Iran: Ein Jahr nach den Protesten:Die grüne Bewegung lebt

Millionen Iraner gingen im Juni 2009 auf die Straße, um gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads zu protestieren. Die grüne Bewegung war geboren. Ein Jahr später hat sich die Straße beruhigt. Doch eingeschlafen ist die Bewegung deshalb noch nicht.

Am 13. Juni 2009 treten vier Kandidaten zu den iranischen Präsidentschaftswahlen an, aus denen der Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad als offizieller Sieger hervorgeht. Doch viele Menschen wollen das Ergebnis nicht wahrhaben, fühlen sich um ihre Stimme betrogen - und glauben, dass in Wahrheit die Kandidaten des sogenannten Reformer-Lagers, Mehdi Karrubi und Mir Hussein Mussawi, gewonnen haben. Aus dieser Stimmung heraus entwickelt sich die "grüne Bewegung", die gegen das Regime auf die Straßen geht und über Wochen die Berichterstattung prägt. Nun jähren sich die Ereignisse von damals zum ersten Mal. sueddeutsche.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Iranians Protest President Mahmoud Ahmadinejad Re-Election

Szenen aus dem vergangenen Jahr: Im Juni 2009 gehen Hunderttausende Anhänger von Mussawi wie hier in Teheran auf die Straße und protestieren gegen die Präsidentschaftswahl.

(Foto: Getty)

Wie hat sich die grüne Bewegung seit dem 13. Juni 2009 entwickelt?

Hunderttausende, ja Millionen Menschen waren es, die im Sommer des vergangenen Jahres auf die Straße gingen. Sie fühlten sich bei den Präsidentschaftswahlen betrogen von einem mächtigen Staat, entluden ihren Zorn in den größten Menschenansammlungen der Islamischen Republik Iran seit den Revolutionstagen 1979 und lenkten den Blick der gesamten Welt auf das 70-Millionen-Einwohner-Land. Nun, ein knappes Jahr später, sind die Menschenmassen verschwunden. Wenn es in den vergangenen Wochen und Monaten Meldungen zur Protestbewegung gab, drehten die sich um Verhaftungen, Todesurteile oder Anschläge auf Oppositionelle. Das Regime hat die Bewegung massiv eingeschüchtert, von mehr als 200 Toten und mehr als 4000 Verhaftungen ist die Rede. Der bislang letzte große Massenauflauf war für den 12. Februar, den Jahrestag der Revolution, geplant. Der Erfolg war aber nur mäßig, weil die Regierung für eine große Präsenz von Sicherheitskräften und eigenen Anhängern sorgte. Doch eingeschlafen ist die grüne Bewegung deswegen noch nicht. "Dass eine Erschöpfung da ist, ist verständlich, weil sie über viel weniger Mittel verfügt als der Staat, aber sie ist noch da", sagt die FDP-Politikerin Elke Hoff, Vorsitzende der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe. Die Bewegung zeigt sich derzeit aber nur zaghaft - zum Beispiel, wenn sich im Internet der Comic "Zahra's Paradise" (Link) zum Renner entwickelt, der nicht nur in Bildern an die Sommer-Proteste erinnert, sondern auch mit seinem Namen. "Zahra's Paradise" ist der Name eines Friedhofes in Süd-Teheran, wo einige tote Demonstranten begraben sind.

Was sind die Probleme der grünen Bewegung?

Die große Stärke der Protestbewegung war über lange Zeit auch ihre große Schwäche. Sie organisierte sich fast ausschließlich übers Handy und übers Internet, über Facebook und Twitter. So ließen sich schnell und spontan Demonstrationen mit vielen Teilnehmern zusammenstellen. "Am Anfang war die Bewegung zu internetlastig und die Anfälligkeit der Kommunikationsstrukturen entsprechend zu groß. Doch jetzt greift man auch auf die alten Kommunikationsstrukturen von vor 30 Jahren", sagt Omid Nouripour, in Teheran geborener Bundestagsabgeordneter der Grünen. Denn die Zensur - in Iran ohnehin rigide - wurde noch einmal verstärkt, um die Protestbewegung einzudämmen. Außerdem ließ die anfangs gezeigte Spontaneität, die Begeisterung an dem Neuen, mit der Zeit nach. Daneben bleibt ein großes inhaltliches Problem: Was will die grüne Bewegung eigentlich, welches Ziel hat sie? Bislang eint die Protestler nämlich nur der Wunsch nach dem Ende der jetzigen Regierung und dem Abdanken des jetzigen Präsidenten. Ob darüber hinaus gleich das ganze System kippen soll, ist eine Frage, welche die Bewegung spaltet. Ein "Regierungsprogramm" hat sie nicht. "Ich glaube nicht, dass die Bewegung die gestalterische Fähigkeit hat, morgen die Regierung zu übernehmen. Wenn die Bewegung morgen die Regierung bilden müsste, würde sie sich sofort selbst zerlegen. Aber das ist im Moment nicht der entscheidende Punkt", sagt Nouripour.

Die Rolle der Oppositionsführer

Wie positionieren sich die Oppositionsführer Karrubi und Mussawi?

Iranian-born citizens living in Islamabad shout 'Free Iran' during a rally in Islamabad

Solidarität weltweit: Auch in Istanbul fand die grüne Bewegung vor einem Jahr ihre Unterstützer.

(Foto: Reuters)

Wahrscheinlich hat es in der jüngeren Weltgeschichte niemals Protestbewegungsanführer gegeben, die so unfreiwillig in diese Rolle gedrängt wurden wie Mehdi Karrubi, 62, und Mir Hossein Mussawi, 68. Bis zum vergangenen Frühling waren beide eindeutiger Bestandteil des iranischen Machtsystems. Karrubi war unter anderem von 1989 bis 1996 sowie von 2000 bis 2004 Parlamentspräsident, Mussawi von 1981 bis 1989 sogar Ministerpräsident. "Ich bin ein Mitglied des [islamischen] Systems, das Kind des Systems und mein Schicksal ist eng mit dem System verknüpft", sagte Karrubi einmal. Als sie 2009 gegen Ahmadinedschad und den ehemaligen Pasdaran-General Mohsen Resai fürs Präsidentenamt kandidierten, hatten sie keineswegs vor, künftig als moderne Volkstribune zu agieren. Doch durch die Eigendynamik der Ereignisse rutschten sie mehr oder minder in die Rolle der Straßenvorkämpfer hinein. Sie waren, sind und bleiben die einzigen relevanten politischen Gesichter dieser Bewegung, von der niemand genau weiß, wer und wie viele ihr angehören. "Wenn die beiden weg wären, würde die grüne Bewegung zusammenbrechen", sagt Walter Posch, Iran-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Zwar attackieren Karrubi und Mussawi die Regierung regelmäßig aufs Schärfste, doch ganz wohl fühlen sie sich als grüne Galionsfiguren nicht. Denn vielen Mitstreitern geht es nicht mehr nur um den angeprangerten mutmaßlichen Wahlbetrug und die Figur Ahmadinedschad - sondern um mehr Freiheit und eine Veränderung der Verfassung. Das Ziel des Führungsduos ist aber nicht der Sturz des Systems, sondern dessen Reformierung sowie das Drängen auf die Einhaltung der bestehenden Verfassung, wie Mussawi erst kürzlich noch einmal betonte. Diverse Äußerungen und Auftritte zu Beginn des Jahres ließen auch den Schluss zu, dass sie sich mittlerweile mit dem Ergebnis der Juni-Wahlen abgefunden haben. Zudem versucht die Regierung, Karrubi und Mussawi mit ständigen gewaltsamen Angriffen zu zermürben, unter anderem kam in den Unruhen ein Neffe Mussawis zu Tode.

Welche Rolle spielen die früheren Präsidenten Chatami und Rafsandschani?

Zwei frühere Präsidenten zählen in der derzeitigen politischen Situation zu den einflussreichsten Persönlichkeiten: Haschemi Rafsandschani (1989 bis 1997) und Mohammed Chatami (1997 bis 2005). Während sich der zu Amtszeiten gerne als Reformer bezeichnete Chatami klar für die grüne Bewegung positioniert, ist die Rolle von Rafsandschani unklar.

Im vergangenen Jahr hatte es so ausgesehen, als habe sich auch der Mann, der als reichster Iraner gilt, auf die Seite der Demonstranten geschlagen. Hinter den Kulissen soll er in Qom, der religiösen Hauptstadt des Landes, versucht haben, an einer Ablösung des religiösen Führers Ali Chamenei zu arbeiten. Rafsandschanis Treiben blieb nicht ohne Folgen. Immer wieder wurden seit dem vergangenen Sommer Personen aus seinem Umfeld verhaftet, im Juni des vergangenen Tages seine Tochter Faezeh, im März 2010 sein Vertrauter Hossein Maraschi und sein Enkel Hassan Lahuti. Mittlerweile tritt er wieder mit Ahmadinedschad zusammen auf, was eine Anerkennung des Wahlergebnisses bedeutet. Andererseits ist Rafsandschani bekannt dafür, dass er sich winden kann wie kein zweiter Politiker. "Er laviert, weil er immer laviert hat", sagt Nouripour. "Vielleicht denkt er nach den jüngsten Entwicklungen, dass womöglich die grüne Bewegung morgen mausetot ist. Wenn die grüne Bewegung aber morgen die Radiosender besetzt und über den Äther die Machtübernahme verkündet, ist er sofort da und sagt: Ich habe euch immer finanziert."

Chatami hingegen ist mittlerweile "in den Konfrontationsmodus übergegangen", wie es Experte Walter Posch formuliert. Er steht im Zentrum der Reformbewegung, beeinflusst sowohl die grüne Bewegung als auch die Parlamentsfraktion derjenigen, die sich als Reformer sehen. Doch er hat ein großes Problem: Viele der Jüngeren, die sich in der grünen Bewegung versammeln, hat Chatami während seiner Präsidentenzeit enttäuscht. Er wollte zwar einigen Veränderungen anstoßen, wagte aber nicht die Konfrontation mit den reaktionären Kräften des Landes - und scheiterte mit seinen Plänen. Wer es gut mit ihm meint, kann argumentieren, dass Chatami zu seiner Zeit das vorausgesehen habe, was in den vergangenen Monaten passierte, und die Konfrontation nicht suchte, um Blutvergießen zu vermeiden.

Die Rolle des Westens

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Mit Graffiti gegen das Establishment: Ein Sprayer schmiert Parolen an eine Häuserwand in Teheran. (Archivbild von 2009)

(Foto: ag.afp)

Wie geschlossen sind die Kräfte des Systems?

Die politische Elite des Landes ist gespalten, und das nicht mehr nur in die konservativen und die moderateren Kräfte; auch durch die Fraktion der Konservativen selbst geht ein großer Riss. Viele Politiker haben Ahmadinedschad immer mit einer Mischung aus Argwohn und Missachtung betrachtet, weil der Präsident nicht aus dem iranischen Establishment stammt, sondern aus der Provinz. Doch während sie sich in dessen ersten Amtszeit noch weitestgehend hinter Ahmadinedschad stellten, wächst nun der Widerstand von einflussreichen Figuren wie beispielsweise den Laridschani-Brüdern.

Auch die oft beschriebene Achse zwischen Politik und Geistlichkeit funktioniert nicht mehr. Von einem großen "polit-religiösen" Machtblock zu sprechen, ist falsch. Viele der wichtigsten religiösen Führungspersönlichkeiten haben sich seit Sommer von der Regierung distanziert, allen voran der mittlerweile verstorbene Groß-Ayatollah Ali Montazeri, aber auch etliche andere.

Isoliert ist Ahmadinedschad deswegen noch lange nicht. Erstens stehen Ayatollahs wie sein Mentor Ayatollah Mohammed Mesbah Jasd oder Kazem Sedighi, der kürzlich erklärte, sich anzüglich anziehende Frauen seien schuld an Erdbeben, noch zu ihm. Zweitens sind für seinen Machterhalt die Politiker und die Geistlichen weniger wichtig als früher; er setzt auf den Einfluss der von ihm geförderten iranischen Revolutionsgarden. Und drittens hält der religiöse Führer Ali Chamenei schützend die Hand über ihn.

Hätte der Westen die grüne Bewegung mehr unterstützen können?

Diese Frage spaltet die Beobachter in zwei Lager. Zwar hat der Westen Stellung bezogen, die Menschenrechtsverletzungen kritisiert und mehr Meinungs- und Demonstrationsfreiheit angemahnt. Doch nicht nur die Autoren des jüngst erschienenen Buches Verratene Freiheit. Der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens werfen den europäischen Regierungen vor, die Demonstranten zu wenig unterstützt zu haben und stattdessen weiter aufs Geschäft mit den Machthabern des Landes zu setzen. FDP-Frau Hoff glaubt, dass zu viele Interventionen kontraproduktiv gewesen wären. "Je mehr man sich einmischt, desto schärfer sind die Reaktionen des Systems", sagt sie.

Ungünstig ist in der Tat, dass das Verhältnis zwischen dem Westen und Iran durch die Auseinandersetzungen in der Atompolitik überlagert wird. Zum einen, weil die Atomfrage einer der letzten verbliebenen politischen Punkte ist, in denen die aktuelle Regierung sich auf die Zustimmung der Bevölkerung verlassen kann: Kaum ein Iraner sieht ein, warum seinem Land das Recht auf Nutzung der Atomenergie untersagt werden sollte. Zum anderen, weil etliche Politiker im Westen dem Denkfehler unterliegen, man müsse erst die Atomfrage lösen und könne sich dann um die Menschenrechte im Land kümmern.

War die Bewegung erfolgreich?

Supporters of Mirhossein Mousavi attend pre-election gathering in Tehran

Grün, die Farbe des Protests: Eine Anhängerin von Mussawi auf einer Demonstration im Juni 2009 in Teheran.

(Foto: Reuters)

Wie geht es jetzt weiter?

Kaum ein Beobachter will derzeit eine Prognose wagen, ob rund um den Jahrestag am 13. Juni wieder viele Menschen auf die Straßen gehen und es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Mussawi und Karrubi haben zumindest Demonstrationen geplant. Sie haben aber auch schon erklärt, dass sie an diesen Demonstrationen nur teilnehmen, wenn das Regime die Erlaubnis erteilt - und noch steht die Entscheidung darüber aus. Dabei ist nicht zwingend gesagt, dass es wegen der Ereignisse im vergangenen Jahr zu einem Verbot kommt. "Was wäre das für ein Triumph für das Regime, wenn die Demonstration erlaubt ist und kaum jemand mitmacht?", sagt Walter Posch.

Andere Beobachter glauben, dass die grüne Bewegung ihre Strategie ändern muss. Denn wie schon am Jahrestag der Revolution am 12. Februar karrt die Regierung Anhänger aus der Provinz in die Hauptstadt, die Präsenz von vielen Ahmadinedschad-Treuen und vielen Sicherheitskräften soll die Situation wieder zugunsten der herrschenden Kräfte entscheiden. So glaubt zum Beispiel der Iran-Kenner Bahman Nirumand, dass sich die Opposition eher darauf konzentrieren sollte, landesweite Streiks in den Produktions- und Dienstleistungszentren oder in den Basaren zu organisieren, anstatt rund um die Gedenktage große Massen auf die Straße zu bringen. Eine solche Strategie würde durch die katastrophale Wirtschaftssituation, die hohe Arbeitslosenquote und nicht zuletzt durch die Rechtlosigkeit der Arbeiter und Angestellten begünstigt.

War die grüne Bewegung erfolgreich?

Von außen und oberflächlich betrachtet, hat sich seit der Präsidentschaftswahl und den anschließenden Protesten wenig verändert. Noch immer heißt der religiöse Führer Chamenei, noch immer amtiert als Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der Einfluss von dessen Vertrauten und den ihm nahestehenden Revolutionsgarden in Politik, Wirtschaft und Militär ist eher gewachsen denn gesunken. Am System hat sich formal ebenso wenig geändert wie an der massiven Zensur oder an den strikten Kleidervorschriften.

Nach Meinung mancher deutscher Beobachter kann die grüne Bewegung dennoch als erfolgreich bezeichnet werden. "Es ist schon ein Erfolg, dass sie überhaupt zustande gekommen ist", sagt Elke Hoff. Iran-Experte Posch ergänzt: "Die grüne Bewegung hat verhindert, dass die Rechtsextremen das Land quasi gleichschalten konnten. Sie hat vielen anderen Gruppierungen, zum Beispiel den Reformern oder der Frauenbewegung, neue Energie gegeben."

Auch Grünen-Politiker Nouripour plädiert für eine differenzierte Betrachtung. "Die Bewertung hängt davon ab, welche Ansprüche man hatte", sagt er. "Diese Bewegung hat es geschafft, dass die jetzige Regierung die Straße verloren hat." Alle Regierungen seit der Revolution hätten sich als Nachfolger der Revolution verstanden, weil sie die Macht über die Straße gehabt hätten - und das könne die jetzige nicht mehr tun.

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