Irakischer Politiker besucht Berlin:"Die Lage ist tausendmal besser als vor zwei Jahren"

Bei seinem Deutschlandbesuch spricht der Schiitenführer Ammar al-Hakim über den "neuen Irak" der Menschenrechte und Demokratie. Und darüber, warum er trotzdem einen schnellen Abzug der Amerikaner ablehnt.

Christiane Schlötzer und Tomas Avenarius

Der 37-jährige Sayed Ammar al-Hakim ist der ranghöchste irakische Politiker, der seit dem Kriegsbeginn 2003 Berlin besucht. Er ist der Sohn des mächtigen Schiitenführers Abdel-Asis al-Hakim, der die größte in Bagdad mitregierende Schiitenpartei ISCI leitet. Da dieser schwer krank ist, dürfte seinem Sohn die Führungsrolle in der Partei zufallen. Er ist bereits deren Vizepräsident.

Irakischer Politiker besucht Berlin: Sayed Ammar al-Hakim: "Wir wollen einen Rechtstaat aufbauen."

Sayed Ammar al-Hakim: "Wir wollen einen Rechtstaat aufbauen."

(Foto: Foto: Thomas Koehler)

SZ: Sie haben in Berlin erstmals Vertreter der Bundesregierung getroffen. Was erwarten Sie von Deutschland?

Hakim: Deutschland ist ein wichtiges europäisches Land, und der Irak ist das pochende Herz der arabischen Welt. Der Irak hat die größten Ölreserven der Erde, er ist eine alte Hochkultur und hat eine strategische Lage im Nahen Osten. Die Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind groß, sei es zur Bekämpfung des Terrorismus oder bei wirtschaftlichen Fragen.

SZ: Aber das Kriegsland Irak ist ein schwieriger Partner.

Hakim: Der neue Irak, der Irak der Menschenrechte, der Demokratie, der Frauenrechte ist mehr denn je ein Partner für Deutschland.

SZ: Sie sprechen vom neuen Irak der Menschenrechte, wir aber wissen von Terror, Gewalt und Bürgerkrieg. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Hakim: Wir sind hier im neuen Berlin, das einmal geteilt war. Würde hier auf dem Pariser Platz einer auch nur einen Schuss abgeben, wären morgen die Zeitungen voll davon. Die Medien suchen immer die Sensationen. Sie schreiben wenig über soziale und politische Entwicklungen.

SZ: Beschönigen Sie nicht?

Hakim: Ich sage nicht, dass es ideal zugeht im Irak. Aber ich sehe eine Entwicklung zum Positiven. Heute hören wir nicht mehr, dass Schiiten Sunniten umbringen oder umgekehrt. Ich war gerade in der Sunnitenprovinz Anbar, habe Stammesführer und Scheichs und Gelehrte getroffen. Wir empfangen sunnitische Würdenträger in Bagdad und im schiitischen Süden des Landes. Die Lage bessert sich also. Heute ist die Lage in Basra besser als vor zwei Monaten und tausendmal besser als vor zwei Jahren.

SZ: Wenn man Ihnen zuhört, könnten die Amerikanern ja morgen abziehen?

Hakim: Wir bauen die irakische Armee und die Polizei entschlossen auf. Sobald unsere Kräfte in der Lage sind, Frieden und Sicherheit zu garantieren, können wir auf die Hilfe der internationalen Truppen verzichten.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie Ammar al-Hakim über dauerhafte amerikanische Militärstützpunkte im Irak denkt.

"Die Lage ist tausendmal besser als vor zwei Jahren"

SZ: In wie vielen Jahren wird das sein?

Hakim: Bis heute können wir das Land nicht alleine stabilisieren. Aber es gibt Kräfte im Irak, die wollen einen Zeitplan für den Rückzug der Truppen festlegen. Andere, wie ich auch, setzen auf den Aufbau und die Aufrüstung der irakischen Armee. Sobald das Ziel erreicht ist, können die US-Soldaten nach Hause gehen.

SZ: Sie wollen kein Datum nennen?

Hakim: Ich könnte sagen, die Amerikaner sollen in fünf Jahre weg sein. Aber was ist, wenn wir das Land schon in zwei Jahren im Griff haben? Warum sollten die Ausländer dann länger bleiben? Umgekehrt gilt, wenn sie zu früh gehen, könnte der Irak in sich zusammenfallen.

SZ: Was sind die Amerikaner für Sie? Besatzer oder Partner?

Hakim: Wir wollen gute Beziehungen zu den USA. Wir hoffen aber, dass die irakischen Sicherheitskräfte bald so stark sein werden, dass unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht mehr diese militärische Färbung haben.

SZ: Amerika aber will im Irak auf Dauer Militärstützpunkte haben. Wollen Sie das auch?

Hakim: Wir verhandeln über ein Sicherheitsabkommen. Basen sind nicht unbedingt ein Wunsch der irakischen Regierung. Wir haben für ein Abkommen auch Bedingungen gestellt. Es muss die irakische Souveränität achten, es darf kein Geheimabkommen sein, das irakische Parlament soll darüber abstimmen, es darf keine Feindschaft zu einem anderen Land auslösen. Der Irak soll Basis der Freundschaft zwischen den Völkern sein, nicht zukünftiger Kriege.

SZ: Die Amerikaner wollen auch die Sunniten an der Macht beteiligen, deshalb finanzieren sie deren Milizen. Ist das friedensfördernd?

Hakim: Diese Frage müssen Sie den Amerikanern stellen. Wir wollen einen Rechtsstaat aufbauen, wo das Gewaltmonopol beim Staat liegt.

SZ: Angeblich steht die Badr-Miliz hinter den Todesschwadronen, die die Sunniten verfolgt haben.

Hakim: Lassen wir die Presseberichte über angebliche Massaker beiseite und bleiben wir bei dem, was die irakische Regierung und die multinationalen Kräfte gesagt haben. Keiner hatte Belege, dass es diese Schwadrone wirklich gab. Wir bemühen uns, die Gewalt zu stoppen. Wir wollen die Rechte der Schiiten schützen im Irak. Das geht nur, wenn wir auch die Rechte der Sunniten und der Kurden bewahren.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, wie der Schiitenführer zu einer Säkularisierung seines Staates steht und ob er sich eines Tages eine Frau als Präsidentin des Iraks vorstellen kann.

"Die Lage ist tausendmal besser als vor zwei Jahren"

SZ: Die Christen erwähnen Sie nicht. Auch sie werden verfolgt.

Hakim: Der Terror hat alle getroffen. Das Leiden unserer christlichen Brüder bestürzt uns. Wir haben die besten Beziehungen zu allen christlichen Kirchen im Irak, und die Christen sind wieder sicherer als vor einiger Zeit.

SZ: Der Irak war mal ein säkulares Land. Sie galten zumindest früher als Anhänger einer Islamischen Republik.

Hakim: Das irakische Volk ist religiös, aber wenn wir einen islamischen Staat gewollt hätten, dann hätten wir dies ausdrücklich in der neuen Verfassung verankert. Wir haben es nicht getan. Wir haben aber im Grundgesetz hinzugefügt, dass unsere Gesetze dem Islam nicht widersprechen dürfen. Auf der anderen Seite kann jeder im Irak die Partei wählen, die ihm gefällt, und wenn es eine Mehrheit dafür gibt, dass der Irak wieder voll und ganz säkular regiert wird, warum nicht?

SZ: Dennoch bauen Sie derzeit ein System islamischer Schulen auf. Wollen Sie den Irak weiter islamisieren?

Hakim: Für eine Islamisierung gibt es keinen Bedarf, der Irak ist schon islamisch. Aber wir haben ein gewisses Vakuum in der Gesellschaft, das müssen wir füllen. Die von mir geführte Al-Hakim-Stiftung hat soziale und erzieherische Aufgaben. Wir haben auch religiöse Schulen. Aber das gibt es überall, auch in Deutschland.

SZ: Wenn kein Gesetz im Widerspruch zum islamischen Recht der Scharia stehen soll, was bedeutet das für die Frauen?

Hakim: 40 Prozent der Parlamentarier sind heute im Irak Frauen, das ist mehr als in allen umliegenden Ländern, und es ist die höchste Quote weltweit.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass eine Frau Präsidentin des Irak wird?

Hakim: Warum nicht, es spricht nichts dagegen, die irakischen Frauen wären bestimmt dazu in der Lage.

SZ: Ihre Organisation wurde einst in Iran gegründet, wird der Irak immer besondere Beziehungen zu Iran haben?

Hakim: Iran ist unser Nachbar, und wir haben 1400 Kilometer gemeinsame Grenze. Auf der Basis unserer nationalen Interessen können wir kooperieren. Wir arbeiten aber auch ernsthaft an guten Beziehungen mit den arabischen Nachbarn.

Auf der nächsten Seite lesen Sie über die Haltung des Irak zum Atomprogramm Irans und die Beziehungen zu Israel.

"Die Lage ist tausendmal besser als vor zwei Jahren"

SZ: Sie fordern ein stärkeres Engagement arabischer Staaten im Irak?

Hakim: Die Zurückhaltung der Araber, sich im Irak zu engagieren, fördert den Eindruck, dass Irans Einfluss wächst. Das stimmt so nicht. Was aber fehlt, ist ein arabische Gegengewicht.

SZ: Iran hat wegen seines Atomprogramms Streit mit der internationalen Gemeinschaft. Besorgt Sie das?

Hakim: Der Streit zwischen den USA und Iran wird teilweise im Irak ausgetragen, und der Irak zahlt den Preis dafür. Wir haben uns sehr früh um einen Dialog zwischen Washington und Teheran bemüht. Noch mehr Streit würde sich negativ auf uns auswirken.

SZ: Konkret: Darf Iran ein eigenes Atomprogramm haben?

Hakim: Ja, wenn es zivilen Zwecken dient und die internationalen Vereinbarungen achtet. Wenn es aber nicht friedlich ist und internationale Abkommen verletzt, sind wir dagegen.

SZ: Es gibt noch ein wichtiges Land in der Region: Können Sie sich vorstellen, dass der Irak eines Tages normale Beziehungen mit Israel hat?

Hakim: Das palästinensische Volk ist ein arabisches und ein islamisches Volk. Wir stehen an seiner Seite. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Beziehungen zu Israel aufzubauen, so lange die Palästinenser leiden.

SZ: Sie treten für einen föderalen Irak ein und wollen die neun schiitischen Provinzen im Süden zu einer schiitischen Superregion machen. Warum?

Hakim: Nach dem Grundgesetz des Irak können die Provinzen Regionen bilden. Wir haben gemerkt, dass gemeinsame Probleme - aber auch Kultur und Zukunftsvisionen - verbinden.

SZ: Aber was hält den einheitlichen Staat Irak dann noch zusammen?

Hakim: Die Menschen sollen selbst entscheiden, ob sie unseren Vorschlag annehmen. Er soll die Regionen nicht nach Konfessionen bilden, sondern nach gemeinsamen Interessen. Wir Schiiten bemühen uns am meisten um die Einheit des Irak. In der Regel streben Mehrheiten nicht nach Abspaltung, Mehrheiten sind nie separatistisch, eher die Minderheiten.

SZ: Auch zwischen den Schiiten herrscht derzeit Krieg. Was trennt ihre Partei von der des Predigers Muktada al-Sadr?

Hakim: Es ist kein Kampf zwischen zwei Parteien. Es geht es um Rechtsstaatlichkeit. Es gibt kein souveränes Land, das akzeptiert, dass militante Gruppen eigene Gerichte haben oder sogar Zoll kassieren und bestimmte Lebensformen mit Gewalt durchsetzen. Zum Beispiel, dass Frauen Kopftücher tragen sollen.

Sayed Ammar al-Hakim entstammt einer berühmten schiitischen Theologenfamilie. Die Hakims standen in Opposition zu Saddam Hussein, viele ihrer Mitglieder wurden ermordet. 1979 floh die Familie ins iranische Exil. ISCI steht für "Islamischer Oberster Rat des Irak" - und ist ursprünglich ein iranisches Gewächs: Die Organisation diente einst Ayatollah Khomeini als Waffe gegen Saddam. Ammar al-Hakim beschreibt seine Partei heute als rein irakische Kraft: klar islamisch orientiert, aber für einen demokratischen Staat. Nach Berlin lud ihn die politisch unabhängige Körber-Stiftung ein. Er traf Vertreter aus dem Bundestag, dem Kanzleramt, dem Außen- und dem Innenministerium sowie der Evangelischen Kirche.

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