Iran-Proteste im Netz:Grüne Solidarität

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Die Schlinge der Zensur zieht sich immer enger zu - die iranischen Revolutionsgarden drohen Bloggern jetzt offen. Ein spontan gebildetes Online-Netzwerk bemüht sich, die Welt trotzdem auf dem Laufenden zu halten.

Jannis Brühl

"140 Zeichen sind ein Roman, wenn gerade auf dich geschossen wird," ist der Satz eines iranischen Bloggers, der auf Twitter die Runde macht. Die iranischen Revolutionsgarden haben heute die Betreiber regierungskritischer Internetseiten vor Strafverfolgung gewarnt. Die Garden, die hinter Präsident Mahmud Ahmadinedschad stehen, erklärten, "Informationen, die zu Spannungen führen", müssten aus dem Internet genommen werden.

Modernes Gegenstück zur Moschee: Mir Hussein Mussawi auf Facebook. (Foto: Foto: facebook.com)

Doch obwohl sich die Schlinge aus Repression und Zensur immer enger zieht, weiß sich die Bevölkerung zu helfen. Im Kampf um Informationen werden die Iraner zu Bürgerjournalisten. sueddeutsche.de hat sich im Internet umgesehen, wie die Online-Gemeinde gegen alle Widerstände und über alle Grenzen hinweg versucht, auf dem Laufenden zu bleiben.

Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawis Facebook-Auftritt hat fast 60.000 Anhänger. Thomas Friedman, Star-Kolumnist der New York Times, erklärte die Seite zum modernen Gegenstück einer Moschee. Während Mullahs und religiöse Hardliner ihre Anhänger seit der Revolution 1979 in Gotteshäusern organisieren konnten, hätten die Jungen und weniger Frommen jetzt den Cyberspace als Versammlungsort entdeckt; und der biete viel mehr Leuten Platz als jede Moschee. Schon im Wahlkampf war Mussawis Facebook-Profil zum wichtigen Mobilisierungsforum für seine Anhänger geworden.

Straßenschlachten statt Einkaufszentren

Eigentlich wollte Amir Sadeghi auf seinem Blog "Straßen, Gebäude, Einkaufszentren und Parks" zeigen, wie er in der Vorstellung seiner Seite schreibt. In den Tagen vor der Präsidentenwahl begann er, die hoffnungsvollen Anhänger Mir Hossein Mussawis in Bildern festzuhalten. Doch mit dem Ausbruch der Proteste wurde sein Album zu einem Fenster mit Blick aufs Chaos: Fotos und Videos von wütenden Wählern und verletzten Demonstranten, von Massenkundgebungen und brennenden Barrikaden. Der Blog, der als rein privates Projekt begonnen hatte, geriet am Samstag in den Fokus der Regierung: "PS: Seit drei Stunden ist diese Seite von der Regierung verboten", schrieb Sadeghi. Es folgten noch zwei Postings. Seit Montag gibt es keinen neuen Beitrag mehr auf der Seite. Sadeghi erklärte sueddeutsche.de per E-Mail, dass er aus Angst vor Repressalien alle Interview-Anfragen abgelehnt habe, selbst von CNN und der BBC: "Sie wissen es vielleicht nicht, aber seit Samstag werden viele Journalisten und Fotografen vermisst."

Beeindruckende Fotos der Proteste vom Dienstag liefert auch ein iranischer Fotograf auf Flicker.

Der linke Blogger Saeed Valadbaygi berichtet auf der Seite " Revolutionary Road" auf Englisch aus dem kurdischen Westen Irans. Seine Seite ist zwar nicht professionell gemacht, wird aber regelmäßig mit Videos, Fotos und Berichten von Demonstrationen aktualisiert. Dagegen ist die Seite " Tehran Bureau" professionell gemacht und gibt einen Einblick in die politischen Gedankenspiele innerhalb Irans.

Der Mullah Mohammad Ali Abtahi, ehemaliger Stellvertreter des Reformpräsidenten Mohammed Chatami, war einer der prominentesten Blogger in Iran. Am Dienstag wurde er verhaftet. Die englische Version seines Blogs ist mittlerweile nicht mehr aufrufbar. Seine letzten Postings - auf Farsi - kann man hier nachlesen.

Bei allem Frust verlieren die Iraner ihren Humor nicht: Nikahang Kosar, bekannter iranische Karikaturist und Blogger, stellt den offiziellen Wahlsieger Ahmadinedschad wenig schmeichelhaft dar.

"Ich bin ein Teheraner"

Damit die Nachrichten und Bilder der Iraner die Welt erreichen, brauchen sie Unterstützung aus dem Ausland: Zwei amerikanische Blogger versuchen, die Informationsflut zum Thema Iran zu ordnen, die sich aus den spärlichen Informationen der westlichen Medien, dem iranischen Cyberspace und persönlichen Kontakten von Verwandten und Freunden speist: Andrew Sullivan, der auf der Seite des Monatsmagazins Atlantic Monthly bloggt, und Nico Pitney von der Huffington Post. Gerüchte, Fakten, Videos, Expertenmeinungen; hier findet man Links zu allem, was im Netz und anderen Medien über die Situation in Iran geschrieben wird.

Nach wie vor findet man unter "#iranelection" den Twitter-Kanal, auf dem die Welt den Aufstand verfolgt. Die Bilder der Twitterer gibt es hier - aber: Viele Fotos zeigen Solidaritäts-Demos in Europa oder den USA, nicht in Iran selbst.

Solidarität kommt auch aus Hollywood: Schauspielerin Alyssa Milano, bekannt aus den Fernsehserien "Wer ist hier der Boss?" und "Charmed" und normalerweise des politischen Engagements eher unverdächtig, twittert obsessiv über die Ereignisse in Iran.

Aus Solidarität mit der iranischen Opposition färbt sich das Netz grün - als wollten die Unterstützer im Ausland sagen: "Ich bin ein Teheraner." Hier bietet eine Online-Agentur an, sein Twitter-Profilbild in der Farbe der Protestbewegung einzufärben. Selbst die größte Filesharing-Plattform The Pirate Bay zeigt Solidarität mit der grünen Welle in Iran, benennt sich um in "The Persian Bay" und färbt ihr Dreimaster-Logo entsprechend.

Iranische Twitterer fordern ihre Kontakte im Ausland mittlerweile auf, ihre Einstellungen auf "Teheran, mitteleuropäische Zeit plus zweieinhalb Stunden" zu setzen. Sie hoffen, dass es den Behörden so schwerer fällt, herauszufinden, wer wirklich aus Iran schreibt und somit verfolgt werden kann. In den letzten Tagen wurden viele Seiten gesperrt, gefiltert oder verlangsamt. Die Drohung der Revolutionsgarden könnte eine Reaktion auf die trotz der Zensur anhaltende Mobilisierung der Opposition sein.

© sueddeutsche.de/dpa/jab/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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