konjunktiv. Noch fehlte die smoking gun - wenngleich Olli Heinonen, der Experte der IAEA, anlässlich eines Briefings über iranische Raketentechnologie der Sache ziemlich nahekam. Die von Heinonen dargestellte iranische Rakete sei so konstruiert, dass sie in 600 Metern Höhe detoniere - eine Höhe, so Heinonen maliziös und ohne das Wort "nuklear" in den Mund zu nehmen, die weder für den Einsatz konventioneller noch chemischer oder biologischer Gefechtsköpfe einen Sinn macht.

Die Beurteilung ElBaradeis, Iran könne in naher Zukunft über einen nuklearen Sprengsatz verfügen, ist daher wohlbegründet. Das heißt aber nicht, dass Iran zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Nuklearwaffe testet. Es kann durchaus sein, dass Iran seine nuklearen Fähigkeiten erst öffentlich demonstriert, wenn es über ein signifikantes Potential an Nuklearwaffen verfügt.

Vielleicht entscheidet sich Iran aber auch, als "virtuelle Nuklearmacht" den letzten Schritt nicht zu vollziehen. Dies wäre die mögliche Best-case-Variante. Allerdings steht dieser Lösung vermutlich das Ego Präsident Ahmadinedschads entgegen, der sich wohl kaum die Chance entgehen lassen wird, vor seinem Ausscheiden Ende 2009 den "Durchbruch" zur Weltmacht selbst zu inszenieren.

Hans Rühle war von 1982 bis 1988 Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium. Anschließend baute er die Bundesakademie für Sicherheitspolitik auf und war für die Nato tätig.

© SZ vom 23.10.2008/akh/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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