Iran nach der Wahl:Riss an der Spitze

Die Wahl war auch ein Kampf zwischen Irans geistlichem Führer Chamenei und dem mächtigen Ex- Präsidenten Rafsandschani, dem Erzfeind Ahmadinedschads. Rafsandschanis älteste Tochter wurde verhaftet.

Rudolph Chimelli

Als Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Chamenei vorigen Freitag in Teheran predigte, fehlte Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani unter den Zuhörern. Rafsandschanis Erzfeind, der wiedergewählte Staatschef Mahmud Ahmadinedschad, saß hingegen demonstrativ in der ersten Reihe.

Iran nach der Wahl: Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Chamenei vorigen Freitag in Teheran.

Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Chamenei vorigen Freitag in Teheran.

(Foto: Foto: AP)

Der Staatschef hatte in der wichtigsten Fernsehdebatte des Wahlkampfes vor Millionen Iranern Rafsandschani der Korruption sowie des Diebstahls öffentlicher Gelder beschuldigt und mit einem Prozess gedroht. Doch Chamenei nahm Rafsandschani als "Säule der Revolution" demonstrativ in Schutz. Dass ein Gründervater der Islamischen Republik als Mafiosi dargestellt werden, konnte der geistliche Führer nicht zulassen. Chamenei betonte allerdings auch, zwischen ihm und Rafsandschani bestünden "viele Meinungsverschiedenheiten".

Am Samstag wurde Rafsandschanis älteste Tochter, die 46-jährige Faiseh, mit vier weiteren Angehörigen des Ex-Präsidenten verhaftet. Sie hatte vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens in einer Rede den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi unterstützt.

Empörte Studenten hatten danach, angeblich aus eigenem Antrieb, vor dem Amt des Staatsanwalts die Festnahme der "Verräterin" verlangt. Schon am Sonntag kam Faiseh Rafsandschani, ehemalige Parlamentsabgeordnete und bekannte Frauenrechtlerin, wieder frei. Aber der Warnschuss saß. Und auch für Unbedarfte ist seither klar, dass die iranische Führung gespalten ist.

Rafsandschani gilt als zweitmächtigster und gleichzeitig reichster Mann Irans. Er ist Vorsitzender des Schlichtungsrates, der Meinungsverschiedenheiten zwischen den hohen Staatsinstitutionen auszugleichen sucht. Zudem steht er dem Expertenrat vor, dessen 86 Mitglieder den geistlichen Führer wählen - und theoretisch auch absetzen können. Politisch sind Rafsandschani und Chamenei seit langer Zeit Rivalen. Schon vor Ausbruch der Krise hatte Rafsandschani davon gesprochen, nach einem Ausscheiden Chameneis durch Tod oder Invalidität solle kein Einzelner mehr, sondern ein Gremium diese Position übernehmen. Dass es mit Chameneis Gesundheit nicht gut steht, wird seit langem gemunkelt.

Spekulationen über einen kalten Staatsstreich, durch den Rafsandschani den geistlichen Führer seines Amtes entheben und einen Kurswechsel herbeiführen könnte, erscheinen jedoch äußerst gewagt. Im Expertenrat fände er dafür keine Mehrheit. Bei seiner Wahl zum Vorsitzenden konnte sich Rafsandschani gegen den reaktionären Ayatollah Mohammed Taghi Mesbah Jasdi durchsetzen, den geistigen Mentor Ahmadinedschads, der die "Islamische Republik" durch einen "Islamischen Staat" ersetzen möchte.

Rafsandschani hasst Ahmadinedschad

Gleichwohl haben Chamenei, sein Schützling Ahmadinedschad und Mesbah Jasdi viele Parteigänger im Rat. Wäre Rafsandschani wirklich so mächtig wie es ihm nachgesagt wird, so müsste manches im Lande anders gelaufen sein. Bei der Präsidentenwahl vor vier Jahren war der Altmeister zur Verblüffung von dem weithin unbekannten Ahmadinedschad geschlagen worden. Dieser operierte schon damals mit Bereicherungsvorwürfen und brauchte keine Namen zu nennen, denn die Erinnerung an die Präsidentenjahre Rafsandschanis, in denen dieser reich wurde, war noch frisch.

Seither hasst Rafsandschani Ahmadinedschad. Unter Vertrauten drohte er wiederholt, er werde den Präsidenten "zerbrechen". Dies ist ihm in dessen vier ersten Amtsjahren nicht gelungen. Auch eine erneute Kandidatur Ahmadinedschads konnte er nicht verhindern.

Wichtiger als die persönliche Abneigung gegen Ahmadinedschad sind die politischen Differenzen, die Rafsandschani nicht nur vom Präsidenten, sondern auch von dessen Protektor Chamenei trennen. Der 75-jährige Rafsandschani ist kein Ideologe, sondern ein Pragmatiker. Im Wahlkampf unterstützte er Mussawi, weil er dem Tandem Chamenei-Ahmadinedschad keine Änderung des Konfrontationskurses mit den USA und keine fruchtbare Wirtschaftspolitik zutraut. Er war nie populär, hat aber eine ganze Reihe von Erfolgen vorzuweisen.

Im letzten Jahr des Krieges gegen den Irak wurde Rafsandschani, damals noch Parlamentsvorsitzender, vom Revolutionsführer Ayatollah Chomeini zum amtierenden Kommandeur der Streitkräfte ernannt. In dieser Eigenschaft setzte er es in Iran durch, eine Entschließung des Weltsicherheitsrates anzunehmen, die den Krieg beendete. In seiner Zeit als Präsident (l989 bis 1997) wollte er die Beziehungen zu den USA und zum Westen normalisieren, konnte sich mit diesem Ziel aber nicht gegen die Hardliner durchsetzen. Ihr Vertreter Chamenei war inzwischen Chomeinis Nachfolger als geistlicher Führer geworden. Bei der Befreiung westlicher Geiseln im Libanon spielte Rafsandschani eine wesentliche Rolle.

Durch die Förderung der Privatwirtschaft steuerte er Iran weg von der Staatsökonomie der Kriegsjahre - was aber auch die sozialen Defizite fühlbarer machte. Dass die revolutionäre Terrorjustiz der Achtzigerjahre abgeschafft wurde, ist Rafsandschanis Verdienst. Das Prädikat "liberal" verdient er viel eher als Mussawi. Auf einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz antwortete Rafsandschani einmal einer amerikanischen Journalistin im Tschador: "Warum tragen Sie dieses Ding? Ein Kopftuch genügt völlig!" Das ganze Land hörte ihn, und sofort änderten die iranische Frauen ihre Kleidungssitten.

Vor zwei Jahren wandte er sich gegen Atomwaffen und bedauerte, dass die USA, die auf ihr nukleares Arsenal nicht verzichteten, Iran von der zivilen Nutzung der Kernenergie abhalten wollten. Wie alle Politiker Irans ist er für die Fortführung des Atomprogramms, will jedoch Verhandlungen. Die meisten Ansichten Rafsandschanis kollidiert jedoch mit der starren Haltung Chameneis. Ein politischer Monolith ist Iran derzeit weniger denn je. Von dem Dutzend Groß-Ayatallohs hat sich kein einziger für Ahmadinedschad ausgesprochen. Einer von ihnen, so behauptet die Opposition, habe die Zusammenarbeit mit seiner Regierung als "verboten" qualifiziert.

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