Iran:Der Aufschub

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Nicht alle Hoffnungen haben sich nach dem Atomdeal erfüllt. Doch die Welt ist sicherer geworden.

Von Paul-Anton Krüger

Ein Jahr ist es her, dass in Wien in langen Verhandlungen der Atomkonflikt mit Iran durch ein Abkommen beigelegt wurde, das auch heute noch das Prädikat historisch verdient. Die Euphorie jener Sommertage allerdings ist Ernüchterung gewichen. Galt es damals in John Kerrys Entourage als denkbar, dass der Außenminister als erster US-Regierungsvertreter seit 1979 seinen Verhandlungspartner Mohammad Dschawad Zarif in Teheran besuchen könnte, ist dies heute "jenseits jeder Debatte", wie Kerry jüngst klarstellte. Eine Annäherung der Islamischen Republik an den Westen gibt es allenfalls bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, auch wenn Teheran klagt, die USA würden weiter westliche Firmen abschrecken.

Die Enttäuschung ist überzogenen Erwartungen und teils naivem Wunschdenken geschuldet, die man auf beiden Seiten pflegte, um den Deal (innen-) politisch verkaufen zu können. Nie gab es eine berechtigte Hoffnung, dass die Einigung eine rasche Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Iran bringen könnte oder dass Iran nun seinen syrischen Verbündeten Baschar al-Assad fallen lassen werde. Das Abkommen hat weder die Interessengegensätze aufgelöst, noch etwas an den Machtstrukturen in Iran geändert.

Irans Oberster Führer, Ayatollah Ali Chamenei, der die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt, hat schon während der Verhandlungen deutlich gemacht, dass er sie als eng begrenztes und einmaliges Unterfangen ansieht. Zugelassen hat er sie nur, weil Präsident Hassan Rohani mit seinem Wahlsieg breite Unterstützung im Volk dafür mobilisiert hatte. Außerdem war die Konfrontationspolitik des früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gescheitert. Die Sanktionen, die ihr folgten, führten Iran an den Rand des Ruins. Chameneis Priorität aber ist es, das Regime zu erhalten, dem dienten auch die Gespräche. Die USA sieht er weiter als größte Bedrohung. Zu Lebzeiten des 77-Jährigen wird es keinen grundstürzenden Wandel geben.

Durch den Atomdeal ist die Welt fürs Erste sicherer geworden

Wenn jetzt die Hardliner klagen, die Erholung der Wirtschaft und die Milliarden ließen auf sich warten, ist das Heuchelei: Sie waren die größten Krisengewinnler unter den Sanktionen; sie lehnen die von Rohani verfolgte Öffnung ab. Zugleich machen sie Wahlkampf. Sollte Rohani 2017 im Amt bestätigt werden, hätte er die Chance, die Früchte des Abkommen zu ernten und breitere Reformen einzuleiten. Das wollen die Hardliner unbedingt verhindern.

Tatsächlich sind die Sanktionen erst vor sechs Monaten aufgehoben worden, und die USA haben nur jene Strafen ausgesetzt, die wegen des Atomstreits verhängt worden waren. Eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, das war auch den Iranern klar, könnte es nur mit Europa geben. Das mag sich schwieriger gestalten als erhofft, auch weil in Washington eine Betonfraktion alles tut, um den Deal zu hintertreiben und vor der Präsidentenwahl die Ungewissheit über dessen Bestand bleibt. Deutsche Firmen können heute aber nach Iran liefern, abgesichert durch Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung.

Kühles Kalkül und Realismus auf beiden Seiten haben das Atom-Abkommen möglich gemacht. Sie sollten auch Maßstab von dessen Bewertung sein. Der Vertrag ist der Versuch, die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm mit friedlichen Mitteln für einen beachtlichen Zeitraum zu begrenzen. Das funktioniert, wie selbst Gadi Eisenkot sagt, der Chef der israelischen Armee, der unverdächtig ist, ein Freund der Iraner zu sein: Der Deal habe die größte Bedrohung für Israels Existenz auf absehbare Zeit gebannt und langfristig stark reduziert. Eine bessere Alternative ist heute wie vor einem Jahr nicht zu erkennen. Iran wird ein problematischer Akteur in der Region bleiben, aber das wäre ohne den Deal nicht anders gewesen.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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