Iran: Spekulationen um Atomprogramm:Trauma der Schwäche

Die Geschichte zeigt: Wer die Bombe nicht hat, wird angegriffen, wer sie hat, wird verschont. Strebt Iran schon seit Jahrzehnten nach Atomwaffen?

Katajun Amirpur

Deftige Worte ist man aus der Islamischen Republik Iran gewohnt. Beim traditionellen Gebet zum Ende des Fastenmonats Ramadan stimmte auch Ayatollah Chamenei mit in sie ein: Einen die islamische Nation zerfressenden Krebs nannte Chamenei den Staat Israel. Ansonsten gab er sich aber in den letzten Tagen, im Vorfeld der anstehenden Gespräche mit den USA am 1. Oktober versöhnlich: Bei einem Treffen mit Staatsvertretern und ausländischen Diplomaten betonte er Irans Friedfertigkeit. Laut iranischer Nachrichtenagentur Irna sagte er, Iran habe in den vergangenen dreißig Jahren kein Land angegriffen und "die Politik Irans hinsichtlich der Beziehungen mit den islamischen Ländern und den Nachbarstaaten gestaltet sich brüderlich und freundschaftlich".

Iran: Spekulationen um Atomprogramm: Eine Frau hält ein Portät des Revolutionsführers Ayatollah Chomeini hoch.

Eine Frau hält ein Portät des Revolutionsführers Ayatollah Chomeini hoch.

(Foto: Foto: Reuters)

Er erwähnte auch die Anschuldigung, Iran wolle "einen UN-Mitgliedstaat vernichten", die er als Verleumdung bezeichnete. Und er erklärte "Die Islamische Republik Iran betrachtet wegen ihrer islamischen Überzeugungsgrundlage grundsätzlich die Herstellung von Atomwaffen und deren Einsatz als nicht erlaubt und hält an dieser Überzeugung fest." Ist dies nun als Entgegenkommen gegenüber dem Westen zu werten?

Allein aus der Äußerung, dass Atomwaffen unislamisch seien, kann man keine Entschärfung der iranischen Position schlussfolgern. Um die Frage zu beantworten, was die iranische Position ist, sollte man weniger den Koran als die Geheimdienste befragen - und einen Blick in die iranische Geschichte werfen: Denn "der Islam verbietet Atomwaffen" war schon in den neunziger Jahren ein oft benutztes Argument von Seiten iranischer Verantwortlicher, wenn der Vorwurf laut wurde, Iran bastle an der Bombe. Sie bezogen sich damals schon auf eine angebliche Fatwa Chameneis. Doch kommen wir zur Geschichte.

Anspruch als Regionalmacht

Das iranische Atomprogramm wurde in den siebziger Jahren aufgenommen. Der damalige Herrscher, Mohammad Reza Pahlewi, plädierte für die friedliche Nutzung von Kernkraft und er wollte auch die Bombe, um seinen Regionalmachtansprüchen Nachdruck zu verleihen. Selbst gegenüber westlichen Journalisten gab er 1974 zu, Iran werde Nuklearwaffen haben: ohne Zweifel und schneller, als irgendwer sich ausmalen könne. In diesem Punkt änderte sich die Haltung der Nachfolgerregierung signifikant. Zunächst jedenfalls.

Der Staatsgründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Chomeini meinte, man brauche keine Kernkraft, weil man genug Öl habe, und er war aus religiösen Gründen gegen Massenvernichtungswaffen. Und zwar gegen A, B, und C, weswegen er das Atomprogramm Irans stoppen ließ und auch im Krieg gegen den Irak, der von 1980 bis 1988 währte, keine chemischen und biologischen Waffen einsetzen ließ. Was Iraks Präsident Saddam Hussein indes nicht davon abhielt, Massenvernichtungswaffen gegen Iran einzusetzen.

Dennoch änderte der achtjährige Krieg gegen den Irak alles: Kurz bevor Ayatollah Chomeini den Waffenstillstand akzeptierte, bevor er diesen Giftbecher schluckte, wie er damals formulierte, hatte er einen - wie er sagte - schockierenden Bericht des damaligen Führers der Revolutionsgarden bekommen. Dabei handelte es sich um Mohsen Rezai, jenen Mann also, der im Sommer gegen Amtsinhaber Ahmadinedschad antrat. Ayatollah Chomeini sagte damals über den Bericht, Rezai sei eindeutig gewesen: Wenn Iran erhobenen Hauptes aus diesem Krieg herauskommen wollte, müsste man hochentwickelte Waffen einsetzen, Nuklearwaffen eingeschlossen. Und weil Iran diese Waffen nicht hatte, habe er in den Waffenstillstand eingewilligt.

Der acht Jahre andauernde Krieg Irans gegen den Irak erregte im Westen nur wenig Aufmerksamkeit. In Iran aber, wo man ihn auf Persisch den "aufgezwungenen Krieg" nennt, wurde er so ganz anders wahrgenommen. Da war er so etwas wie die iranische "Nie wieder"-Erfahrung: Irakische Bomben auf Teheran und 64 weitere Städte des Landes, eine halbe Million Tote auf iranischer Seite und fünfzigtausend durch Giftgaseinsätze versehrte Iraner sind als Erinnerung bis heute sehr präsent. Für die Iraner war darüber hinaus unfassbar, dass auch international keiner Partei für sie ergriffen und niemand eine Ächtung des Aggressors gefordert hatte. Hans-Dietrich Genscher war damals die einzige Ausnahme, als er sagte, man solle wenigstens nicht vergessen, dass Iran den Krieg nicht begonnen habe.

Nationales Trauma

Die Erfahrung Irans im Krieg gegen den Irak hatte demnach zweierlei Auswirkungen: Er schuf ein nationales Trauma und er veranlasste politisch ein Umdenken der iranischen Führung. Denn das Wichtigste an dem hier zitierten Bericht Rezais ist, dass er die Einsicht der Revolutionsgarden wiederspiegelt, dass Iran Atomwaffen brauche, um sich verteidigen zu können, beziehungsweise zur Abschreckung. Die Revolutionsgarden sind heute im iranischen System wichtiger denn je. Sie waren es, die die Proteste gegen die vermutliche Wahlfälschung vom Juni 2009 brutal niedergeschlagen haben.

Eine ominöse Fatwa

Ganz gleich, ob Ayatollah Chomeini seine Meinung über Atomwaffen gegen Ende seines Lebens änderte oder nicht, die Geschichte wollte es so, dass er als der Mann in die Geschichte einging, der Atomwaffen aus religiösen Gründen ablehnte, denn er starb knapp ein Jahr nach Ende des Krieges.

Iran: Spekulationen um Atomprogramm: Eine Langstreckenrakete vom Typ Shahab 3 wird vor dem Porträt von Ayatollah Chamenei vorbeigerollt. Iran gab am heutigen Montag einen weiteren Raketentest bekannt.

Eine Langstreckenrakete vom Typ Shahab 3 wird vor dem Porträt von Ayatollah Chamenei vorbeigerollt. Iran gab am heutigen Montag einen weiteren Raketentest bekannt.

(Foto: Foto: AP)

Tatsache aber ist, dass der Mann, der ihm nachfolgte, Ayatollah Chamenei, der gegenwärtige geistliche Führer Irans, nur zu gern den damaligen Staatspräsidenten Rafsandschani in dessen Anliegen unterstützte, das iranische Atomprogramm wieder aufzunehmen. Jene, die Ahmadinedschad nukleare Ambitionen nachsagen, sollten nicht vergessen, dass es bereits sein Vorvorgänger war, der das Programm aufnahm. Was die Atomfrage insofern für den Westen komplizierter macht, als dies zeigt, dass darüber tatsächlich unter der Herrscherclique ein weitgehender Konsens besteht.

Ominöse Fatwa

Rafsandschani, der von 1989 bis 1997 regierte, war auch der erste iranische Präsident, der sich öffentlich dazu äußern musste, ob Iran nach Atomwaffen strebe. Er verneinte dies und verwies auf Chomeini und ebenso auf eine angebliche Fatwa, also ein Rechtsgutachten, Chameneis, die beide aus religiösen Gründen die Atomwaffe ablehnen würden. Aber diese ominöse Fatwa tauchte nie auf Chameneis Homepage auf, die ansonsten alle seine religiösen Erlasse versammelt.

Hinzu kommt: Islamische Gelehrte sind sich einig, dass eine Fatwa sich ändert, wenn die Umstände sich ändern, unter denen die Fatwa zustande gekommen ist. Das nennt man Rechtsfortbildung. Und einer der wichtigsten Gedanken innerhalb des Vermächtnisses von Staatsgründer Ayatollah Chomeini ist es, dass alles erlaubt ist, was zum Nutzen des islamischen Staates und seinem Erhalt dient. Die Formulierung, die Khomeini seinerzeit benutzte, lautete: "Wenn es der Nutzen für die islamische Ordnung gebietet, ist es auch erlaubt, das Fasten auszusetzen und Moscheen zu zertrümmern."

Atombombe als Mittel der Abschreckung

"Maslehat-e nezam", der Nutzen für das System, ist seither das Prinzip, mit dem die islamischen Vorgaben, die beim Regieren stören, alltagstauglich gemacht werden. Um dieses Prinzip institutionell zu verankern, rief Ayatollah Chomeini noch kurz vor seinem Tode den sogenannten Schlichtungsrat ins Leben, der die Aufgabe hat, die letztendliche Entscheidung zu fällen, wenn islamische Gebote mit dem Nutzen für das System kollidieren. Hinter diesem pragmatischen Akt stand die Sorge, die Revolution an jene zu verlieren, die wirklich islamisch dachten. Und der Vorsitzende jenes Rates ist zufällig Rafsandschani, der schon im Jahre 2001 durchaus eine Vereinbarkeit zwischen Bombe und Islam herzustellen vermochte.

Er sagte: "Wir wollen kein Opfer von Unsicherheit werden. Und wir wollen nicht, dass eine Konfrontation zum Dritten Weltkrieg führt. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Sollte der Tag kommen, an dem die islamische Welt ausgestattet ist mit den Waffen, die Israel in seinem Besitz hat, dann würde die Strategie des Kolonialismus in ein Patt münden. Denn das Abwerfen von Atombomben auf das Land des jeweils anderen, würde für Israel bedeuten, dass nichts mehr von ihm übrigbleibt, während es die islamische Welt nur beschädigen würde."

Hier wird sehr deutlich, was Rafsandschani meint: Abschreckung. Und das ist nun mal das Gleichgewicht des Schreckens, das auch zwischen den USA und der Sowjetunion jahrzehntelang praktiziert wurde und funktioniert hat. Dass die Iraner die Bombe wollen, scheint aus ebendiesem Grund sehr wahrscheinlich zu sein. Daraus folgt allerdings nicht notwendigerweise, dass sie sie als Aggressor einsetzen wollen - auch wenn viele dies aus den Äußerungen Ahmadinedschads herauslesen wollen. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse in den achtziger Jahren und vor dem, was in der jüngsten Vergangenheit passiert ist, ist dem iranischen Regime eines klar geworden: Angegriffen wird, wer die Bombe nicht hat, wie Saddam Hussein. Verschont bleibt, wer sie hat, wie Nordkorea. Diese iranische Wahrnehmung aber und das iranische Trauma sollte zumindest jeder berücksichtigen, der mit Iran verhandeln will.

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