Iran:Optionen zum Umsturz

Der Gottesstaat Iran steht am Scheideweg: Es droht entweder die Diktatur der Hardliner oder der totale Zusammenbruch des Systems. Potentielle Königsmörder gehen in Stellung - unter ihnen Ex-Präsident Rafsandschani.

Tomas Avenarius

Der Szenenwechsel vollzieht sich gemäß Lehrbuch, Kapitel "Revolte, Revolution, Staatsstreich". Nach der spontanen Aufwallung auf den Straßen Teherans und der brutalen Gegenreaktion des Staats verlagert sich das Geschehen nun in die Kulissen des Machtapparats. Es zeigen sich tiefe Risse in der herrschenden Kaste der Islamischen Republik. Neue Koalitionen zeichnen sich ab im System. Namen potentieller Königsmörder werden genannt: Männer, die bereit sind, den obersten Repräsentanten Ayatollah Ali Chamenei zu opfern, um das Überleben des Regimes zu sichern.

Iran: Möglicher Königsmörder: Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

Möglicher Königsmörder: Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

(Foto: Foto: AP)

In Iran wäre so ein Brutus Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani - Revolutionär der ersten Stunde, Vertrauter der einflussreichen hohen Geistlichkeit, vielfacher Milliardär und politischer Überlebenskünstler. Allem Anschein nach lotet Rafsandschani aus, wie man den angeschlagenen Revolutionsführer ersetzen kann, ohne das ganze System der Islamischen Republik zu zerstören.

Denn der Gottesstaat steht erkennbar am Scheideweg: Es droht entweder die Diktatur der Hardliner oder der Zusammenbruch. Beides würde das Ende für zahlreiche Macher und Günstlinge des Ayatollah-Staats bedeuten. Und einer wäre Rafsandschani selbst.

Einige Voraussetzungen für den politischen Kunstgriff des Königsmords sind gegeben: Revolutionsführer Chamenei hat sich unklug auf eine Seite geschlagen, stärkt dem umstrittenen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad den Rücken. Chamenei versucht ein Wahlergebnis zu legitimieren, das illegitim ist. Er gibt sich damit eine für alle Beteiligten sichtbare Blöße.

Denn der Wächterrat als Aufsichtsorgan über den Wahlprozess hat erklärt, dass in 50 Wahlbezirken weit mehr Stimmen abgegeben worden seien als dort überhaupt Personen in den Wählerlisten verzeichnet waren. Auch wenn der Rat offiziell weiter jede Wahlfälschung bestreitet, hat er den von der Opposition behaupteten Betrugsvorwurf damit praktisch schon bestätigt.

Sollte es Rafsandschani gelingen, die einflussreiche Geistlichkeit im schiitischen Theologenzentrum Ghom auf seine Seite zu ziehen, wird der Revolutionsführer sich kaum halten können. Als Geistlicher Führer der Islamischen Republik mag Chamenei fast allmächtig sein - abgesetzt werden kann er dennoch, laut Verfassung. Und zwar von eben dem Gremium, in dem Rafsandschani einer der wichtigsten Männer ist.

Die Hardliner reagieren nach den Regeln des Lehrbuchs

Die Hardliner rund um den Revolutionsführer reagieren aber ebenfalls nach den Regeln des Lehrbuchs: Sie bedrohen die Opposition auf der Straße mit immer mehr Gewalt. Sie schüchtern auch ihre Gegner im System ein. Eine Tochter Rafsandschanis wurde für einige Stunden festgenommen - ein klarer Fingerzeig.

Hinzu kommt der altbekannte Ausfallschritt aufs internationale Terrain. Die Islamische Republik beschuldigt Amerikaner, Briten und Deutsche, die Unruhen anzuheizen, um Iran zu schaden. Auch das ist ein klassisches Ablenkungsmanöver, wenn einer Regierung das Ende droht.

Wie sich die Dinge weiter entwickeln, steht in keinem Lehrbuch. Hier entscheidet allein das Mit- und Gegeneinander der Akteure. Und der schlichte Zufall. Wie lange kann die Opposition den Druck noch friedlich aufrecht erhalten? Wann verlieren die Führer die Kontrolle über ihre aufgebrachten Anhänger? Ein einziger Zwischenfall kann reichen, die Proteste aus dem Ruder laufen zu lassen.

Der Tod der jungen Demonstrantin Neda hätte solch ein Anlass sein können. Und weiter: Wie kann die Staatengemeinschaft wirkungsvoll Einfluss nehmen, ohne dem Regime neue Argumente für alte Verschwörungstheorien zu liefern? Wie glaubwürdig kann die Solidarität der Amerikaner, Briten und Deutschen sein, wenn doch alle Beteiligten wissen, dass die Demonstranten alleine sind, wenn sie in die Gewehrmündungen der Staatsmacht blicken?

Entscheidend für ein gewaltloses Ende der iranischen Krise könnte sein, ob Chameneis Widersacher Alternativen im Rahmen des Systems ausmachen können. Wie also könnte eine Islamische Republik ohne Chamenei, Ahmadinedschad und ihre radikalen Gefolgsleute in Regierung, Parlament und der Revolutionsgarde aussehen? Neuwahlen erscheinen angesichts der Betrügerei unvermeidlich. Aber da die Islamische Republik auch als System inzwischen beschädigt ist, reichen Wahlen nicht aus. Also muss das System selbst modifiziert werden.

Die von Ayatollah Chomeini entwickelte Staatstheorie einer "Führerschaft des Rechtsgelehrten" war dem wie einem Heiligen verehrten Revolutionsvater auf den Leib geschneidert. Sein Nachfolger Chamenei hat dieses Führungsprinzip in den Augen zumindest eines Teils der Iraner diskreditiert. Also bedarf es einer neuen Führungsperson. Die gäbe es in Person des greisen Ayatollahs Montazeri. Rafsandschani könnte aber auch versuchen, das höchste Amt durch ein kollektives Gremium zu ersetzen.

Darin könnten alle Fraktionen Platz finden. So könnte die Islamische Republik einen Neustart versuchen, bei dem das System erhalten bleibt, aber sich der Raum für demokratische Reformen öffnet. Dass solch ein Theologen-Staatsstreich funktioniert, ist alles andere als garantiert.

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