Iran: Interview mit Volker Perthes:"Ausmaß der Gewalt ist überraschend"

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Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, über die falsche Perspektive des Westens, die Anti-Establishment-Kampagne des iranischen Präsidenten - und wieso Mahmud Ahmadinedschad leichter Kompromisse mit den USA schließen könnte als sein Konkurrent Mir Hussein Mussawi.

Matthias Kolb

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Das Forschungsinstitut berät unter anderem die Bundesregierung in außenpolitischen Fragen.

Frauen in Teheran demonstrieren für den Unterlegenen Herausforderer. (Foto: Foto: Getty Images)

sueddeutsche.de: Iran hat gewählt und das Regime hat das gewünschte Ergebnis bekommen. War diese Wahl eine reine Inszenierung, Herr Perthes?

Volker Perthes: Nein, das glaube ich nicht. Es gab Manipulationen und auch Stimmenkauf, aber das Ergebnis ist vor allem die Folge der letzten vier Jahre. Als Präsident hat Mahmud Ahmadinedschad sowohl das Staatsbudget als auch die Medien kontrolliert. Er hat sich als "Präsident der kleinen Leute" präsentiert, der sich um ihre Anliegen kümmert. Das hatte zwar verheerende Folgen für den Haushalt, aber er war mit seiner Anti-Establishment-Kampagne sehr erfolgreich. Es war sicher keine perfekte, aber eine echte Wahl.

sueddeutsche.de: Sein schärfster Konkurrent und Herausforderer Mir Hussein Mussawi gehört zu jener Elite, die Ahmadinedschad angriff.

Perthes: Genau, Mussawi war in den achtziger Jahren Ministerpräsident. Ich habe erst heute eine Umfrage des amerikanischen Centre for Public Opinion auf den Tisch bekommen, die im Mai durchgeführt wurde. Demnach ist Ahmadinedschad doppelt so populär wie Mussawi - genau dieses Ergebnis haben wir bei der Wahl gesehen. Ebenso interessant ist eine andere Zahl: 46 Prozent der Iraner glauben, dass unter Ahmadinedschad die Inflation gesunken und die Wirtschaft gewachsen ist. Ökonomen werden vorrechnen, dass dies falsch ist, aber entscheidend ist, dass Millionen Iraner dies glauben.

sueddeutsche.de: Ali Chamenei, der geistliche Führer, hat nun angekündigt, die Manipulationsvorwürfe überprüfen zu lassen. Was steckt hinter diesem Zug?

Perthes: Es ist definitiv kein Zugeständnis an den Westen, sondern eher ein Zeichen an Mussawi und die anderen beiden Kandidaten. Es wurden konkrete Beschwerden geäußert - etwa dass es in manchen Regionen zu wenig Wahlzettel gab - und die werden nun geprüft. Man will eine mögliche Eskalation verhindern und nicht weiter Öl ins Feuer gießen.

sueddeutsche.de: In Europa und den USA hat das Ergebnis für Entsetzen gesorgt. Ein paar Bilder von hübschen Mädchen, die viel Haar zeigen, machen noch keinen demokratischen Umsturz. War der Westen zu naiv?

Perthes: Es ist ein typischer Fall von wishful thinking. Schon vor vier Jahren glaubte niemand an einen Sieg Ahmadinedschads. Dafür gibt es eine Erklärung: Journalisten, Wissenschaftler und Experten halten vor allem Kontakt zu Iranern im Norden Teherans, wo vor allem Geschäftsleute und Diplomaten leben. Also Menschen, die eine Fremdsprache beherrschen und modern sind. Zu anderen Teilen des Landes gibt es nur wenig Kontakt. Bei den Bassidschi, den paramilitärischen Milizen, oder den Revolutionsgarden der Pasdaran gibt es auch Hunderttausende junge Leute und wir wissen nicht, wie diese denken.

sueddeutsche.de: Sie haben das Land in der Vergangenheit oft bereist und waren zuletzt vor einem Jahr dort. Nun berichten iranische Medien von mehreren Toten bei den Ausschreitungen. Haben Sie die gewalttätigen Proteste überrascht?

Perthes: Das Ausmaß der Gewalt ist überraschend. Es erinnert an Auseinandersetzungen vor zehn Jahren, bei denen iranische Studentenbewegungen blutig unterdrückt wurden. Allerdings gab es damals einen reformorientierten Präsidenten, der den Ereignissen hilflos zusah. Heute haben wir einen von den Sicherheitskräften gestützten Präsidenten, der sich nicht scheut, Gewalt gegen Oppositionelle anwenden zu lassen.

sueddeutsche.de: Die Anhänger des Reformers Mussawi nutzten Websites wie Facebook, Myspace und Twitter sowie SMS, um sich zu organisieren. Am Wahltag wurden diese Mittel durch den Staat blockiert, doch offensichtlich kennen Mussawis Leute neue Wege. Kämpft das Regime hier nicht auf verlorenem Posten?

Perthes: In Iran lassen sich die persönlichen Freiheiten je nach Bedarf lockern oder beschränken. Vor der Wahl herrschte Aufbruchstimmung und ein Gefühl der Freiheit. Es wurde toleriert, dass Studentinnen viel Haar unter ihrem Kopftuch zeigten, durch die Straßen tanzten und friedlich demonstrierten. Aber ich fürchte, dass sich Ahmadinedschad in seinem harten Kurs bestätigt sieht und die persönlichen Freiheiten beschneidet. Die Tatsache, dass am Wahltag diese Sites gesperrt waren und Mobilfunknetze behindert wurden, beweist nur, welche strukturellen Möglichkeiten das Regime hat, die Geschicke im Land zu steuern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Wiederwahl Ahmadinedschads für die Dialog-Bemühungen der Obama-Regierung bedeutet.

Iran nach der Wahl
:Eskalation der Gewalt

Seit der Wiederwahl von Ahmadinedschad als Präsident Irans kommt es in Teheran und anderen Orten zu heftigen Ausschreitungen. Am Rande von Massenprotesten starben am Montag mindestens sieben Menschen.

sueddeutsche.de: Werden sich die Anhänger der Reformer enttäuscht in ihre privaten Nischen zurückziehen?

Volker Perthes leitet seit Oktober 2005 die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

Perthes: Einige werden das tun. Nach dem Ende der Amtszeit von Präsident Chatami sind viele reformorientierte Iraner ins Exil gegangen. In den Umfragen der letzten Monate lag Chatami immer vorne, aber letztendlich ist er nicht angetreten, weil ihm gezeigt wurde, dass der Revolutionsführer ihn nicht schätzt. Insofern ist es erstaunlich, welche Mobilisierungskraft Mussawi entwickelt hat.

sueddeutsche.de: Blicken wir über die Region hinaus: Ist das Ergebnis ein Rückschlag für die Bemühungen von US-Präsident Barack Obama? Ahmadinedschad wird seine Wiederwahl sicherlich als Bestätigung für seinen bisherigen Konfrontationskurs interpretieren.

Perthes: Davon muss man ausgehen. Sein Kurs bedeutet im Inneren weniger Freiheiten und strengere Kontrollen. In der Außen- und Sicherheitspolitik steht er vor allem für den Ausbau des Atomprogramms: Er ist der Präsident, in dessen Amtszeit 5000 Zentrifugen installiert wurden. Chatami hat jahrelang mit dem Westen verhandelt und nicht mal 200 bekommen. Diesen Erfolg wird er immer betonen. Zugleich ist Ahmadinedschad der erste iranische Präsident, der einem US-Präsidenten ein Glückwunschschreiben zu seiner Wahl geschickt hat. Er hat deutlich gemacht, dass er einen Dialog mit den USA will. Doch der Weg dahin ist lang.

sueddeutsche.de: Welche sind die größten Probleme?

Perthes: Es beginnt bei der Frage, wer den ersten Schritt zu tun hat. Obamas Botschaft zum iranischen Neujahr wurde zwar von iranischer Seite begrüßt, aber in Teheran sieht man das als Antwort auf Präsident Ahmadinedschads Glückwünsche. Die iranische Regierung erwartet weiterhin neue Schritte der USA, während die Amerikaner die Gegenseite am Zug sehen.

sueddeutsche.de: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Perthes: Sowohl die "Drei-plus-Drei" ( die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland; Anm. d. Red.) als auch Iran müssten den Spielraum denkbarer Kompromisse erweitern. So hat die Sechsergruppe bislang nicht definiert, welchen Umfang iranischer Nuklearaktivitäten sie zu akzeptieren bereit wären und welche Aktionen von Iran gefordert sein würden, um internationale Zustimmung auch zu eigenständiger Anreicherung zu erlangen. Es ist unrealistisch, dass Iran all seine Zentrifugen wieder abbaut. Zugleich denkt Teheran bislang zu wenig darüber nach, welche Beschränkungen des Atomprogramms man zu akzeptieren bereit sein könnte, um die Welt davon zu überzeugen, dass dieses tatsächlich ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Sollte sich aber ein ernsthafter Dialog entwickeln, dann ist Ahmadinedschad in einer besseren Position, um gewisse Verbesserungen durchzusetzen als etwa Mussawi.

sueddeutsche.de: Warum denn?

Perthes: Ahmadinedschad weiß das konservative Lager hinter sich. Die Reformer und Studenten werden nicht protestieren, wenn sich die Beziehungen zu den USA verbessern - etwa wenn eine Visastelle der Amerikaner in Teheran eröffnet würde. Auch ein "Freeze for Freeze"-Modell ist für den amtierenden iranischen Präsidenten leichter durchzusetzen: Also etwa ein Stopp der Urananreicherung als Gegenleistung für einen Stopp weiterer Sanktionen des Westens.

sueddeutsche.de: Republikaner wie Mitt Romney fordern von Obama eine klare Verurteilung der Ereignisse. Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton haben sich bisher sehr zurückhaltend geäußert. Ist das die richtige Strategie?

Perthes: Was hätten Obama und Clinton denn sonst tun sollen? Niemand weiß genau, wie umfangreich die Manipulationen waren und ob all die Gerüchte wirklich stimmen. Es wäre also sehr unklug zu sagen, dass Washington das Ergebnis nicht akzeptiere. Sie haben deutlich gemacht: Diese Wahl ist eine innere Angelegenheit des Iran. Für Washington ist es sehr wichtig, über Probleme wie dem Atomprogramm mit Teheran zu reden. Das war richtig.

Lesen Sie auf der letzten Seite, auf welchen Feldern der Westen mit Iran kooperieren könnte und wie die Reaktionen aus Israel zu bewerten sind.

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:Eskalation der Gewalt

Seit der Wiederwahl von Ahmadinedschad als Präsident Irans kommt es in Teheran und anderen Orten zu heftigen Ausschreitungen. Am Rande von Massenprotesten starben am Montag mindestens sieben Menschen.

sueddeutsche.de: Auf welchen Feldern ist eine Zusammenarbeit zwischen Iran und dem Westen denn denkbar?

Perthes: Im Irak, in Pakistan und Afghanistan überschneiden sich iranische und amerikanische Interessen. Niemand will in Afghanistan eine Rückkehr der Taliban an die Macht oder eine Talibanisierung Pakistans. Die derzeitige Regierung von al-Maliki im Irak wird von beiden Seiten unterstützt. Teheran zeigt sich pragmatisch, wenn es um Probleme in der unmittelbaren Nachbarschaft geht: Sicherheitsrisiken wie der Drogenhandel aus Afghanistan erlauben keine ideologische Haltung und so wird selbst eine Kooperation mit der Nato hier nicht ausgeschlossen. Einen zerfallenden Staat in der Region wünscht sich keiner. Gleichwohl will Teheran nicht, dass Afghanistan oder Irak zu einem lokalen Vertreter der Amerikaner werden.

sueddeutsche.de: Am Sonntag hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Grundsatzrede erstmals das Wort "Palästinenserstaat" ausgesprochen. Ist das ein Hoffnungsschimmer?

Perthes: Es ist ein kleiner Schritt vorwärts unter massivem Druck der Amerikaner. Es ist noch zu früh abzuschätzen, ob es wirklich zu einer Veränderung der israelischen Regierung kommen wird und ob Verhandlungen beginnen. Entscheidend ist die Frage der Siedlungen.

sueddeutsche.de: Aus Israel ist zu hören, der Sieg Ahmadinedschads habe einen positiven Nebeneffekt: So bleibe klar, dass Iran eine große Gefahr für Israel und die Region darstelle. Das klingt - offen gesagt - sehr zynisch.

Perthes: Ich habe erst vergangene Woche in Israel mit Beratern, Wissenschaftlern und Politikern aus der strategic community geredet. Die Mehrheit sagte: 'Wenn ich wählen könnte, würde ich für Ahmadinedschad stimmen". Es gibt leider auf beiden Seiten dieses Denken nach dem Motto: Wenn wir schon einen Feind haben, dann sollen alle sehen, wie schlimm er ist. Das verdeutlicht das Nullsummenspiel im Nahen Osten: Viele Syrer, Palästinenser oder Iraner haben es begrüßt, dass Netanjahu gewählt wurde. Die Argumentation lautete damals: Es zeigt doch, dass Israel ebenfalls keinen Frieden will, sonst würden sie nicht einen solchen Mann wählen.

sueddeutsche.de: Deutschland spielt in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm eine tragende Rolle. Welche Optionen hat Berlin, um Einfluss auszuüben?

Perthes: Berlin hat in der Vergangenheit eine konstruktive Rolle gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien gespielt und wird weiterhin Ideen einbringen und die bestehenden Kontakte nutzen. Der große Unterschied ist nicht der neue iranische Präsident, der ja der alte ist, sondern der neue Präsident der USA. Aus dieser Richtung muss Bewegung kommen.

sueddeutsche.de: Wäre ein anderer Akteur als Vermittler denkbar - etwa die Türkei oder ein Golfstaat?

Perthes: Es ist richtig, dass sich die Türkei, Katar oder Saudi-Arabien in der Vergangenheit im Nahen Osten engagiert haben. Aber der Atomstreit ist zu wichtig für Teheran, als dass man etwa die Türkei als Vermittler akzeptieren würde - Ankara wäre damit auch überfordert. Die US-Regierung will mit Iran reden, das weiß man in Teheran. Das Selbstbewusstsein der Iraner ist gerade in dieser Frage sehr ausgeprägt.

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